Es ist schwül im Gerichtssaal 203 am Landesgericht für Strafsachen Wien und Richter Wilhelm Mende kann sich ein Stöhnen zwischendurch nicht verkneifen: Durch Aktenberge aus 232 angeklagten Fakten, hunderten Graffiti-Fotos und 77 Zeugenaussagen hat er sich zu wühlen.
Auch Renato S. schaut sich jedes der Fotos an: «Kann ich nicht sagen, ob das von mir ist», «Das ist nicht von mir» oder «Das könnte von mir sein», sagt er dann mit leiser Stimme und versteinerter Miene. Er glaube, dass es schon Puber-Tags in Wien gab, bevor er hier angekommen ist, hatte er bei seiner Aussage zuvor zu Protokoll gegeben. «Ich habe das Tag vielleicht 20 bis 30 Mal verwendet.»
Auch Verteidiger Phillipp Bischof meint: «Das Puber-Tag hat sich zu einem Hype entwickelt. Es ist unbestritten, dass es noch andere Puber gibt. Meinem Mandanten können nicht alle Schriftzüge angehängt werden.»
Denn dieser Puber sprayt PUBeR, mit kleinem e. Andere schreiben PUBER oder verzieren die Buchstaben mit Herzchen oder Schnörkeln. Renato S. wird man wohl höchstens die ersteren anlasten können. Verteidiger Bischof ist nach dem ersten Prozesstag jedenfalls zufrieden: «Es läuft nicht schlecht», sagt er.
Das könnte so bleiben: Nur zwei der heute anwesenden 15 Zeugen hatten Renato S. tatsächlich beim Sprayen erwischt und ihn heute identifiziert. Alle anderen sahen nur Pubers Spuren – aber nicht, von welchem Puber genau die Spuren stammen. Einige von ihnen werden die Kosten für die Reinigung bei einer Verurteilung auf zivilrechtlichem Weg einzuklagen versuchen.
Schwere Sachbeschädigung mit einem Gesamtschaden von 50'000 Euro werden Renato S. angelastet. Eine Summe, die gemäss Staatsanwalt Markus Berghammer mit den in Wien vorhandenen Puber-Tags noch bei weitem übertroffen werde.
Staatsanwalt Berghammer hatte die Puber-Sprayereien zuvor als Plage und nicht als Kunst bezeichnet. Er will dem Angeklagten für alle 232 angeklagten Fakten den Prozess machen. Allein – ihm fehlen bislang handfeste Beweise. Das grafologische Gutachten, das als Beweis herhalten sollte, rückte schon am ersten Prozesstag merklich in den Hintergrund. Die darin enthaltenen Erkenntnisse sind zu ungenau. Der Grafologe wird nicht einmal als Zeuge vor Gericht aussagen.
Zumindest würden konfiszierte Bilder auf Renato S.' Laptop eindeutig beweisen, dass der Angeklagte der Graffiti-Szene angehört. Das allerdings ist noch keine Straftat. Einmal wurde der Schweizer zudem inflagranti von einem Security erwischt, einmal von einer Überwachungskamera gefilmt. Wie viele Fälle man Renato S. auf Grund dieser Vorkommnisse tatsächlich anlasten kann, ist mehr als fraglich.
Dennoch besteht der Staatsanwalt darauf: Renato S. hat sich im Sommer 2013 in Wien niedergelassen weil er sich vor einem Ermittlungsverfahren in der Schweiz fürchtete und hier begonnen «systematische Sachbeschädigung» zu betreiben.
Verteidiger Bischof hingegen kritisierte den eingereichten Strafantrag heftig. In den 232 Anklagepunkten würden teilweise Tatorte und Tatzeiten fehlen, zudem seien gewisse Schriftzüge doppelt angeklagt. Die Staatsanwaltschaft versuche mit ihrer Anklageschrift zu suggerieren, dass es ihr nach langer Suche gelungen sei, den Puber erwischt zu haben. «Aber wo Puber drauf steht, ist nicht immer Puber drin.»
Bischof streicht heraus, dass das Bekritzeln oder Beschmieren einer Wand zwar Verschmutzung, aber nicht unbedingt Sachbeschädigung sein muss. Sein Ziel: Die Schadenssumme und somit das Strafmass so weit als möglich herunter zu drücken.
Am zweiten Prozesstag gehen die Zeugenbefragungen und Analysen der unterschiedlichen Schriftzüge weiter. Ein Urteil wird am Donnerstagabend erwartet. Renato S. drohen 6 Monate bis 5 Jahre Haft. So hoch dürfte die Strafe aber nicht ausfallen. Und da er seit fünf Montan in Untersuchungshaft sitzt – Zeit, die einer allfälligen Haftstrafe abgezogen würde – wird er vielleicht bald schon wieder auf freiem Fuss sein.