Als Isabella I. von Kastilien und Ferdinand II. von Aragón mit ihrer Heirat auch ihre Königreiche vereinen, leisten sie den heiligen Schwur, ganz Spanien von den «Moros» (Mauren) zu befreien. Seit dem Jahr 711 besetzen diese die Iberische Halbinsel. Córdoba und Sevilla sind bereits wieder in spanischer Hand – und 1492, sieben Monate bevor Christoph Kolumbus Amerika entdeckt, fällt auch die letzte muslimische Bastion Granada an die Katholischen Könige.
Die Reconquista ist vollendet – und die Iberische Halbinsel wird nach fast 800 Jahren von allen unchristlichen Einflüssen gesäubert. In der Alhambra sitzend, auf dessen Turm nun nicht mehr der Halbmond, sondern das Kreuz prangt, erlassen Isabella und Ferdinand ein Verdikt, dass erstmal die ansässigen Juden aus ihrer Heimat vertreibt. Die Verbliebenen werden zwangskonvertiert – oder Opfer des fanatischen Grossinquisitors Tomás de Torquemada.
Die Muslime dürfen ihre Religion noch eine Weile behalten. Doch schon bald werden auch sie Ziel eines fanatischen Christen: Francisco Jiminez de Cisneros. Im Auftrag des Königpaars zwingt er Muslime mittels Nahrungsentzug zur Taufe. 4000 wertvolle arabische Handschriften landen im Feuer des Inquisitors – nur an den medizinischen wagt selbst er sich nicht zu vergreifen.
Die höchst unfreiwillig zum Christentum bekehrten Mauren werden spöttisch Morisken genannt, man setzt alles daran, ihre maurische Identität zu zerstören. Und als 1526 die Katholischen Könige bereits unter der Erde liegen, und nur noch ihr marmorner Grabstein von ihren Heldentaten als «Vernichter der mohammedanischen Sekte und Auslöscher der ketzerischen Falschheit» kündet, gibt es in den spanischen Landen offiziell keine Muslime mehr.
Philipp III. führt zu Ende, was seine Vorfahren begonnen haben: 1609 verkündet der blasse König mit seiner Habsburger Unterlippe die Vertreibung aller Morisken aus seinem Reich. Unter Androhung des Todes müssen sie Spanien innerhalb von drei Tagen verlassen. Mit nicht viel mehr als ihrem nackten Leben besteigen sie die Schiffe, die sie nach Nordafrika bringen.
Nicht überall werden die Morsiken mit offenen Armen empfangen. Im Norden Tunesiens aber bauen sie auf den Ruinen einer römischen Siedlung die Stadt Testour – gemeinsam mit vertriebenen Juden. Das Minarett der Grossen Moschee gibt ihnen mit seiner Glocke und seinen zwei Davidsternen wenigstens ein kleines Stück al-andalusische Heimat zurück.
Viele von ihnen siedelten sich in Algier, Tripolis und Tunis an und führten von dort aus ihre blutigen Kleinkriege gegen christliche Handelsschiffe. Die sogenannten Barbaresken-Korsaren wurden zum Schrecken der Meere; unerbittliche Piraten, die ihre Opfer entweder töteten oder zu Sklaven machten.
Man erzählt sich, dass sie nicht nur die Küste Cornwalls unsicher machten, sondern sogar bis nach Island vorstiessen und einige Insulaner nach Nordafrika verschleppten. Auch der Mann, der später die berühmte Geschichte des Möchtegern-Ritters Don Quijote schreiben wird, erleidet dieses Schicksal: Er überlebte die verlustreiche Seechlacht von Lepanto, die den Mythos der Unbesiegbarkeit der Osmanen zur See entzauberte. Die Heilige Liga tötete 30'000 Türken, versenkte über 60 ihrer Schiffe und befreite 12'000 christliche Rudersklaven aus den eroberten Galeeren.
Auf dem Heimweg aber gerät Cervantes in die Hände von Korsaren und landet auf dem Sklavenmarkt von Algier. Fünf Jahre verbringt er in Gefangenschaft – seine Familie kann das hohe Lösegeld nicht bezahlen. Vier Mal versucht er zu fliehen, vergeblich.
Und als er schon an die Ruderbank einer Galeere geschmiedet ist, trifft endlich das Geld ein. Das allerdings für den Freikauf eines anderen Adligen gedacht ist. Doch die Summe reicht für diesen nicht und so nimmt der Unterhändler eben Cervantes mit.
Algier, Tripolis und Tunis waren Stadtstaaten und gehörten nominell zum Osmanischen Reich, faktisch aber waren sie unabhängig. Bis ins 19. Jahrhundert lebten sie von der Freibeuterei – ihrer einträglichsten Einnahmequelle.
Denn die christlichen Mächte belegten die Exporte der Mauren mit Sanktionen und hohen Zöllen. Da ihnen der friedliche Handel auf diese Art unmöglich gemacht wurde, verlegten sie sich auf den Krieg. In diesem war die Kaperei völkerrechtlich legitim. Die Korsaren begründeten ihn die ganze Zeit über religiös als Dschihad.
Wer von den Freibeutern verschont werden wollte, musste Schutzgeld zahlen. Diese schamlosen Tribute, der ständige Friedensbruch und die Verschleppung tausender Menschen nach Nordafrika führten immer wieder dazu, dass die Europäer Strafexpeditionen ins Mittelmeer entsandten. Englische, französische, spanische, venezianische, niederländische und dänische Kriegsschiffe bombardierten Tripolis, Algier und Tunis unzählige Male – doch die Korsaren waren nicht zu stoppen.
Hinzu kam, dass die europäischen Mächte alles andere als friedlich vereint gegen die muslimischen Piraten antraten, sondern sich zuweilen lieber mit ihnen verbündeten, um ihren Konkurrenten zu schaden. Diese ganzen Gefechte und Kleinkriege waren mehr von politischen Intrigen, von Schmuggel, Korruption und Profitgier bestimmt als vom Kanonendonner.
Ohne die Lieferung von Holz, Segel und Geschützen aus Westeuropa hätten die nordafrikanischen Schurkenstaaten wohl kaum so viele Schiffe bauen und ausrüsten können.
Ein Seemann, der Zeuge einer Seeschlacht in der Ägäis wurde, berichtet, er habe 40 holländische, englische und französische Schiffe in der türkischen Flotte erspäht, «die um eine grosse Summa Geldes dienten».
Die Mehrheit der europäischen Seefahrer befand sich jedoch alles andere als freiwillig auf den Schiffen der Korsaren: Sie wurden nach ihrer Gefangennahme zum Dienst gezwungen. Steuermänner, Schiffszimmerer, Kanoniere, sie alle waren sehr begehrt.
1724 wird auch der 16-jährige Amrumer Schiffsjunge Hark Olufs auf dem Weg von Nantes nach Hamburg gefangen genommen. «Ergebt euch, ihr Hunde!», schreien die Korsaren, als sie das Feuer auf das Schiff eröffnen. Der Kampf gegen sie ist aussichtslos, bald müssen Hark und seine Kameraden die Segel streichen.
Er landet auf dem Sklavenmarkt in Algier. Um ihn freizukaufen, verlangen die Händler 800 Mark Lösegeld von seiner Familie – das entsprach in etwa dem Wert von 20 Pferden. Zu viel für den Vater von Hark. Er kann die Summe nicht aufbringen und so wird sein Sohn an den Bey von Constantine verkauft.
Hark entkommt dem Schicksal eines Arbeitssklaven, das für die meisten den Tod bereithält – im Steinbruch oder als Ruderer auf einem Korsarenschiff. Stattdessen darf er den Palast des Beys sauberhalten. Doch sein Besitzer merkt schnell, dass der Junge mehr kann. Hark lernt Arabisch und Türkisch und bekommt Koranunterricht. Nach drei Jahren Lehrzeit tritt er zum Islam über. Die Konversion war die einzige Aufstiegsmöglichkeit für einen weissen Sklaven.
Hark wird Schatzmeister des Beys, mit 24 bekommt er den Chefposten in dessen Leibgarde, am Ende befehligt er sogar die ganzen Streitkräfte. 1735 erobert er mit seinen Männern Tunis und wird zum Dank freigelassen. Nach elf Jahren im Dienst des Beys segelt Hark mit «Kleidern aus reinster Seide» und «reichlich barem Gold» nach Hause.
Thomas Jeffersons junge Nation besteht 1783 gerade mal aus 13 Staaten und hat sich eben erst ihre Unabhängigkeit von Grossbritannien in einem blutigen Krieg erkämpft. Und nun, da die USA eigenständig Handel treiben wollen und nicht mehr unter dem Schutz der britischen Royal Navy stehen, werden ihre Schiffe von Korsaren gekapert. Der Präsident sieht sich bald gezwungen, Schutzgeld an den Pascha von Tripolis zu zahlen. Die Summe war so horrend, dass sie einen Fünftel der Staatseinkünfte ausmachte.
Verhandeln liess es sich mit den Korsaren nicht. Der Gesandte aus Tripolis erklärt Jefferson, warum sie auch Völker angreifen, die ihnen vorher keinerlei Leid zugefügt haben:
1801 stellt Jefferson die Zahlungen an Tripolis ein, woraufhin ihm der Pascha den Krieg erklärt. Nun waren die USA aber keine europäischen Kreuzzügler, noch waren sie als Nation auf christlicher Basis gegründet. Für sie war dieser Krieg kein heiliger, er war nicht religiös, sondern rein wirtschaftlich motiviert.
Um ihre Handelsinteressen durchzusetzen, müssen sie eine eigene, schlagkräftige Flotte auf Kiel legen – die US Navy. Ihre ersten Fregatten werden aus der Virginia-Eiche gebaut, deren Holz so dicht ist, dass sogar Kanonenkugeln daran abprallen.
Das Flaggschiff des Mittelmeergeschwaders, das nun gegen die Korsaren segelt, ist die USS Constitution. Sie gilt als unzerstörbar.
Es gelingt den Amerikanern, den Hafen von Tripolis zu blockieren, doch dann läuft eine Fregatte plötzlich auf Grund. Es ist die Philadelphia, die nun mitsamt ihrer 300 Mann starken Besatzung in den feindlichen Hafen eingebracht wird.
Nun gilt es, den Einsatz des verlorenen Schiffes gegen die eigenen Männer zu verhindern. Nur einer ist dieser tollkühnen Aktion auch gewachsen: der junge Leutnant Stephen Decatur. In der Nacht des 16. Februars 1804 segelt er mit einem gekaperten Korsarenboot klammheimlich in den Hafen von Tripolis. Unbemerkt entert er mit seinen 65 Männern die Philadelphia. Ihre Lanzen und Schwerter bohren sich in die Körper der Korsaren – und diejenigen, die in dieser Nacht nicht den Tod finden, werden gezwungen, von Bord zu springen.
Decatur verlässt die Fregatte erst, als sie schon in Flammen steht. Als die feurigen Zungen die geladenen Kanonen erhitzen, speien diese ihre schweren Eisenkugeln auf die Barbareskenstadt. Müde geworden von diesem letzten Kraftakt treibt die brennende Philadelphia auf die Küste zu, wo ihr klappriges Gerippe an den Klippen zerschellt.
Stephen Decatur hat keinen einzigen seiner Männer verloren. Für seinen waghalsigen Einsatz wird er zum seinerzeit jüngsten Kapitän der amerikanischen Seestreitkräfte ernannt. Als solcher segelt er 1815 noch einmal gegen die Korsaren – nun soll es auch Algier an den Kragen gehen. Das Flaggschiff des Deys kapituliert bereits nach kurzem Kampf.
Um seinen Friedensbedingungen Nachdruck zu verleihen, lässt Decatur sein Geschwader vor dem Hafen Algiers auffahren. Sollte der Dey nicht auf seine Forderungen eingehen, würde die Stadt bombardiert. Die Drohkulisse wirkt. Und die USA haben eine neue Methode, mit der sie fortan ihre Handelsinteressen durchzusetzen wissen: die Kanonenbootpolitik.
Algier und letztlich auch Tripolis und Tunis unterschreiben den Vertrag, der sie dazu verpflichtet, amerikanische Handelsschiffe in Zukunft unbehelligt zu lassen.
Auch in Europa ist es wieder friedlicher geworden. Napoleon wurde in der Schlacht von Waterloo besiegt und der Kontinent in der Folge neu geordnet.
Nun konnte man sich endlich der Bekämpfung der Piraterie widmen. Denn die Barbareskenstaaten hatten damit nicht einfach aufgehört – die Freibeuterei war ihr einziges Geschäftsmodell. Aber nicht mehr lange. Das nach Erfolgen für das Königtum lechzende Frankreich erobert 1830 Algier, dann ganz Algerien.
1848 wird das Land zum französischen Territorium erklärt. 1881 wird auch Tunesien zur französischen Kolonie, während Tripolis wieder unter die Kontrolle des Osmanischen Reiches fällt – bis es 1911 an Italien geht.