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Puber fährt nach Hause – wie ein Schweizer Sprayer Wien aufmischte

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Spurensuche in Wien

Puber fährt nach Hause – wie ein Schweizer Sprayer Wien aufmischte

Renato S. ist verurteilt. Puber regiert dennoch die Strassen Wiens. watson geht auf Spurensuche. 
25.07.2014, 06:3729.07.2014, 14:36
Rafaela Roth, Wien
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Alle haben geglaubt, sie hätten ihn geschnappt, den «Puber». Den Sprayer, der letzten Sommer begonnen hatte, Wien zu seiner Stadt zu machen. «All the City» steht bei vielen Puber-Tags, «die ganze Stadt» wollte er einnehmen. Dabei machte der Sprayer nicht Halt vor stattlichen Fassaden, süssen Kinderzeichnungen an Hortwänden und nicht einmal vor aufwendigen Auftragswerken anderer Street Artists. Immer mehr Schriftzüge wurden es, immer grösser ihre Reichweite. Puber sprayte wie ein Gejagter. Irgendwann war er auch das: Ein Polizeibeamter wurde angeblich eigens mit der Suche nach diesem Sprayer beauftragt. 

Ein «Puber» über Kinderzeichnungen.
Ein «Puber» über Kinderzeichnungen.Bild: watson/rar

Wahrscheinlich war sein Scharmützel mit dem Bezirksvorsteher von Neubau, Thomas Blimlinger, der Auslöser dafür. Nachdem Puber einen grossen Schriftzug über lieblich gemalte Kinderzeichnungen eines Kinderhorts geklatscht hatte, antwortete Blimlinger mit: «Lieber Puber, Zeichnungen von Kindern zu überschmieren ist das Letzte!». Nur zwei Tage später war das laminierte Schildchen mit einem weiteren «Puber» getaggt. «Puber hat im Bezirk grosse Verärgerung und viel Unverständnis ausgelöst, auch bei mir», sagt Blimlinger heute. 

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Beim Magazin «The Gap», auf dessen komplett versprayter Fassade er nach einem kritischen Artikel ein «Fuck you» hinterliess, nimmt man es inzwischen mit Humor: «Es war halt wieder mal was los in Wien», sagt Chefredakteur Stefan Niederwieser, was natürlich nicht den Schaden, den Puber angerichtet hat, ins Lächerliche ziehen solle. Der Artikel in «The Gap» brachte Puber mit der rechtsradikalen Szene in Verbindung. Das wollte er wohl nicht auf sich sitzen lassen. 

«Wieder ein ‹Puber› in dieser Pimperschrift», schrieb das Magazin «The Gap» über dieses Tag.
«Wieder ein ‹Puber› in dieser Pimperschrift», schrieb das Magazin «The Gap» über dieses Tag.Bild: watson/rar

Puber kommunizierte mit Wien, aber nicht mit offenen Karten. Und vor allem: Warum bloss? Im einzigen Interview, das er jemals dem «Tages-Anzeiger» gegeben hat, sagte er: «Ich will, dass alle Menschen mich sehen. Jeder, jeder, jeder.» Und die Wiener sahen ihn: «Ja, das ist der, der alles vollschmiert. Puber hat sich einen Namen gemacht, aber keinen guten», sagt ein älterer Passant. Ein junger Wiener findet ihn cool: «Alles Subversive hat auch etwas Gutes. Ich habe auch etwa viermal «Love more» an Wände getaggt. Wenn mich dafür jemand einsperren will, ok.» Die Verkäuferin, auf deren Ladentür ein silbernes «Puber» prangt, meint bloss: «Der hat jetzt bestimmt ganz viel Frauenbesuch im Gefängnis.»

Wie ein Junge, der jetzt kurz mal die Schnauze halten muss

Und nun sass der, der Puber sein soll, auf der Anklagebank, steif, fast reglos. Ein grosser, muskulöser Latino im tadellos sitzenden Anzug, unter dem am Hals ein geschwungenes Tattoo hervorlugt. Wie ein braver Junge, der weiss, dass er jetzt einfach kurz mal die Schnauze halten muss, sass Renato S. da. Am Schluss entschuldigte sich der Schweizer mit brasilianischer Mutter in aller Form: «Ich habe mich zu einem Blödsinn hinreissen lassen», sagte der 30-Jährige leise. 

Und Richter Wilhelm Mende konnte nichts anderes tun, als ihm zu glauben. Die Beweise reichten einfach nicht aus. Nur rund 100 Schriftzüge konnte man Renato S. nachweisen, weil er zu Beginn des Prozesses eine Teilschuld eingestand. Die angezeigten Schriftzüge mit «PUBeR» nahm er auf sich, alle anderen nicht. Es gäbe noch mehr, die das Tag benutzen, war seine Verteidigung.

«PUBER» oder «PUBeR»?
«PUBER» oder «PUBeR»?bild: watson/rar

Dennoch ist klar: Die Party ist vorerst vorbei. Obwohl er nach fünf Monaten U-Haft mit einem Urteil von vier Monaten unbedingter Haftstrafe ab sofort wieder ein freier Mann ist. Zehn Monate lang darf er sich nichts zuschulden kommen lassen, darauf folgen noch weitere drei Jahre Probezeit. 

Und was Renato S. bestimmt gut konnte, war Partys feiern. Seit Sommer 2013 nicht mehr an der Langstrasse, wo ihn ein Zürcher Szenegänger stets antraf, sondern in Wien. Er folgte seinen zwei Schwestern, die da hingezogen waren, wurde Teil der dortigen Graffiti-Szene, lebte unangemeldet in einer WG in Rudolfsheim-Fünfhaus – einem Bezirk mit günstigeren Wohnungen – und jobbte als Security-Mann im Club Pratersauna. 

Hier soll Renato S. gewohnt haben.
Hier soll Renato S. gewohnt haben.Bild: watson/rar

«Wir Kinder haben ein enges Verhältnis», sagte seine Schwester gegenüber watson. Sie kann nicht nachvollziehen, wie Menschen dermassen aggressiv auf Graffitis reagieren können. «Dass sie genervt sind, wenn ihr Eigentum verschmiert wird, kann ich verstehen. Wie sie aber eine derartige Wut entwickeln können, nicht.» Seiner Schwester gehörte nach dem Urteilsspruch auch Renato S.' einzige Umarmung. Sein Vater, der extra aus Kloten angereist war, blieb angespannt daneben stehen. 

Wenn Sprayer der Wiener Szene über Puber sprechen, fällt oft das Wort Wohlstandsverwahrlosung. Die Szene nervte sich über den Schweizer, der mit seinem minimalistischen Tag in Wien Territorium markierte. «Als ich dann aber hörte, dass er wohl aus einem nicht ganz einfachen Elternhaus stammt, habe ich gedacht, er sei wohl eher ein bisschen arm», sagt ein Sprayer, der anonym bleiben will. 

Überreste eines Kleinkriegs in der Wiener Sprayerszene.
Überreste eines Kleinkriegs in der Wiener Sprayerszene.Bild: watson/rar

Auch ein Sprayerladenbesitzer, bei dem Renato S. immer wieder auftauchte, meint: «Der hat wohl viel Scheisse erlebt.» Wo Puber auftauchte, heizte er die Gerüchteküche an. Manchmal wird er als aggressiv und jähzornig beschrieben, als Schwulenhasser oder Kinderverprügler. 

In diesem Sprayerladen decken sich die Wiener mit Farbe ein.
In diesem Sprayerladen decken sich die Wiener mit Farbe ein.Bild: watson/rar

Der Spraydosenverkäufer erzählt über ihn: «Er war oft mit Freunden da, die haben halt vor dem Laden gesessen und vorbeigehende Frauen angemacht.» Dumm geredet habe er, aber Kinder verprügelt? Glaube er nicht. Die Kinder, die zu ihm gekommen seien und erzählt hätten, sie seien von Puber ausgeraubt und verprügelt worden, hätten von einem blonden Mann gesprochen. 

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Bloss: Wer ist dieser Puber?

Wer oder was Puber nun tatsächlich ist, bleibt auch nach dem Prozess ein Geheimnis. Ist es nun Renato S., der in Wien der All City King werden wollte? Sprayt er seinen Namen schlicht in verschiedenen Variationen? Oder ist Puber eine ganze Crew? Oder gibt es dutzende Trittbrettfahrer?

Ein Szenekenner aus der Schweiz widerspricht der Theorie, dass es mehrere Puber gibt: Auf dem Tag in seiner Wohnung, welches Renato S. hinterliess, prangt ein «Puber» in Grossbuchstaben und geschwungenem R. 

Markus Lust vom Vice-Magazin, dem Puber die Bilder seiner Verhaftung unmittelbar verkaufte, meint: «Ich finde es schön, was Puber ausgelöst hat. Er hat nicht nur ausserhalb der Szene – bei der Wiener Bevölkerung – Debatten ausgelöst, sondern auch innerhalb der Szene. Sie hat sich mit sich selber auseinandergesetzt.»

Vorerst wird wohl wieder Ruhe in die Wiener Graffiti-Szene einkehren. Vielleicht gönnt sich Puber eine Pause. Renato S. will jedenfalls nach dem Prozess nur eines: «Nach Hause.» Ob das Zürich ist? 

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