Neuenburg geht neue Wege: Anstatt Medikamente dürfen Hausärzte Museumsbesuche verschreiben. Die Absicht dahinter ist, die Menschen zu mehr Bewegung zu animieren. Denn der Beweis ist längst erbracht: Wer sich nicht bewegt, hat ein höheres Risiko für nicht übertragbare Krankheiten.
Folgen wie Adipositas, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind in der Behandlung teuer: 80 Prozent der Gesundheitskosten in der Schweiz gehen auf das Konto der nicht übertragbaren Krankheiten. Ein gesunder Lebensstil kann diese verhindern oder zumindest verzögern.
Deswegen haben verschiedene Staaten Initiativen lanciert, um körperliche Aktivität zu steigern. Die Schweiz nahm selbst mehrere Anläufe für eine staatliche Gesundheitsförderung. Den letzten 2012: Das Parlament verhandelte das Präventionsgesetz zwar fertig, sprach aber das nötige Geld nicht. Im Ständerat fehlten dafür zwei Stimmen.
Im Kleinen hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) dennoch Kompetenzen in der Prävention aufgebaut. Das Budget der entsprechenden Abteilung beträgt aktuell rund 8,6 Millionen Franken pro Jahr. Doch nicht mehr lange: Das BAG hat von Bundesrat und Parlament für 2026 einen Sparauftrag bekommen: 11 Millionen Franken wird das Budget gekürzt.
Auch bei der Prävention will die Gesundheitsbehörde sparen. Für 2026 sind darum noch Ausgaben in der Höhe von 7,5 Millionen Franken budgetiert, 1,15 Millionen Franken weniger. Konkret zieht sich das BAG aus zwei Projekten zurück: Bei der Plattform SELF geht es darum, chronisch Kranke zu befähigen, sich selbst besser zu helfen. Das zweite Projekt ist die Plattform «Exercise is medicine» (EIM). Sie will Menschen mit Krankheitsrisiko dazu bringen, sich mehr zu bewegen.
Der Sparentscheid stösst auf Widerstand. Präventionsmediziner halten das Zeichen für fatal. Die Fachgesellschaft Sport & Exercise Medicine Switzerland (SEMS) taxiert das Vorgehen als «gravierenden Rückschritt» in der schweizerischen Gesundheitspolitik: Es widerspreche «fundamental den wissenschaftlichen Erkenntnissen, der ökonomischen Vernunft und den gesellschaftspolitischen Verpflichtungen des Bundes».
Das BAG bedauert zwar auf Anfrage, in der Prävention verschiedene Aufgaben nicht mehr weiterführen zu können. Doch «aufgrund des hohen Spardrucks» müsse das Amt die Ausgaben priorisieren. Das BAG werde künftig stärker auf vorrangige Themen wie die Kinder- und Jugendgesundheit oder die psychische Gesundheit fokussieren.
Arno Schmidt-Trucksäss akzeptiert diese Argumentation nicht. Der Professor für Sportmedizin hat das Projekt «Exercise is medicine» über Jahre begleitet. Um den Fortschritt nicht abzuwürgen, wendet er sich in einem offenen Brief an BAG-Direktorin Anne Lévy.
Für diese Zeitung ordnet er die Konsequenzen des Entscheids ein.
Herr Schmidt-Trucksäss, Sie haben einen offenen Brief an BAG-Direktorin Anne Lévy geschrieben, in dem Sie die Sparmassnahmen im Bereich der Prävention kritisieren. Wieso?
Arno Schmidt-Trucksäss: Das Vorgehen ist eine Katastrophe. Bei einer alternden Bevölkerung ist es essenziell wichtig, Prävention zu betreiben, weil wir damit nachweislich dem Kostendruck entgegenwirken können. Prävention führt nicht nur zu Einsparungen im Gesundheitsbereich, sondern auch zu einem besseren Wohlbefinden der Bevölkerung.
Wird heute keine Prävention betrieben?
Doch. Sie bewegt sich einfach in einem sehr beschränkten Rahmen. Beispielsweise können Herzinfarktpatienten nach der Spitalentlassung während drei Monaten ein Training machen. Das ist sinnvoll. Aber sie sollten auch über diese Zeit hinaus aktiv bleiben. Nur fehlen uns heute in der Grundversorgung die Möglichkeiten. Das Gleiche gilt für Personen, die noch keine Erkrankung wie Diabetes, Krebs oder Herzinfarkt, aber ein erhöhtes Risikoprofil haben: Sie finden mit Ausnahmen kein Angebot – obwohl diese Personen einen nachweislichen Nutzen von mehr körperlicher Aktivität haben.
Für wen soll das Angebot denn gelten?
Ziel muss es sein, Krankheiten von Anfang an, aber spätestens im mittleren Lebensabschnitt zurückzudrängen, also ab etwa 40 Jahren. Dies auch, weil die Volksgesundheit gerade bei der arbeitenden Bevölkerung durch zunehmende Adipositas und körperliche Inaktivität abnimmt.
Zwei BAG-Mitarbeiter haben das Programm «Exercise is medicine» begleitet. Übertreiben Sie nicht, wenn Sie bei der Kürzung dieser zwei Stellen von einer Katastrophe reden?
Es geht nicht primär um die zwei Stellen. Es wird ein ganzes Programm abgewürgt, das zum Ziel hatte, die Prävention im Gesundheitswesen zu etablieren.
Lässt sich das Programm nicht fortführen?
Es läuft immer gleich: Wenn im BAG niemand mehr verantwortlich ist, die Prävention voranzutreiben, dann bleiben nur jene übrig, die dafür sorgen, dass kurative Medizin ihren Stellenwert behält – dass teure medikamentöse Medizin als einzige Methode bleibt. Dass eine andere Institution ein Projekt dieser Tragweite übernimmt, sehe ich nicht.
Wieso übernehmen nicht die Kantone, die sowieso mehr Kompetenzen in dem Bereich haben?
Dieses Spiel können wir endlos betreiben, um zu sehen, wer jetzt genau verantwortlich ist. Bei einem derart wichtigen Thema aufzugeben, ist doch kein guter Weg. Vor allem wenn wir sehen, dass alle Länder um uns herum – Italien, Frankreich, Deutschland – Bewegung auf Rezept eingeführt haben oder gerade dabei sind.
Von welchen Rezepten reden wir eigentlich?
Ähnlich wie Physiotherapie müsste strukturiertes Training verordnet werden, das Angaben zu Häufigkeit, Intensität, Dauer, Art der Bewegung und eine Periodisierung enthält. An unserer Fakultät werden Personen ausgebildet, die wissen, wie Bewegung so als Medikament umgesetzt wird. Und aus Schweden wissen wir, das krankheitsspezifische Trainingskonzepte notwendig sind, um die Gesundheit wirkungsvoll zu fördern.
Können Sie ein Beispiel geben?
Wenn jemand chronisches Asthma hat, nimmt er einen Spray, der genügend Luft gibt. Davon kann die geschonte Muskulatur der Beine aber nicht profitieren. Sie sendet weiter ungünstige Signale an den Körper: Entzündung, Stress, die auch die anderen Organe kaputtmachen. Erst körperliches Training baut die dekonditionierte Beinmuskulatur auf, sie blockiert die Entzündungsmechanismen und kann so Stress abbauen. Erst die Kombination von Medizin und gezieltem Training bringt den Körper wieder in die Spur.
Das passiert heute nicht?
Die kurative Medizin denkt zu kurz. Und das ist ein Problem, weil Asthma nur ein Beispiel von vielen ist. Dasselbe gilt für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, für orthopädische Erkrankungen. Auch bei psychischen Erkrankungen und Krebs hilft Bewegung, um die Gesundheit zu verbessern. Gezielte Bewegung ist eine Wunderpille, die die Wirkung von Medikamenten weit übertreffen kann.
Was sind konkrete Massnahmen?
Jeder weiss heute, dass Menschen sich jede Woche 150 Minuten moderat bewegen sollten. Wer sich intensiv bewegt und den Puls in die Höhe treibt, für den reichen 75 Minuten Bewegung. Aber die Anpassung an die Erkrankung und Risikofaktoren und das Dabeibleiben, die sogenannte Adhärenz, muss von Experten für Bewegung angeleitet werden.
Wer zahlt das?
Nicht zwingend die Krankenkassen. Die Aufgabe, strukturiertes Gruppentraining anzubieten, kann auch von Gemeinden ausgehen. Wie das beispielsweise Basel mit «Gsuender Basel» macht.
Muss Prävention nicht auf eine solidere Grundlage gestellt werden, beispielsweise über ein Gesetz, das Gesundheitsförderung aufnimmt?
Das kann man so sehen. Das Problem ist: Streicht das BAG nun dieses Programm, ist die Kompetenz für die Etablierung von Prävention weg. Die ganze Aufbauarbeit, die wir in den letzten acht Jahren in einem grossen Team von Experten gemacht haben, war vergeblich. Was wir wissen, kann als Grundlage für ein Gesetz dienen. Doch wenn wir das Projekt streichen, beginnen wir wieder bei null. Jeder weiss, dass wir in zehn Jahren erst wieder dort sind, wo wir gerade standen.
Übertreiben Sie nicht?
Es ist letztlich ein Spiel auf Zeit. Und diese Zeit haben wir bei den explodierenden Gesundheitskosten nicht. Wir geben mittlerweile über 93 Milliarden Franken für Gesundheit aus. Davon geht etwa eine Milliarde in Prävention. Für die Bewegung sind es maximal 200 Millionen für Massnahmen in dieser Richtung.
Die Menschen sind für ihre Gesundheit verantwortlich. Wieso müssen wir ihnen vorschreiben, dass sie sich bewegen müssen?
Natürlich dürfen die Menschen weiterhin inaktiv sein und herumsitzen. Kein Mensch schreibt ihnen vor, was sie zu tun haben. Es geht weder um Zwang noch um Verbote. Es ist ein Angebot an die Menschen mit erhöhtem Risiko, Krankheit vorzubeugen oder bestehende Probleme mit gezielter Bewegung anstatt alleine mit Medikamenten zu therapieren. Man muss das als Chance sehen.
Wie lassen sich die Menschen motivieren?
Das ist die grosse Frage. Sich einfach darauf zu verlassen, dass sich die Menschen selbst bewegen, ist fahrlässig. Ich bin selbst ein Bewegungsmuffel. Ich integriere die Bewegung in meinen Alltag, indem ich mit dem Velo zur Arbeit fahre. Und gehe ein- bis zweimal zusätzlich zum Krafttraining. Nicht jeder hat diese Möglichkeit. Darum müssen wir Hilfestellungen bieten. Auch die Beratung beim Hausarzt muss mehr in die Richtung gehen, Bewegung zu verschreiben.
Aus Ihren Antworten spricht nicht nur Unverständnis, sondern Ärger.
Ja, denn es wird überhaupt nicht darüber nachgedacht, wie wir es besser schaffen, gesund zu altern und Volkskrankheiten zurückzudrängen. Wir wissen auch, dass durch Bewegung die Arbeitsleistung gerade bei Personen stark steigt, die erhöhte Risiken für Herz-Kreislauf-Krankheiten haben. Deren Workability leidet unter Inaktivität. Jetzt könnten wir etwas ändern, aber das BAG hat entschieden, das Projekt abzuschreiben. Das ist unverständlich – und schade für die viele Arbeit.
Gibt es einen Plan B?
Wir müssen die Bevölkerung wachrütteln und fragen: Wollt ihr weiterhin immer mehr Prämien zahlen? Wir müssen dafür sorgen, dass wir Bewegung auf Rezept etablieren.
Ich habe, auf Anraten meines Arztes begonnen mich mehr zu bewegen und die Ernährung um zu stellen. Das bedeutet:
Jeden Morgen 45 Min. gehen
Autofahrverbot im Nahbereich (ausser für schwerere Transporte)
Liftfahrverbot
Keine Süssgetränke jeglicher Art, kein Alkohol, keine Chips usw, keine Majonäse, kein Raclette, Fondue usw.
Resultat: 40 kg abgenommen.
Die Kosten dafür waren: 1 Smart Watch (CHF 300), 1 mal neue Sohlen für meine Schuhe (CHF 75), 1 Waage (CHF 30). Das ist alles. Die Krankenkasse musste ich dafür nicht bemühen.
Ich bewege mich ohne Bezahlung sondern einfach aus Spass,Neugier und Genugtuung. Die Motivation ? Bin ich selbst.