Schweiz
Interview

Jurassier sah den Kampfjet-Schlamassel mit dem F-35 voraus

Pierre-Alain Fridez
Pierre-Alain Fridez und sein Buch.Bild: Keystone / zvg
Interview

Er schrieb 2022 ein Buch darüber – dieser Jurassier sah den Kampfjet-Schlamassel voraus

Die F-35-Kampfjets werden teurer als geplant. Dies überrascht Kritiker des amerikanischen Kampfjets kaum. Einer von ihnen ist Nationalrat Pierre-Alain Fridez, der bereits 2022 ein Buch dazu veröffentlichte.
01.07.2025, 04:5701.07.2025, 08:04
Alexandre Cudré
Alexandre Cudré
Mehr «Schweiz»

Die F-35-Saga lässt die Schweizer Politik nicht zur Ruhe kommen. Jüngstes Kapitel: Bundesrat Martin Pfister hat Mehrkosten bestätigt, die Washington verlangt, obwohl das VBS versichert hatte, die Vertragspreise seien fix. Die Zusatzforderung beläuft sich auf 750 Millionen bis 1,35 Milliarden Franken.

Es herrscht Erklärungsnot. Kaum war die Nachricht publik, erklärte Washington, es handle sich um ein «Missverständnis» – ein Wort, das bei einem Vertrag über sechs Milliarden Franken für Unmut sorgt. Ganz neu ist die Kritik indes nicht: Nationalrat Pierre-Alain Fridez (SP/JU) gilt seit Jahren im Bundeshaus als einer der lautstärksten Kritiker des US-Kampfjets.

Im Juli 2022 legte er sogar ein Buch vor: «Der Entscheid für den F-35 – ein gewaltiger Fehler oder ein staatspolitischer Skandal?» Der provokativ betitelte Band listete schon damals etliche Schwachstellen des Beschaffungsprojekts auf, die heute offenkundig sind. War der Jurassier also ein Prophet – oder wie erkannte er die Probleme früher als alle anderen?

Das Interview

Herr Fridez, Martin Pfister hat Mehrkosten von bis zu 1,35 Milliarden Franken für den F-35 angekündigt. Was halten Sie davon?
Pierre-Alain Fridez: Das kommt nicht überraschend. Es ist bekannt, dass die Amerikaner bei solchen Geschäften mit sogenannten Letters of Offer and Acceptance (LOA – Angebots- und Annahmeschreiben) arbeiten, in denen der Preis nicht fixiert, sondern nur als Richtgrösse genannt wird.

«Das ist in den USA die Regel.»

Überraschend ist vielmehr die Rhetorik des Bundesrats und der Rechten: Sie begnügen sich damit zu behaupten, die Schweiz habe alles richtig gemacht und die Amerikaner hätten die Verträge gebrochen. Manche schieben das sogar auf Donald Trump – doch das ist ebenso falsch, denn die US-Behörden haben uns bereits im vergangenen Jahr, also unter der Biden-Regierung, auf steigende Preise hingewiesen.

In Ihrem Buch schrieben Sie bereits vor drei Jahren von beträchtlichen Kostenüberschreitungen. Es gebe keinen garantierten Preis. Wie sind Sie zu diesem Schluss gekommen?
Zunächst zur Produktionsorganisation in den Vereinigten Staaten: Der Handel läuft über die US-Regierung, die den F-35 bei den Herstellern – Lockheed Martin für das Flugzeug und Pratt & Whitney für das Triebwerk – erwirbt und ihn anschliessend zum gleichen Preis an ausländische Abnehmer weiterverkauft. Die Jets werden in Serienfertigung hergestellt, und zwar in sogenannten «Losen».

«Der ausgehandelte Preis kann sich von Los zu Los ändern, je nachdem, wie hoch die Produktionskosten ausfallen.»

Das zeigt sich bei den gestiegenen Rohstoffpreisen und der Inflation – absehbar, denn die Inflationskurve in den USA zeigt seit geraumer Zeit nur nach oben. 2022 wurde deutlich, dass Länder wie Norwegen oder Deutschland am Ende tiefer in die Tasche greifen mussten, weil die Produktionslose, in denen «ihre» Jets gefertigt wurden, bereits die Inflationsaufschläge enthielten. Ein Blick in die ausländische Presse – oder in die Berichte des Government Accountability Office, des US-Rechnungshofs – hätte gereicht, um das festzustellen.

Und weiter?

«Alle Kostenschätzungen rund um den F-35 sind in Bern zu tief angesetzt worden.»

Ob es nun um das Material selbst geht, um den Treibstoffpreis, die Pilotenlöhne, die Zahl der Ausbildungsstunden oder die Investitionen in Flugplätze für die gesicherten High-Tech-Hangars, die die USA verlangen – allein hier reden wir bereits von Hunderten Millionen Franken. Wir mussten sogar schon frühere Entwicklungsarbeiten in den USA rückvergüten, und von den Unterhaltskosten, die ab der Auslieferung anfallen, ganz zu schweigen.

Das sind «prohibitive Kosten», doch in Bern wurden sie nicht in der notwendigen Höhe einkalkuliert, obwohl Inflationsschübe und Preisanpassungen in anderen Nutzerstaaten längst sichtbar waren. Damit wurde klar, dass die vom VBS und Armasuisse kommunizierten Beträge mit der Realität wenig zu tun hatten.

Was würden Sie also sagen: Grober Fehler oder Staatsaffäre?
Nun, beides! Ich bin überzeugt, dass die zuständigen Kaderleute bei Armasuisse im Beschaffungsverfahren sehr wohl wussten, dass die LOA einen Fixpreis ausdrücklich ausschliesst – genau zu diesem Schluss kam auch die Eidgenössische Finanzkontrolle, nachdem sie die Verträge eingehend geprüft hatte.

Doch weil der «Kampfpreis» in der LOA gerade ausreichte, um innerhalb des Sechs-Milliarden-Kredits eine beachtliche Zahl von Jets zu beschaffen, hatten sie keinerlei Interesse, das offen einzuräumen.

«Ein deutlich höherer Preis wäre politisch kaum zu rechtfertigen gewesen.»

Das war nun wirklich nicht Viola Amherds Lieblingsdossier. Sie vertraute ihren Fachleuten blind und stellte keine kritischen Fragen. In einem SRF-Interview versprach sie allen Ernstes, falls Mehrkosten entstünden, würden die Amerikaner sie übernehmen – zum Schreien komisch. Glück hatten sie obendrein, dass die Verträge mit Washington im September 2022 unterzeichnet wurden – nur wenige Monate nach dem russischen Angriff auf die Ukraine –, also in einer Phase, in der es in Bern nahezu unmöglich war, Rüstungsgeschäfte zu hinterfragen. Jetzt, da sich der Staub gelegt hat, zeigt sich, dass genau das eintritt, wovor wir gewarnt haben.

In Ihrem Buch schreiben Sie, die Entscheidung für diesen Jet sei von einem «sehr kleinen Team» einflussreicher Kaderleute in Schlüsselpositionen bei Armasuisse getroffen worden – mit der vorbehaltlosen Unterstützung von Viola Amherd und dem Armeechef. Wie sind Sie zu diesem Schluss gekommen?
Das Evaluationsverfahren für den Jet verlief völlig intransparent, und sämtliche Unterlagen zur Beschaffung wurden unter Verschluss gehalten. Sie stehen unter Geheimhaltung und selbst die Sicherheitspolitischen Kommissionen des Parlaments (SiK) erhielten keinen Einblick.

«Aber ich habe mehrere Insider-Informationen erhalten.»

Mehrere Personen haben sich bei mir gemeldet und erzählt, dass einige hochrangige Verantwortliche bei Armasuisse den F-35 unbedingt wollten – und dafür die Testkriterien sowie die Gewichtung der Bewertungspunkte so zurechtgebogen haben, dass er zwangsläufig gewann. Beurteilt wurde etwa anhand fiktiver Szenarien von Bombardierungen in Tschechien oder Österreich, Missionen also, die nur der F-35 bestehen konnte und die mit den üblichen Luftpolizeieinsätzen, die ein Rafale günstiger erledigt hätte, kaum etwas zu tun haben. Die Namen dieser Kader kenne ich, nenne sie aber auf Wunsch meines Verlags nicht. Fest steht: Ein Teil von ihnen hat das Amt inzwischen verlassen.

Warum haben Sie dazu recherchiert?
Ich bin Parlamentarier und Mitglied der Sicherheitspolitischen Kommission. Da ist es nur legitim, dass ich in diesem Dossier für Aufklärung sorgen will.

«Aber man wollte meine Fragen nicht beantworten.»

Ein Dokument hat mich besonders erstaunt: Im Juni 2021, zwei Tage bevor sich der Bundesrat für den F-35 entschied, erhielt er vom Bundesamt für Justiz ein Rechtsgutachten, das den Kauf dieses Jets ausdrücklich empfahl. Darin wurde argumentiert, der finanzielle Abstand von zwei Milliarden Franken zu den Konkurrenten sei so gross, dass die Wahl des F-35 zwingend sei. Diese Differenz beruhte jedoch darauf, dass das VBS einen Monat zuvor eine 20-prozentige Kürzung der Flugstunden beschlossen hatte und so Einsparungen verbuchte. Das Gutachten schloss sowohl eine Gleichwertigkeit mit den übrigen Kandidaten als auch die Berücksichtigung aussen- und steuerpolitischer Kriterien aus – und hielt dennoch abschliessend fest, es dürfe «keinem Anbieter ein Vorteil eingeräumt werden».

«Es wirkt fast, als habe man ein bestimmtes Flugzeug begünstigen wollen – und dazu das Bundesamt für Justiz benutzt, um Druck auf den Bundesrat auszuüben.»

Einige beschuldigen Sie, in Verschwörungstheorien abzudriften. Was entgegnen Sie ihnen?
Ich bin gern bereit, das mit jedem zu diskutieren – in jeder Fernsehrunde oder Radiosendung! Damit wir uns richtig verstehen: Ich behaupte nicht, dass sich die Armasuisse-Kader persönlich bereichern wollten. Aber ich bin überzeugt, dass sie dieses Flugzeug um jeden Preis wollten, obwohl alle sachlichen Argumente dagegensprachen – weil sie von den USA fasziniert sind, von diesem Top-Gun-Glanz, vom «Jet der Zukunft» und so weiter.

Wer muss die Verantwortung übernehmen?
Zunächst muss man die Realitätsverweigerung beenden. Der Prüfbericht der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK) legt genau dieselben Probleme offen wie ich – und er ist bis heute unbeantwortet geblieben, was schlicht absurd ist.

«Es ist schlicht inakzeptabel, wenn ein Bericht der Eidgenössischen Finanzkontrolle – des obersten Finanzaufsichts-Organs des Bundes – keinerlei politische Konsequenzen nach sich zieht.»

Kommt eine parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) infrage?
Das wäre eine Idee, die ich durchaus unterstützen würde – nur bezweifle ich, dass die bürgerliche Parlamentsmehrheit mitziehen würde. Ich hatte innerhalb der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats eine Subkommission angeregt, die die weiteren Entwicklungen in dieser Angelegenheit im Lichte der aktuellen Ereignisse verfolgen sollte, doch dafür erhielt ich keine Rückendeckung.

«Denn die Probleme werden nicht abreissen.»

Nach dieser Preisexplosion werden als Nächstes die Betriebskosten für Schlagzeilen sorgen. Wir müssen nun endlich Klarheit schaffen, um das weitere Vorgehen mit den Amerikanern abzustecken. Übrigens – habe ich schon erwähnt, dass sie uns die Jets mit mangelhaften Triebwerken liefern werden, die wir gleich nach der Übergabe auf eigene Kosten austauschen müssen? Aber gut, das vertagen wir auf ein andermal …

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Die endlose Geschichte des Schweizer Atommülls
1 / 40
Die endlose Geschichte des Schweizer Atommülls

Die Schweiz hat ein Entsorgungsproblem, das auch hunderte, ja tausende Generationen nach uns betrifft und gefährden wird. Es ist der hochgiftige, stark strahlende Atommüll...

quelle: shutterstock
Auf Facebook teilenAuf X teilen
F-35A-Crash: Hier gehen 80 Mio. Dollar in Flammen auf
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
199 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Sisyphus
01.07.2025 05:54registriert Dezember 2021
Und am Ende ergibt alles einen Sinn, zum Beispiel der überstürzte Abgang von Amherd aus dem Bundesrat. Das Ganze ist mit Sicherheit kein Missverständnis, sondern von Anfang an so einkalkuliert. Wenn es keine Konsequenzen hat, wird es beim nächsten Geschäft wieder genauso ablaufen. Es ist Zeit, ein Zeichen zu setzen und den Kauf der Flieger zu sistieren, auch wenn es uns einiges kosten wird.
22512
Melden
Zum Kommentar
avatar
Gina3
01.07.2025 05:37registriert September 2023
Rechte Finanz-Parteien, die es verstehen, "die Staatsfinanzen sehr gut, ja wunderbar benissimo zu verwalten" (Ironie off), werfen linken Parteien immer wieder vor, sie würden die öffentlichen Gelder zum Fenster hinauswerfen.
➡️Die Realität ist, dass Gier und Prestige dieselben Lobby-Parteien blenden....
Und wenn sie sich dann nicht mehr zu wehren wissen, sagen sie (und das gilt als Refrain für Blocher, Trump über die diversen Maurer und Glarner) :

“Ach- es handle sich um ein Missverständnis”–
19615
Melden
Zum Kommentar
avatar
uicked
01.07.2025 06:42registriert Oktober 2017
Schon spannend, wie schnell man Geld hat, wenn man es ausgeben möchte, aber für Alles andere ist das Budget immer sehr knapp. Muss man sich schon Fragen.
1485
Melden
Zum Kommentar
199
Die Psychiatrie steckt in einer Sinnkrise – der verschmähte C. G. Jung könnte sie retten
Die vornehmlich auf Biologie fokussierten Ansätze der modernen Psychiatrie stecken in einer Sackgasse. Derweil stellen sich viele Thesen des Schweizer Psychiaters Carl Gustav Jung plötzlich als zumindest teilweise richtig heraus.
Hinter vorgehaltener Hand sprechen viele Psychiater das Dilemma ihrer Disziplin an: Die Psychiatrie heilt trotz aller möglichen Versuche kaum Patienten. Fachleute sprechen eher von Remission als Therapieziel. Also dem Zustand der Symptomfreiheit ohne Heilung. Doch selbst das wird bei vielen Krankheiten nur mit mässigem Erfolg erreicht: Bei schweren Depressionen liegt die Erfolgsrate für eine Remission oft nur bei Werten zwischen 40 und 70 Prozent. Denn die Patienten werden immer wieder rückfällig und die tatsächlichen Ursachen für psychische Erkrankungen sind nach wie vor unverstanden.
Zur Story