Der Mörder wartete in der Jauchegrube. Als König Edmund II. von England, genannt «Ironside» («Eisenseite»), am 30. November des Jahres 1016 den Abort aufsuchte, um «einem Ruf der Natur zu folgen», wie ein Chronist erzählt, stach der Attentäter zu. Zweimal rammte er sein Mordwerkzeug in die «niederen Teile» des Königs, liess es dann im Leib des Sterbenden stecken und machte sich davon.
Der infame Anschlag, der das Leben Edmunds vorzeitig beendete, fand ziemlich sicher nicht so statt. Verbürgt ist aber, dass Edmund Ironside tatsächlich am Tag des heiligen Andreas 1016 starb. Sein Tod, gewaltsam oder nicht, ebnete dem dänischen König Knut dem Grossen den Weg, dem nun die Herrschaft über ganz England zufiel.
Edmund Ironside war nur gerade sieben Monate lang König von England gewesen. Der Sohn von König Æthelred hatte sein Erbe in schwierigen Zeiten angetreten. Schon sein Vater, der den wenig schmeichelhaften Beinamen «the Unready» («der Unberatene», «der Unfertige») trug, hatte während seiner Herrschaft den ständigen Angriffen der dänischen Wikinger kaum etwas entgegenzusetzen. 1013 musste Æthelred sogar vor dem dänischen König Sven Gabelbart ins normannische Exil flüchten. Erst nach dessen Tod 1014 rief ihn der Witan, der Rat der englischen Würdenträger, nach England zurück.
Doch Sven Gabelbarts junger Sohn Knut, der von Æthelred vertrieben worden war, sammelte in Dänemark ein grosses Heer und landete im Sommer 1015 mit mehr als 200 Schiffen erneut in England. Bald hatte er den grössten Teil des Landes erobert und belagerte Æthelred in London, wo dieser im April starb. Nun riefen die Londoner Edmund zum König aus, während der Witan in Southampton Knut zum König proklamierte. Mit Hilfe Edmunds widerstand London vorerst den Dänen, und Edmund konnte einige kleinere Gefechte gegen die Invasoren gewinnen, was ihm den Beinamen «Ironside» eintrug. Doch dann kam es am 18. Oktober zur Entscheidungsschlacht von Assandun, die mit einer verheerenden Niederlage Edmunds endete.
Edmunds geschlagenes Heer zog sich dem Bristolkanal und dem Severn entlang zurück, die Dänen folgten. Der Legende nach trafen Edmund und Knut auf Olney Island im Severn aufeinander, wo es aber statt zu einer weiteren Schlacht zu einem Zweikampf der beiden Könige um die Herrschaft kam. Als Edmund auf Knut einschlug und den Dänen so hart bedrängte, dass dessen Schild brach, rief Knut plötzlich: «Warum sollte jeder von uns sein Leben für eine Krone aufs Spiel setzen? Lass uns Brüder durch Adoption sein und das Königreich aufteilen!»
In der Tat kam es zu einem Ausgleich zwischen Edmund und Knut – während Edmund nur über Wessex herrschte, fiel Knut der gesamte Rest Englands zu. Zur Vereinbarung gehörte zudem, dass jeder der beiden Könige beim Tode des anderen die Herrschaft über das ganze Reich übernehmen sollte. Genau dies geschah denn auch nur einen Monat später, als Edmund – womöglich auf dem Abort gemeuchelt – das Zeitliche segnete. Nun gelangte auch Wessex unter die Herrschaft Knuts, der fortan fast 20 Jahre lang ein grosses Nordseereich regierte, das auch Dänemark, Südschweden und Norwegen umfasste.
Edmunds Tod war vielleicht eine Folge von Verwundungen, die er sich sechs Wochen zuvor in der Schlacht von Assandun zugezogen hatte. Durchaus möglich ist auch, dass er an einer Krankheit starb. Die zeitgenössischen Chronisten erwähnen keinen Mord – erst später brachte man Edmunds frühes Ableben mit einem Mann in Verbindung, der als einer der grössten Schurken der frühen englischen Geschichte gilt: Eadric of Mercia, genannt Eadric Streona.
Eadric war aus niedrigen Verhältnissen zum Ealdorman von Mercia aufgestiegen, hatte für König Æthelred missliebige Adlige aus dem Weg geräumt und dessen Tochter Eadgyth geheiratet, was ihn zum Schwager Edmunds machte. Nach der Invasion der Dänen wechselte er mehrmals die Seiten, wurde von Edmund aber wieder aufgenommen – vielleicht, weil er sein Schwager war, vielleicht aber auch, weil Edmund seine Truppen dringend brauchte. Bei der Schlacht von Assandun verriet Eadric Edmund aber erneut. Er zog mitten im Gefecht seine Truppen ab und ermöglichte so den entscheidenden dänischen Sieg.
Eadric, der von späteren Chronisten für eine ganze Reihe von Schandtaten verantwortlich gemacht wurde, sollte auch die Schuld an Edmunds Tod tragen: Eadrics Sohn sei es gewesen, der in seinem Auftrag dem König in der Jauchegrube auflauerte, berichtete der bedeutende englische Geschichtsschreiber Henry of Huntingdon etwa hundert Jahre später. Und Huntingdon beschreibt auch, welchen Lohn der verräterische Ealdorman am Ende erhielt. Als Eadric König Knut aufsuchte und sich der Beseitigung Edmunds rühmte, erwiderte Knut: «Als Belohnung für deinen grossen Dienst werde ich dich höher machen als alle englischen Adligen!» Dann liess er Eadrics Haupt abschlagen und auf einer Stange auf dem höchsten Turm Londons anbringen.