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Das Verfahren gegen Blatter bedeutet das Ende der FIFA, wie wir sie bisher kannten
Das Schweigen der Männer. So können wir es   sagen. Kein Wort ist gesprochen worden. Die   grosse Medienkonferenz wird einfach ohne   Erklärung abgesagt und die Weltöffentlichkeit   wird mit einer dürren schriftlichen Mitteilung   abgefertigt.
Und doch haben wir an einem wunderschönen   Herbsttag über die FIFA und ihr Innenleben, ihre   Zerrüttung und ihre neue Ohnmacht mehr   erfahren und gelernt als bei allen   Medienkonferenzen, die je vom   Weltfussballverband veranstaltet worden sind.   Wir haben den letzten Tag der alten FIFA erlebt.
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Auf Augenhöhe mit dem Papst
Die FIFA ist ja nicht einfach ein Sportverband.   Auch nicht bloss ein Milliardenunternehmen. Um   es ein bisschen salopp zu formulieren: Die FIFA ist   eine global vernetzte Männerrunde, die über   Milliarden nach Gutdünken verfügt. Die Mitglieder   sehen sich selber auf Augenhöhe (oder höher) mit Staatsoberhäuptern und dem Papst. Aber sie haben   alle ein Problem. Sie müssen sich bessern. Sonst   landen noch mehr in den Kerkern der   unerbittlichen Justiz.
Aber diese Besserung ist nicht ohne eine  tiefgreifende Reform der FIFA zu machen. Mit   ziemlicher Sicherheit wäre es einfacher gewesen,   den Kommunismus zu reformieren. Seit gestern   wissen wir, dass es tatsächlich so ist. Und längst   sind es nicht nur die «bösen» Amerikaner, die   Fussball-Sonnenkönig Sepp Blatter an den Kragen   wollen. Nun hat auch noch unsere   Bundesanwaltschaft ein Verfahren eröffnet.
11 oder 14 Uhr, wer weiss das schon
Das Exekutiv-Komitee der FIFA, die Fussball-Weltregierung, bestehend aus 24 Männern und   einer Frau (also eine Männerrunde), wollte nach zweitätiger Sitzung die   Reformvorschläge der Weltöffentlichkeit   präsentieren. Also die Massnahmen zur   moralischen und sonstigen Läuterung der FIFA.
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Die FIFA-Reformen interessieren die Welt. Es hätte ein grosser Tag werden sollen. Es wird auch   ein grosser Tag. Aber anders, als es alle erwarten.   Es wird der jüngste Tag für die FIFA. Ein   aufwändiges Anmeldungsverfahren ist für die   Chronistinnen und Chronisten in Gang gesetzt   worden. Wochen vorher hatte man sich   anzumelden. Ein persönlicher Ausweis mit Foto   wird für alle fabriziert. Nur so ist der Einlass auf   den Ölberg des Sportes hoch über Zürich möglich.   Im Grunde ist es ein Aufwand, der nur bei einem   Staatsbesuch zelebriert wird. Oder wenn ein   Staatsoberhaupt etwas zu verkünden hat.
Der Beginn der Offenbarung ist auf 11 Uhr  terminiert. Es könne aber auch 14 Uhr werden.   So muss es einst bei den Audienzen bei den   grossen Königen im Schloss Versailles gewesen   sein. Kommt um 11 Uhr herbei, seine Majestät   geruht euch zu empfangen – aber wann genau,   können wir nicht sagen. Man stelle sich vor, die   Kloten Flyers laden um 11 Uhr zur   Medienorientierung und geben zugleich eine   Warnung aus, es könnte 14 Uhr werden. Diese   Arroganz kann sich nur Sepp Blatters   Männerrunde leisten. Ob er wohl von vier Nubiern   in einer Sänfte in den Saal getragen wird? Man   hätte sich nicht verwundert.
Vergebenes Warten mit einem jähen Ende
Über 100 Chronistinnen und Chronisten,   Kameramänner und -frauen haben sich also vor   dem FIFA-Hauptsitz auf dem Zürichberg   versammelt. Ein eindrückliches Gebäude, das den   Charme diskreter Arroganz und Macht ausstrahlt.   Das Warten ist angenehm. Die Sonne wärmt, die   Brötchen sind frisch, die Getränke gratis, die   Diskussionen lebhaft. Die meisten erwarten ein   Pfingsterlebnis. Endlich werden wir erfahren,   werden wir erleuchtet, wie die FIFA reformiert   werden soll.
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Es endet wie der Turmbau zu Babel. Die Menschen  zerstreuen sich unverrichteter Dinge in alle Welt.   Keine Medienkonferenz. Kurz nach 15 Uhr   einfach abgesagt. Ohne Begründung. Noch ahnt   niemand, dass hinter der Absage noch etwas ganz anderes steht: das Verfahren unserer   Bundesanwaltschaft gegen Sepp Blatter. Er darf   gar nicht mehr Auskunft geben. Laufendes   Verfahren. Seine Büros werden durchsucht. Und   vorerst ahnungslos wie die Passagiere auf der   Titanic nach dem Zusammenstoss mit dem Eisberg   stehen alle vor dem FIFA-Hauptsitz. Noch nicht   wissend, dass wir den letzten Tag, den jüngsten   Tag der FIFA erleben. Der FIFA, wie wir sie kannten.   Mächtig, arrogant, glamourös, korrupt.
Wie wird die neue FIFA sein?
Für Transparenz und Reformen wird jetzt die Justiz   sorgen. Es braucht keinen Beschluss der FIFA-Vollversammlung mit Dreiviertelmehrheit.
Und wie wird die neue FIFA sein? Die FIFA ohne   Sepp Blatter, Michel Platini und ihre Freunde? Es   wird immer noch die FIFA der 209   Mitgliederländer sein, die letztlich mit ihren   Repräsentanten die Kultur der FIFA prägen,   bestimmen. In mehr als 150 dieser Länder werden   Sepp Blatter und seine Freunde nicht als korrupte   Funktionäre wahrgenommen. Sondern als alte   Krokodile verehrt. Daran wird sich nichts ändern.   Wird sich wohl nie etwas ändern.
Wer glaubt, es werde sich bei der FIFA wirklich   dauerhaft etwas Grundlegendes ändern, ist so   naiv wie jene, die glaubten, VW sei eine ehrliche   Autofabrik. Die FIFA, wie wir sie kannten, gibt es   zwar nicht mehr. Die Männer, die die FIFA so   regierten, wie wir es kannten, werden nicht an die   Macht zurückkehren. Aber ihre Nachfolger   werden durch die Milliarden, die sie weiterhin zur   Verfügung haben, eher früher als später so oder   ähnlich werden wie ihre Vorgänger. Aber sie   werden schlauer sein. US-Justiz hin,   Bundesanwaltschaft her.



