Herr Killias, die Kriminalität geht zurück, die Jungen werden brav. Wird es jetzt langweilig in der Schweiz?
Martin Killias: Da müssen Sie sich keine Sorgen machen. Im europäischen Vergleich ist die Kriminalität hierzulande immer noch recht hoch.
Bei Vermögensdelikten vielleicht.
Ja, dort sind wir in der Spitzengruppe.
Trotzdem; Tötungsdelikte, Diebstähle, Körperverletzungen – die Kriminalität ist verglichen mit 2009 auf Tiefstständen.
Das ist so. Zudem zeigen die Zahlen von Sucht Schweiz, dass die Jugendlichen weniger Drogen konsumieren. Das passt ins Bild. Die Schweiz hat viel in Sicherheit und Prävention investiert. Aber natürlich versucht jetzt jeder den Erfolg auf sein Konto zu verbuchen.
Sicherheit hat ihren Preis. Viele Jugendliche beklagen sich darüber, ständig kontrolliert zu werden.
Aber es wirkt. Wer grosse Kriminelle verhindern will, muss es den Kleinen möglichst schwer machen, delinquent zu werden. Das ist erwiesen. Kleine Delikte in jungen Jahren sind das Trainingsfeld für spätere Delikte.
In einer Strassenumfrage von watson mutmassten einige Jugendliche, die Jungen von heute wüssten ihre Delinquenz einfach besser zu verstecken.
Das glaube ich nicht. Der Rückgang der Jugendkriminalität bewegt sich um die 10 Prozent. Das ist im realen Leben vielleicht nicht spürbar. Aber klar ist: Die Strassen wurden sicherer. Die Kriminalität hat sich aus dem öffentlichen Raum bewegt. Bei der häuslichen Gewalt ist übrigens kaum ein Rückgang zu spüren. Die Kriminalität geht im privaten Raum weiter.
Wurden die Jugendlichen von der Strasse vertrieben?
Vertrieben würde ich nicht sagen, aber ein Rückgang ist plausibel. Dazu hat aber auch das Ende des Nightclub-Booms beigetragen. Vor ein paar Jahren sprossen die Clubs nur so aus dem Boden. Diese Entwicklung stagniert. Weniger Junge im Ausgang heisst weniger Gewalt im öffentlichen Raum.
Da müssen wir uns nicht wundern, wenn sie nur noch mit dem Handy spielen und zu Hause bleiben.
Diese Tendenz existiert.
Ist der Rückgang bei der Jugendkriminalität der einzige Grund für die positiven Kriminalitätszahlen?
Natürlich nicht. Die Grosswetterlage hat sich geändert. Der Rückgang ist interkontinental zu spüren. Es ist schwieriger geworden, Straftaten zu begehen.
Können Sie Beispiele nennen?
Die Läden haben technisch massiv aufgerüstet, um Diebstahl zu verhindern. Der öffentliche Raum ist stärker überwacht, was Sachbeschädigungen verhindert. Der Fokus auf Kontrolle in den Wohnquartieren zeigt Wirkung. Ausserdem wird stärker gegen Kriminaltouristen vorgegangen.
Inwiefern?
Früher liess man Kriminaltouristen oft nach wenigen Stunden wieder laufen. Das ist heute anders. Es ist aber auch generell weniger interessant geworden, in der Schweiz zu stehlen: Elektronische Geräte und Antiquitäten sind weniger wert. Auch der Goldpreis ist nicht mehr das, was er einmal war.
Auch die Asylbewerber sind weniger kriminell, wieso?
Das hat mit den Asyltrends zu tun. Mit den politischen Umstürzen in den arabischen Staaten 2012 und der Öffnung der Gefängnissen in einigen Staaten kamen Asylbewerber mit ganz anderen Motiven zu uns. Flüchtlinge aus grässlichen Bürgerkriegen wie die aus Syrien oder dem Irak bringen eine andere Asylmotivation mit.
Wagen Sie eine Prognose? Wird die Schweiz noch sicherer?
Nein. Die Parameter können sich schnell ändern.