Die Diskussion darüber, welche Aufträge die Sender des Service public erfüllen müssen und was mit den Gebührengeldern der Bürger angestellt wird, flammt in der Schweiz immer wieder von Neuem auf. In Deutschland ist das nicht anders: Dort wird zwar nicht über Billag- sondern über GEZ-Gebühren gestritten – am Ende geht es aber um genau dieselbe Problematik.
Nun hat der Westdeutsche Rundfunk (WDR) – und damit ein regionaler Ableger der ARD – Öl ins Feuer gegossen: Denn mit seiner neuen Doku-Reihe «Digital Diary» hat der Sender ein Format entwickelt, das am Donnerstagabend für überraschte Gesichter gesorgt haben wird.
Die Sendung, die dort um 23.20 Uhr gezeigt wurde, hebt sich einerseits inhaltlich, vor allem aber auch in technischer Hinsicht, deutlich von dem ab, was WDR-Zuschauer normalerweise gewohnt sind. Denn ein Grossteil des verwendeten Video-Materials ist nicht von professionellen Fernseh-Teams, sondern von Laien gedreht worden.
Die 75 Minuten lange Sendung ist praktisch nichts anderes als ein Zusammenschnitt aus Clips von verschiedenen Video-Bloggern. Die Bildqualität lässt zum Teil zu wünschen übrig, die Aufnahmen sind verwackelt, die Schnitte ziemlich wild platziert. Immer wieder wird eingeblendet «Quelle: YouTube» plus der Name des jeweiligen Video-Bloggers. Eine Off-Stimme, die die einzelnen Teile in Zusammenhang bringt, gibt es nicht.
Das Thema der ersten Ausgabe der Doku-Serie lautet «Sexualität weltweit» – entsprechend heiss sind Stoffe, die besprochen werden. Gleich zu Beginn erscheint eine blonde junge Frau, die sich «Sexy Julia» nennt. Sie leitet den Anfang der Sendung mit den folgenden Worten ein: «Fragen wie ‹Schluckst du oder spuckst du?› oder ‹Analverkehr mit Gleitgel oder Anlauf?› – also, über solche Sachen, werde ich nie drüber reden können.» Später folgen Interviews mit unterschiedlichen Personen, auch diese wurden nicht professionell gefilmt, sondern via Skype aufgezeichnet.
Die Idee hinter dem Konzept ist nicht schwer zu begreifen: In einem Zeitalter, in dem junge Leute immer weniger klassisches Fernsehen schauen und stattdessen YouTuber als Helden feiern, ist es nur verständlich, dass die Fernsehmacher überlegen, wie sie diesem Bedürfnis nachkommen können. Denn auch sie wollen das jüngere Publikum an sich binden können.
Ob das mit dieser Art von Produktionen gelingen wird, ist noch offen. Die ersten Reaktionen aus Deutschland klingen doch eher kritisch. «Revolution klingt erst mal gut, aber was der WDR da zur späten Stunde als ‹Digital Diaries› laufen lässt, ist nur schwer zu ertragen», schreibt die «Welt». Und weiter: «Es ist gut, dass etwas Neues ausprobiert wird, nur so kann sich das WDR-Programm verjüngen. Das Problem dieser Doku ist, dass sie nichts zu erzählen hat.»
Beim SRF steht man dem Format nicht ganz so kritisch gegenüber: «Um den Nutzungsgewohnheiten und Interessen eines web-affinen, jungen Zielpublikums zu entsprechen, beobachtet SRF solche Entwicklungen mit Interesse», sagt Mediensprecher Jonathan Engmann im Gespräch mit watson. Es sei ein interessanter Ansatz, für eine Fernseh-Dokumentation fast ausschliesslich Material aus dem Internet zu verwenden.
Bis das Schweizer Fernsehen jedoch den Mut aufbringt, ein ähnliches Konzept anzugehen, muss wohl noch etwas Zeit ins Land gehen: «SRF lässt immer wieder solche Elemente in sein Programm einfliessen. Eine komplette Sendung aus Internetmaterial ist jedoch momentan nicht geplant», so Engmann.
Die erste Folge von «Digital Diary» kannst du hier anschauen >>
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