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«Die Geldpolitik der letzten Jahre ist ein gross angelegtes Experiment»

Felix Brill, Chefökonom bei Wellershoff & Partners.
Felix Brill, Chefökonom bei Wellershoff & Partners.Bild: Miguel Kratzer
Wirtschaftsprognosen 2014

«Die Geldpolitik der letzten Jahre ist ein gross angelegtes Experiment»

Wie entwickelt sich die europäische Wirtschaft nach der Rezession? Ist der globale Aufschwung nachhaltig? Ökonom Felix Brill stellt Prognosen und sagt, wie akut die Gefahr für einen Rückschlag ist. 
20.01.2014, 15:0923.10.2015, 08:38
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Felix Brill, die längste Rezession in der Geschichte der Eurozone ist passé. Was bringt 2014?
Mehr gute Nachrichten aus Europa und weltweit mehr Wachstum.  

Woher nehmen Sie diesen Optimismus?
Unter anderem aus Umfragen bei Unternehmen und Konsumenten. Aber die Erholung beginnt sich auch in den realwirtschaftlichen Daten zu zeigen. Zudem fallen immer mehr Sonderfaktoren weg, die das Wachstum in den letzten Jahren belastet haben. So sparen die Staaten zum Beispiel weniger – die Euroländer, weil sie nicht mehr müssen, die USA, weil sie nicht mehr wollen.

Steht der gegenwärtige Aufschwung auf stabilem Sockel?
Das Umfeld ist leider immer noch fragil. Wir dürfen nicht vergessen, woher wir kommen. Letztes Frühjahr hätte nicht viel gefehlt und die Weltwirtschaft wäre nochmals in eine Rezession gerutscht. Viele strukturelle Probleme sind noch nicht gelöst. 

Welche?
Stichwort Staatsfinanzen. Der amerikanische Staat hat in den letzten Jahren durchaus gespart, die halbherzigen Bemühungen wurden mit dem jüngsten Haushaltskompromiss aber bereits wieder eingestellt. Dabei ist die amerikanische Haushaltspolitik weit davon entfernt, nachhaltig zu sein. Oder denken Sie nur an Japan mit einem Haushaltsdefizit von zehn Prozent und einer Verschuldung von weit über 200 Prozent des Volkseinkommens. Daneben dürfen wir nicht vergessen, dass die gegenwärtige Erholung sehr stark von der Geldschwemme der Notenbanken begünstigt ist.

Felix Brill
Bei Wellershoff & Partners beschäftigt sich der Ökonom Felix Brill vor allem mit makroökonomischen Trendanalysen sowie der Entwicklung von Frühwarnsystemen. Vor seiner Zeit bei Wellershoff & Partners war er drei Jahre im Wealth Management Research von UBS tätig, zuletzt als Leiter Economic Research Schweiz. In dieser Funktion war er für die Konjunkturanalyse sowie für die interne und externe Kommunikation von Themen rund um die Schweizer Wirtschaft verantwortlich. (sza)

Brill über die Entwicklung der globalen Wirtschaft

Eine künstliche Erholung also? 
Man kann auch mit einer leichten Erkältung ganz gut leben, wenn man zuvor eine Lungenentzündung hatte. Vor allem, wenn man immer noch auf all die Medikamente zurückgreifen kann. Die Frage lautet aber: Was passiert, wenn die Medikamente abgesetzt werden?  

Sie meinen, wenn die Notenbanken den Geldhahn zudrehen?
Ja. Man hörte zuletzt ja immer wieder, die Fed nehme durch die Reduzierung ihres Anleihekaufprogramms den Fuss vom Gaspedal. Das ist aus zwei Gründen ein falsches Bild: Noch kauft die Fed monatlich US-Staatsanleihen und Hypothekenpapiere im Wert von 75 Milliarden US-Dollar auf. Das Gaspedal ist also noch ganz ordentlich durchgedrückt. Tempo rausnehmen sieht für mich anders aus.

Was ist der zweite Grund?
Wenn man den Zusammenhang zwischen Geldmenge, Wirtschaftswachstum und Inflation verstehen möchte, darf man nicht nur auf die Veränderung der Geldmenge schauen, sondern viel eher auf deren Bestand. Selbst wenn die amerikanische Notenbank das gegenwärtige Kaufprogramm ganz einstellen sollte, bleibt die Tatsache, dass die Liquidität immer noch immens hoch ist. So hat sich die Bilanzsumme der Fed seit der Finanzkrise verfünffacht. Das Bild des Autos suggeriert zudem Agilität. Bremsen, Gas geben, links, rechts - alles kein Problem.

«Selbst wenn die amerikanische Notenbank das gegenwärtige Kaufprogramm ganz einstellen sollte, bleibt die Tatsache, dass die Liquidität immer noch hoch ist.»
Felix Brill

Aber?
Die Fed sitzt vielmehr im Kontrollzentrum eines riesigen Ozeandampfers. Schnell abbiegen oder kurz auf die Bremse drücken liegt nicht drin. Das braucht Zeit. Man darf nicht vergessen, dass die Geldpolitik der letzten Jahre ein gross angelegtes Experiment ist, für das wir praktisch keine Erfahrungswerte besitzen. Wir wissen nicht, was die langfristigen Konsequenzen sein werden.  

Ein immenses Risiko?
Ja, vor allem im Hinblick auf die Finanzstabilität. Selbst der scheidende Fed-Vorsitzende Ben Bernanke musste kürzlich einräumen, nicht genau zu wissen, wie hoch diesbezüglich das Risiko sei. Vielleicht säen wir heute die Saat für die nächste Krise. Das wird uns die kommenden Jahre stark beschäftigen. Momentan zieht sich die Fed auf den Standpunkt zurück, dass der Nutzen der gegenwärtigen Politik grösser sei als deren Kosten. Ähnliche Argumente hörten wir jedoch bereits nach dem Platzen der Internetblase.

Inflation? Wo denn? Für den abtretenden Chef der US-Notenbank Fed, Ben Bernanke, ist die Angst vor einer Inflation unbegründet. Bild: KEYSTONE 

Damit bleibt auch die Inflationsgefahr bestehen?
Die Inflationsrate liegt in den USA derzeit bei 1,5 Prozent. Kein Problem also, möchte man meinen. Zu sicher sollten wir uns allerdings nicht sein. Berücksichtigt man etwa die immense Geldmengenausweitung, kann man zeigen, dass das Inflationspotential so hoch ist wie in den 1970er Jahren. Wie gesagt: Wir befinden uns auf einem behäbigen Dampfer, dessen Reaktionszeit ziemlich langsam ist. Mit anderen Worten: Kann und will die Fed im Falle schnell steigender Inflationsraten überhaupt intervenieren? Solche Manöver sind ja immer auch mit Kosten verbunden. Zudem sind die Instrumente, die der Fed zur Verfügung stehen, um diesen Dampfer zu steuern, sehr ungenau. 

Legen wir den Fokus auf Europa. Heute wissen wir, dass die EZB einiges richtig gemacht hat. Kommt Europa nun gestärkt aus der Krise?
Ja. Grund dafür ist aber weniger die Geldpolitik, sondern die Strukturreformen auf nationaler und europäischer Ebene. Denken Sie nur an den Fiskalpakt, die Schuldenbremse oder das Europäische Semester, um nur einige Beispiele zu nennen. Und obwohl die Bankenunion nur langsam voran kommt, geht auch dieses Ansinnen in die richtige Richtung. EZB-Präsident Mario Draghi hat der Politik Zeit erkauft. Das war wichtig.

«Die Lage verbessert sich auch in den Krisenländern. Und das nicht nur auf dem Papier.»
Felix Brill

Offensichtlich zeigen die Massnahmen Wirkung. Doch sie haben in den einzelnen Staaten zu enormen sozialen Spannungen geführt - vor allem in Spanien und Griechenland.
Es war und ist für viele Länder immer noch eine harte Zeit. Ein Blick auf die Arbeitslosenquoten von Griechenland und Spanien unterstreicht dies. Dennoch sehen wir Anzeichen dafür, dass sich die Lage auch in den Krisenländern langsam verbessert. Und das nicht nur auf dem Papier.

Brill über die wirtschaftlichen Baustellen Europas

Die Reformen greifen also in der Realwirtschaft?
Umfragen der EU in den entsprechenden Ländern haben gezeigt, dass sich die Stimmung bei Unternehmen und Konsumenten in den letzten Monaten deutlich verbessert hat. Das gilt insbesondere für Spanien, Italien, Portugal und Zypern. Positiv ist auch, dass die Unternehmen langsam wieder beginnen, Leute einzustellen. Doch die Lage bleibt fragil. Rückschläge sind nicht auszuschliessen.  

Welche Länder der EU bereiten Ihnen am meisten Sorgen?
Frankreich. Das Land müsste dringend Strukturreformen auf den Weg bringen. Auch konjunkturell ist Frankreich nicht auf Rosen gebettet. Und natürlich das ewige Sorgenkind Griechenland. Unklar bleibt, ob das Land nochmals einen Schuldenschnitt braucht, ob noch mehr Geld fliessen muss.

Die Finanzmärkte scheinen sich kaum noch für Griechenland zu interessieren. Was zeigt, dass das Gros der Investoren dem Krisenland den Rücken gekehrt hat.
Griechenland kann für Investoren mit entsprechend grosser Risikobereitschaft durchaus interessant sein. Irland lag auch am Boden und ist wieder erfolgreich an die Kapitalmärkte zurückgekehrt.

Nationalbankpräsident Thomas Jordan ist weiter in Sorge über die Entwicklung auf dem Hypothekar- und Immobilienmarkt. Bild: KEYSTONE

Kommen wir zur Schweiz. Ihr Ausblick für 2014?
Die Schweizer Wirtschaft ist weiterhin auf einem guten Wachstumspfad. Allerdings gehe ich davon aus, dass sich die Wachstumskräfte verlagern werden. So zeigen sich in der Binnenwirtschaft gewisse Sättigungstendenzen. Dafür sind die Aussichten für die Exportwirtschaft endlich wieder besser.

«Vom Steuerstreit mit den USA über die Frage nach dem automatischen Informationsaustausch – Baustellen gibt es genügend»
Felix Brill

Wie lange wird die Nationalbank die Wechselkursuntergrenze noch verteidigen? Ihre Prognose?
Die Schweizer Wirtschaft wächst mit etwa zwei Prozent, die Konsumentenpreise fallen nicht mehr und die Lage in Europa ist bei weitem nicht mehr so krisenhaft wie noch zur Einführung der Wechselkursuntergrenze im September 2011. Damit hat sich die Ausgangslage grundlegend verändert. Hinzu kommt, dass die Nationalbank nach eigenen Aussagen immer noch über die Entwicklung auf dem Hypothekar- und Immobilienmarkt besorgt ist. Ohne die Wechselkursuntergrenze hätte sie mehr Spielraum, darauf zu reagieren.

Brill über die Schweizer Wirtschaft

Im Kampf gegen die Überhitzung des Immobilienmarkts hat der Bundesrat auf Antrag der Nationalbank den antizyklischen Kapitalpuffer erhöht. Wie bewerten Sie diese Massnahme?
Dieser Schritt kommt nicht überraschend. Vertreter der Nationalbank hatten in den letzten Wochen mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass die Übertreibungen auf dem Hypothekar- und Immobilienmarkt weiter zugenommen hätten und dass sie besorgt darüber seien. Dass man sich gleich für eine Verdoppelung entschieden hat, ist ein deutliches Signal. Allerdings schätze ich den direkten Effekt auf die Kreditvergabe als eher gering ein, da die meisten inlandorientierten Banken ohnehin über eine gute Kapitalbasis verfügen.

Ein weitere Baustelle ist der Finanzplatz. Was ist zu erwarten?
Das Umfeld bleibt anspruchsvoll. Vom Steuerstreit mit den USA über die Frage nach dem automatischen Informationsaustausch – Baustellen gibt es genügend. Diese werden kaum alle 2014 behoben werden.  

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