John Maynard Keynes, der bedeutendste Ökonom des letzten Jahrhunderts, hat Gold als «barbarisches Relikt» bezeichnet. Er hatte allen Grund dazu. Das unsinnige Festhalten am Goldstandard der Briten, Amerikaner und Franzosen war ein massgeblicher Grund für die Wirtschaftskrise nach dem Ersten Weltkrieg. Erst als die Depression in den Dreissigerjahren ihren Höhepunkt erreichte, wurde die Bindung des Geldes an das Gold aufgehoben.
Das jedoch hat nicht dazu geführt, dass die Liebe zum «barbarischen Relikt» erkaltet ist. Bis heute sind die sogenannten «gold bugs» keineswegs ausgestorben. Derzeit können die Goldkäfer triumphieren. Der Goldpreis kennt nur noch eine Richtung, nach oben, und eilt von Rekord zu Rekord. Weshalb eigentlich?
Der wichtigste Grund ist Angst vor Inflation, und diese Angst wiederum ist die Folge eines Vertrauensverlusts in den Dollar und die amerikanischen Staatsanleihen. Die zehnjährigen T-Bonds sind der wichtigste Anker des internationalen Finanzsystems, doch die Schuldenpolitik der USA hat dazu geführt, dass die Investoren ihnen immer weniger zugeneigt sind.
Das jährliche Staatsdefizit der USA liegt derzeit über sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), ein Wert, der eigentlich nur in einer Krise wie der Pandemie oder in einem Krieg erreicht werden dürfte. Insgesamt haben die Amerikaner mittlerweile einen Schuldenberg von über 30 Billionen Dollar angehäuft, das entspricht rund 120 BIP-Prozenten.
Dabei hat sich die US-Wirtschaft sehr gut von der Pandemie erholt. Die Arbeitslosigkeit ist für amerikanische Verhältnisse mit rund vier Prozent tief, die Inflation nähert sich der von der Notenbank angestrebten Zwei-Prozent-Marke. Selbst die erratische Zollpolitik von Donald Trump hat bisher zu keiner nennenswerten Abkühlung der Wirtschaft geführt. Derweil haben sich die Aktienbörse vom «Schock des 2. Aprils» erholt und bewegen sich wieder auf neuen Rekordhöhen.
Warum also in Gold investieren? Die Investoren trauen der Wirtschaftspolitik von Trump nicht. Seine «Big and Beautiful Bill» (BBB), das Gesetz, das eine massive Steuererleichterung vor allem für die Reichen, höhere Ausgaben für den Schutz der Grenzen und die Armee vorsieht, hat den Nachteil, dass die Schulden weiterhin wachsen werden. Und zwar kräftig.
Gemäss Berechnungen des Congressional Budget Office, einem überparteilichen Thinktank, der die Auswirkungen der Politik auf die Staatsfinanzen verfolgt, wird das BBB die amerikanischen Staatsschulden jährlich um rund drei Billionen Dollar erhöhen.
Der Staat muss damit weiterhin Geld in grossem Stil aufnehmen, und weil dieses Geld nicht investiert, sondern für Steuergeschenke gebraucht wird, steigt damit die Inflationsgefahr. Deshalb hat der Anleihenmarkt anders reagiert als der Aktienmarkt.
Die Rendite der T-Bonds ist nach dem 2. April – der Ankündigung von Trumps «reziproken Zöllen» – rund 100 Basispunkte in die Höhe geschossen und pendelt seither um die 4,5-Prozent-Marke, ein hoher Wert. Zum Vergleich: Die Rendite der zehnjährigen Staatsanleihe der Schweiz liegt derzeit unter 0,5 Prozent.
Selbst die hohe Rendite reicht nicht aus, um die Investoren bei der T-Bond-Stange zu halten. Sie stossen es in rauen Mengen ab. Die «Financial Times» spricht gar von einem «Exodus» und stellt fest: «Das zweite Quartal ist im Begriff, den grössten Exodus seit den schweren Marktturbulenzen anfangs 2020 zu erleben und bildet eine markante Abkehr von den normalen Zuflüssen der letzten zwölf Quartale.»
Ebenfalls in der «Financial Times» stellt die Kolumnistin Gillian Tett fest, dass der Vertrauensverlust in die USA mittlerweile so gross ist, dass viele Länder versuchen, ihr beim New Yorker Federal Reserve gelagertes Gold zu repatriieren. «Wir sind sehr besorgt darüber, dass Donald Trump die Unabhängigkeit der Notenbank nicht mehr respektiert», heisst es dazu in einer Begründung der Taxpayers Association of Europe.
Nicht nur die amerikanischen Staatsschulden explodieren. Um der wachsenden Gefahr einer russischen Aggression zu begegnen, haben die NATO-Staaten soeben eine massive Erhöhung der Rüstungsausgaben beschlossen. Das wird deren Staatsschulden, die sich heute schon auf sehr hohem Niveau bewegen, noch weiter erhöhen. Denn wie der «Economist» feststellt: «Es ist politisch unmöglich, den dazu benötigten Betrag mit Einsparungen und Steuererhöhungen zu erhalten.»
Ökonomisch gesehen ist der Glaube an das gelbe Metall irrational. Mit grösster Mühe wird das Gold aus der Erde gegraben, nur um umgehend zum grössten Teil wieder unter der Erde sicher gelagert zu werden. Es wirft keine Rendite ab und es fördert keine Investitionen. Sein Wert besteht darin, dass es nicht gefälscht werden kann. Deshalb wird es in Krisenzeiten gehortet.
Derzeit ist die Angst vor einer Krise so weit verbreitet und die Steigerung des Goldpreises so hoch, dass die Rendite gar noch grösser ist als im Drogengeschäft. Deshalb ist die südamerikanische Drogenmafia im grossen Stil ins Goldgeschäft eingestiegen. Das führt dazu, dass die Gewalt in illegalen Goldminen in Peru und Brasilien massiv zugenommen hat.
Unter den illegalen Goldminen leidet auch die Umwelt. «Kriminelle Banden holzen den Urwald im Amazon ab, um Gold zu schürfen», stellt der «Economist» fest. «Im Jahr 2018 waren dies rund eine Million Hektaren. Bis Ende 2024 hat sich diese Zahl verdoppelt, meistens in geschützten Gebieten. Zudem vergiftet Quecksilber, das für die Goldgewinnung gebraucht wird, viele Nebenflüsse des Amazonas.»
So gesehen hatte Keynes recht: Gold ist nach wie vor ein «barbarisches Relikt».