Sex und religiöser Glaube vertragen sich wie der Teufel und das Weihwasser. Gar nicht. Oder anders herum: Am Sex beissen sich Glaubensgemeinschaften die Zähne aus.
Dabei geraten sie regelmässig in Teufels Küche. Das Hauptproblem: Die Sexualität ist in der Regel stärker als der religiöse Glauben. Das ist für geistliche Führer eine narzisstische Kränkung. Gegen den Sexualtrieb haben ihre Gebote und Dogmen meist keine Chance.
Diese schmerzliche Erfahrung machen vor allem die monotheistischen Weltreligionen Christentum, Islam und Judentum. Die Geschichte dieser Buchreligionen ist geprägt von einer Sexualfeindlichkeit, unter der Millionen Menschen gelitten haben. Und teilweise heute noch leiden.
Das ist erstaunlich, wird doch im Alten Testament die Sexualität in blumigen Worten beschrieben. Doch Ehebrecher sollen hingerichtet werden.
Das Neue Testament ist prüder. So kommen Ehebrecher in die Hölle. Und Jesus warnt, dass nur schon der Wunsch nach Ehebruch ausreicht, um den ganzen Körper in die Hölle zu werfen. (Matthäus 5,27-30) Auch Homosexualität wird kritisiert, wenn auch nur an ein paar Stellen.
Die katholische Kirche und die Freikirchen haben auch heute noch ein angespanntes Verhältnis zur Sexualität. Geistliche müssen - respektive sollten - zölibatär leben. Laut dem katholischen Katechismus ist Homosexualität eine Sünde. Dabei ist völlig unbestritten, dass ein beträchtlicher Teil des katholischen Klerus homosexuell ist.
Ausserdem zeigen die vielen Sexskandale, dass der Trieb stärker ist als alle Gelübde, Dogmen und die Loyalität Gott gegenüber. Freikirchen bezeichnen sogar den Sex vor der Ehe als Sünde. Und in manchen islamischen Ländern müssen Frauen ein Kopftuch tragen oder sich in der Öffentlichkeit komplett verhüllen.
Wie verkrampft das Verhältnis von Sexualität und Glaube in vielen Freikirchen ist, zeigt ein Video von Susanna und Leo Bigger von der grossen Freikirche International Christian Fellwoship (ICF).
Der Senior Pastor und seine Frau geben sich zwar offen und fortschrittlich, doch im Kern ist ihre Haltung ähnlich anachronistisch wie bei den meisten Freikirchen.
Für den Pastor gibt es beim Sex «eine göttliche Perspektive und eine weltliche, bei der alles ein bisschen pervers gemacht wurde». Seine Frau Susanna ergänzt: «Wir können die Sexualität nicht einfach dem Trieb überlassen. Wir müssen in der Sexualität dienen, uns aufopfern.»
Sex ist für sie ein Geschenk, etwas Göttliches, Heiliges. «Wir sind der Tempel des Heiligen Geistes», sagt sie. Und: «Gott ist kein prüder Gott, die Bibel ist kein prüdes Buch. Liebe ist eine geistige und seelische Einheit, die Gott geschaffen hat.»
Doch wie verhält man sich, wenn einem der Sexualtrieb übermannt? Leo Bigger hat ein Rezept: «Du kannst die Sexualität schlafen legen.» Wir würden hingegen dazu gedrillt, dass Sex der neue Gott sei.
Schliesslich übt sich der Pastor in einer astreinen Jugendsprache, um zu demonstrieren, dass er nicht verklemmt ist: «Früher, wenn du Mönch geworden bist, warst du auch rattenscharf und spitz. Sie haben bewusst die Sexualität einschlafen lassen, und dann schläft sie und schläft sie und schläft sie. Sie haben die Sexualität Gott abgegeben. Sie haben gesagt, Intimität ist nicht Sex. Wir haben eine Intimität mit Gott.»
Du heiliges Bimbam! Sex schlafen legen! Da der Sextrieb von komplexen Körperfunktionen gesteuert wird, bei der viele Hormone und Nerven im Spiel sind, müssten wir wohl unseren Schädel zertrümmern, um diesen Trieb schlafenlegen zu können.
Dann kommt Leo Bigger auf die Pornographie zu reden. «Der Teufel schiebt uns in die Einsamkeit hinein.» Seine Botschaft: Wer einsam ist, konsumiert eher Porno. Sein Fazit: «Porno ist die grösste Sucht. Grösser als Drogen. Man kommt fast nicht mehr davon los.»
Anschliessend packen die beiden ein heisses Eisen an: «Darf man sich befriedigen, wenn man Single ist», fragt Leo Bigger. «Gibt es eine Bibelstelle dazu?»
Seine Frau gibt keine konkrete Antwort, sondern erklärt: «Beim Sex findet eine Entspannung statt. Ich habe nach Sex auch schon geweint. Es gibt andere Möglichkeiten, die den Körper zur Entspannung bringen. Sport ist eines dieser Dinge.»
Ihr Mann ergänzt, die Bibel sage nicht viel darüber. Das Problem sei nicht die Selbstbefriedigung, gefährlich seien die Pornos, die man anschaue und nicht so schnell wieder vergesse. Die Botschaft an die Gläubigen: Onanie ist für Unverheiratete ein gefährliches religiöses Terrain.
Leo Bigger fragt seine Frau, ob man onanieren dürfe, wenn man verheiratet ist. Ihre Antwort: «Wenn es beide machen und sich dabei anschauen, kommt keiner zu kurz.»
Der Pastor fragt sich schliesslich, wann Sex Sex sei und gibt die Antwort gleich selbst: Es gebe eine einfache Regel. Wenn man verliebt sei, seien Berührungen vom Hals an aufwärts erlaubt, wenn man verlobt sei, reiche die Zone bis zum Bauchnabel hinunter, und für Verheiratete stehe der ganze Körper zur Verfügung.
Hier offenbart sich das ganze Dilemma eines kindlich-naiven Glaubens: Die komplexe Realität wird auf simple Antworten und Lösungen reduziert.
Bei der entscheidenden Frage, ob Sex vor der Ehe erlaubt sei, sind die beiden wortkarg. Sie verweisen auf die Bibel, Diese äussere sich ablehnend.
Susanna Bigger erklärt weiter, bei Problemen mit dem Sex in der Ehe soll man mit dem Partner sprechen und dem Heiligen Geist sagen, ich brauche Hilfe.
Leo Bigger mahnt am Schluss, dass die sexuelle Sünde jene sei, «die am meisten zerstört». Deshalb empfiehlt er: «Gehe in den Dialog mit Jesus und bitte ihn, ein Wunder zu vollbringen.»
Susanna und Leo Bigger und ihre Tausenden gläubigen Schäfchen im deutschsprachigen Raum würden Jesus besser bitten, er möge im Gazastreifen ein Wunder bewirken, auf dass die hungernden und verletzten Kinder vor dem drohenden Tod gerettet werden.