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«Bin von der Kündigung überrascht» – Journalist nach Rueff-Frenkel-Porträt entlassen

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Bild: TeleZüri

«Bin von der Kündigung überrascht» – Journalist nach Rueff-Frenkel-Porträt entlassen

Mit seinem Porträt über die jüdische FDP-Politikerin Sonja Rueff-Frenkel sorgte Kevin Brühlmann für Aufsehen und Kopfschütteln. Seine Entlassung scheint für viele trotzdem einen Schritt zu weit zu gehen.
16.02.2022, 15:2116.02.2022, 18:14
Olivia Eberhardt / ch media
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Wie das jüdische Wochenmagazin Tachles berichtet, hat Tamedia den Journalisten Kevin Brühlmann entlassen. Die Entlassung folgt einer Reihe von Ereignissen im Zusammenhang mit Brühlmanns Porträt der Stadtratskandidatin Sonja Rueff-Frenkel (FDP), das mit antisemitischen Klischees gespickt war. Zwei Tage nach Veröffentlichung des Artikels entschuldigten sich die Chefredaktoren des Tages-Anzeigers in einem Kommentar öffentlich mit den Worten: «Im Artikel wurden ungewollt antisemitische Klischees bedient. In dem Porträt nehmen ausserdem die Rolle von Frau Rueff-Frenkels Religion und ihr Privatleben zu viel Raum ein, insbesondere im Vergleich zu Artikeln über andere Kandidatinnen und Kandidaten.» Auch der Journalist selbst entschuldigte sich auf Twitter für das missglückte Porträt.

Brief stärkt Brühlmann den Rücken

Als Reaktion auf die Entschuldigungen verfassten namhafte jüdische Zürcher Persönlichkeiten wie die frühere Bundesrichterin Vera Rottenberg einen Brief, den sie an Verleger und Geschäftsleitung der Tamedia sandten. Darin zeigten sie sich sich zwar dankbar für die Stellungnahme des Tages-Anzeigers und die klare Entschuldigung durch den Journalisten Kevin Brühlmann. Eine Entlassung des Journalisten würden sie hingegen «unangemessen und sogar kontraproduktiv» finden, hiess es im Schreiben weiter.

Brühlmann als Sündenbock

Madeleine Dreyfus ist eine der Personen, die diesen Brief unterzeichnet hat. Gegenüber ZüriToday zeigt sie sich vom Vorgehen des Tages-Anzeigers empört: «Der Schaden ist längst angerichtet. Mit dieser Kündigung wird nun ein Exempel statuiert – in der Hoffnung damit das Problem gelöst zu haben.» Man verpasse damit die Chance, um über das eigentliche Problem, namentlich antisemitische und sexistische Klischees in unserer Gesellschaft, auch auf den Zeitungsredaktionen, zu reden.

Die betroffene Politikerin Sonja Rueff-Frenkel sagt gegenüber ZüriToday, dass sie von der Kündigung überrascht sei. Sie selbst habe sich nach Publikation des Porträts mit Brühlmann getroffen und den ganzen Artikel besprochen. Für sie sei die Sache in dem Moment abgeschlossen und es wäre keine Kündigung nötig gewesen.

Zuspruch für die Kündigung wird der Tages-Anzeiger wohl vom ehemaligen Blick-Chefredaktor Sacha Wigdorovits erhalten. Wie Inside Paradeplatz berichtet, habe dieser hinter den Kulissen Druck gemacht und findet «dass es den Journalisten nun offenbar trifft, ist richtig.»

Kultur des Gegenlesens stärken

Auf Anfrage von ZüriToday bestätigt Tamedia, dass Brühlmann nicht mehr für den Tages-Anzeiger arbeitet: «Wir bestätigen, dass Kevin Brühlmann den Tages-Anzeiger verlassen hat. Es gab wiederholt unterschiedliche Auffassungen über Qualität im Journalismus. Wir bitten um Verständnis, dass wir uns zu Personalfragen nicht weiter äussern können», so Arthur Rutishauser, Chefredaktor der Redaktion Tamedia und der SonntagsZeitung und Mario Stäuble, Co-Chefredaktor Tages-Anzeiger.

Weiter sei die Qualität des Journalismus für Tamedia von höchster Priorität. So werde man die jüngsten Ereignisse zum Anlass nehmen, die internen Kontrollmechanismen weiter zu verbessern und die Kultur des Gegenlesens zu stärken, insbesondere im Hinblick auf sensible Sachthemen.

Protest aus der Redaktion

Wie die Republik berichtet, regt sich in der Redaktion des Tages-Anzeigers Widerstand gegen die K端ndigung. So habe die Redaktion am Dienstag mit einem Brief an Tamedia-Chef足redaktor Arthur Rutishauser und Verleger Pietro Supino protestiert. Darin fordere sie die Wiedereinstellung Br端hlmanns. Beim Portr辰t 端ber Rueff-Frenkel handle es sich 束um ein einmaliges Versagen損 und es sei ungerecht, dass Br端hlmann alleine daf端r geradestehen m端sse, obwohl die gesamte Qualit辰ts足sicherung versagt habe.

Zudem soll gem辰ss Recherchen der Republik Br端hlmanns Entlassung nicht allein mit dem misslungenen Portr辰t der Stadtrats足kandidatin begr端ndet worden sein. Vielmehr habe Br端hlmann den Groll von Verleger Supino auf sich gezogen, als er vergangenen November eine Recherche 端ber die geheimnis足umwitterte Baugarten-Stiftung publizierte. Dies sei auch nicht das erste Mal, dass sich Verleger Pietro Supino in redaktionelle Belange einmische.

Brühlmann selbst äusserte sich bisher nicht zu der Kündigung.

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