
Sag das doch deinen Freunden!
Mit dem Thema Kinderkriegen beschäftigen sich viele Menschen erst dann so richtig, wenn der Wunsch danach akut wird. Doch was, wenn man aus medizinischen Gründen gar nicht in der Lage ist, eigene Kinder zu zeugen? Viele Paare wollen sich mit diesem Gedanken gar nicht erst anfreunden: Sie versuchen alles Erdenkliche, um trotzdem ein Kind zu bekommen.
Gerade in den letzten Jahren hat sich auf dem Gebiet der Reproduktionsmedizin sehr viel getan; immer mehr Kinder entstehen auf diesem Weg. Doch wenn auch das nicht klappt – oder wenn ein medizinischer Eingriff aus anderen Gründen nicht in Frage kommt – bleibt nur noch eine letzte Möglichkeit: die Adoption.
Die Zahlen des Bundesamtes für Statistik zeigen jedoch, dass diese Lösung in der Schweiz zum Auslaufmodell wird: Wurden im Jahr 1980 noch insgesamt 1583 Kinder adoptiert, waren es 2014 nur noch 383.
Dennoch sagt diese Zahl noch nicht viel darüber aus, wie viele Schweizer Paare sich tatsächlich den Kinderwunsch mittels Adoption verwirklicht haben. Denn hier werden auch Stiefkind-Adoptionen mitgezählt: Wenn zum Beispiel ein Mann die Tochter oder den Sohn seiner Ehefrau adoptiert, wird dieser – in erster Linie bürokratische – Vorgang in die Statistik mit aufgenommen.
Doch, wie viele «klassische» Adoptionen – Eltern, die ein fremdes Kind adoptieren – gibt es überhaupt noch? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, müssen wir die Werte etwas genauer betrachten: Grundsätzlich unterscheidet man nämlich zwischen Inland- und Auslandsadoptionen. Dabei geht es darum, ob das adoptierte Kind in der Schweiz oder im Ausland geboren wurde.
Bei den Inlandadoptionen zeigt sich folgendes Bild: Zwar wurden im Jahr 2014 insgesamt 140 in der Schweiz geborene Kinder adoptiert. In den meisten Fällen handelte es sich aber um Stiefkind-Adoptionen. «Im Jahr 2014 wurden in der Deutschschweiz lediglich zwölf hier geborene Kinder in Adoptivfamilien platziert», erklärt Franziska Frohofer, Geschäftsleiterin der Schweizerischen Fachstelle für Adoption. Und auch 2015 waren es nur zwölf Kinder.
Doch woran liegt das? Ist die Reproduktionsmedizin schuld daran, dass es nur noch so wenige Adoptionen gibt? Verwirklichen die Frauen von heute ihren Kinderwunsch einfach mithilfe der Medizin und die potentiellen Adoptivkinder bleiben auf der Strecke?
Mitnichten! «Das Interesse daran, Kinder zu adoptieren, ist viel grösser als das, was tatsächlich möglich ist», erklärt Frohofer. Das heisst: Es gäbe durchaus mehr Paare, die gerne ein Kind adoptieren würden, bloss werden in der Schweiz nur noch sehr wenige Kinder zur Adoption freigegeben. Ende 2015 befanden sich 89 Deutschschweizer Paare in dem Pool, in dem man darauf wartet, ein in der Schweiz geborenes Kind adoptieren zu können. Gemäss Frohofer kommen auf jedes Kind fünf bis sechs Paare, die es am Ende in die engere Wahl schaffen.
Und die Liste der Adoptionswilligen wäre sogar noch länger. Frohofer: «Viele interessierte Paare haben, wenn sie sich bei uns melden, bereits mehrere Jahre in Kinderwunschbehandlungen investiert.» Weil man als Adoptiveltern aber höchstens 45 Jahre älter als das Kind sein darf, ist der Zug für viele Paare dann schon abgefahren – und somit tauchen viele Adoptionswillige gar nicht in der Statistik auf.
Dass heutzutage nur noch so wenige Schweizer Kinder zur Adoption freigegeben werden, erklärt Frohofer wie folgt: «Alleinstehende Mütter werden heute viel weniger geächtet als damals. Ausserdem sind die sozialen Bedingungen hierzulande seit den Achtzigerjahren deutlich besser geworden.»
Die veränderten sozialen und gesellschaftlichen Bedingungen führten dazu, dass viele Frauen, die früher mit dem Gedanken gespielt hätten, ihr Kind abzugeben, es heute behalten wollten. «Das eigene Kind freizugeben, ist ausserdem extrem tabuisiert, für viele Menschen ist das überhaupt nicht vorstellbar. Darum wird meiner Ansicht nach auch von Seiten der Familienberatungsstellen nur selten in Richtung einer Adoption beraten, wenn eine schwangere Frau in Not kommt», so Frohofer weiter.
Mit 243 Kindern im Jahr 2014 ist die Zahl der Auslandsadoptionen im Vergleich zu den Inlandadoptionen noch relativ hoch. Doch auch diese ist im Laufe der letzten Jahre stark gesunken. Zum Vergleich: 1980 sind noch 523 Kinder aus dem Ausland in der Schweiz adoptiert worden.
«Früher war es noch deutlich einfacher, ein Kind aus dem Ausland zu adoptieren. Heute laufen die Prozesse viel sorgfältiger ab und es dauert entsprechend länger, bis ein Kind ins Ausland zur Adoption kommt», erklärt Frohofer. Entscheidend für diese Entwicklung sei das Haager Adoptionsübereinkommen, das in den letzten Jahren von immer mehr Ländern unterzeichnet worden ist – darunter beispielsweise auch Rumänien und Vietnam.
Das Abkommen schreibt vor, dass zunächst im Herkunftsland nach passenden Eltern gesucht werden muss, bevor ausländische Paare in Betracht gezogen werden. «So gibt es in Indien zum Beispiel inzwischen auch Familien, die Kinder adoptieren können», sagt Frohofer.
Aus diesen Gründen ist die Auslandsadoption laut Frohofer auch nicht mehr so beliebt wie früher: «Die Schweizer sind auf das Thema Kinderhandel sensibilisiert worden und weil die Vorgänge komplizierter geworden sind, merken wir schon, dass viele Paare heute doch lieber ein Kind aus der Schweiz adoptieren möchten.»
Ein weiterer Faktor, der bei dieser Entscheidung eine tragende Rolle spiele, sei das Alter der Kinder: «Die meisten Paare wünschen sich ein möglichst kleines Kind. Jene, die aus dem Ausland adoptiert werden, sind aber meist schon grösser. Dort weiss man dann auch nicht, was die Kinder in ihrer Heimat schon alles erlebt haben.»
In der Schweiz können Kinder bereits mit etwa vier Monaten in der Adoptivfamilie aufgenommen werden. Bis dahin werden sie in der Regel in einer Pflegefamilie betreut. Dieses Alter ist laut Frohofer aus entwicklungspsychologischer Sicht ideal. Dennoch würde dieser Prozess auch bei Inlandadoptionen oftmals etwas verzögert: «Im Schnitt sind die Kinder, wenn sie in den Familien aufgenommen werden, sechs Monate alt.»