Und auf dem Weg in die NLA noch ein Drama. Das letzte Drittel im letzten Spiel, die finalen 20 Minuten auf dem Weg zurück ins gelobte Land der höchsten Liga, geraten zu einem Stück aus der Weltliteratur.
Nein, nicht Jeremias Gotthelf. Sondern das Stück «Und noch 20 Minuten bis Buffalo» des Dichterfürsten Theodor Fontane, einem Zeitgenossen Gotthelfs.
Die Ballade preist den charismatischen John Maynard, Steuermann eines Passagierschiffs auf dem Eriesee, auf dem gegen Ende einer Fahrt von Detroit nach Buffalo Feuer ausbricht. John Maynard bleibt «in Qualm und Brand» auf seinem Posten, bis das Schiff das Ufer erreicht, und rettet so alle. Die dramatische Textpassage geht so: «Feuer! war es, was da klang, ein Qualm aus Kajüt und Luke drang, ein Qualm, dann Flammen lichterloh, und noch zwanzig Minuten bis Buffalo.»
So wie auf dem Schiff des tapferen Kapitän Maynard bricht im Langnauer Eishockeytempel während der letzten 20 Minuten vor dem rettenden NLA-Hafen das Feuer der Verunsicherung, der Zweifel der Ängste aus. Es ist bis weit, weit ins Schlussdrittel hinein völlig ungewiss, ob es die Langnauer schaffen. Dabei ist ihr Schiff doch so wunderbar zu diesem letzten Stück der Fahrt hinauf in die NLA gestartet. Nach 215 Sekunden führen die SCL Tigers 2:0. Alle Zeichen deuten auf ein rauschendes Fest. Auf eine Triumphfahrt heim in die NLA. «Ho-Ho-Hopp Langnou! Ho-Ho-Hopp Langnou!» echot es sechstausendendfach von den Rängen.
Die tapferen Lakers haben ja noch einmal alles versucht. Oben im schönen Kurhaus Moosegg haben sie zweimal übernachtet. Um in der Abgeschiedenheit neue Kräfte zu tanken. Ein letztes Mal wird der Teamgeist beschworen. Motivations-Voodoo.
Nach drei Niederlagen stellt Trainer Michel Zeiter um. Er setzt zum ersten Mal in dieser Liga-Qualifikation Torhüter Ivars Punnenovs und das Ausländer-Duo Derek Walser und Niklas Persson ein.
Es scheint alles nichts zu nützen. Kaum hat das Spiel begonnen, bricht alles zusammen wie ein Kartenhaus. Zerstoben sind die Hoffnungen. 2:0 nach dem ersten Drittel. Es hätte 3:0, 4:0, ja 5:0 stehen können.
Aber dann kommen bei den SCL Tigers so kurz vor dem Ziel schleichend wie ein Nebel die Zweifel, die Unsicherheiten, die Fehler. Die Lakers werden stärker und stärker und stärker. Sie dominieren das zweite Drittel mit 17:3 Torschüssen.
Als sich die Mannschaften fürs Schlussdrittel aufstellen, steht es nur noch 2:1. Es sind noch «20 Minuten bis Buffalo». Noch 20 Minuten bis in die NLA. Nur noch diese 20 Minuten überstehen!
Es werden die längsten, die aufwühlendsten, die dramatischsten 20 Minuten in der Geschichte der Langnauer Hockey-Kultur, die anno 1946 begonnen hat. 9 Minuten und 56 Sekunden vor dem Ende gar eine Strafe gegen Adrian Gerber. Boxplay. Die Lakers drücken auf den Ausgleich. Die Pucks prasseln auf Torhüter Damiano Ciaccio. Sechstausendfach der beschwörende Schlachtruf: «Kämpfe Langnou, kämpfä! Kämpfe Langnou, kämpfä!»
Und dann die Erlösung. Eine Szene wie aus einem Hollywood-Film. So wie der tapfere Kapitän John Maynard aus der Ballade von Theodor Fontane sein Schiff doch noch sicher in den Hafen von Buffalo bringt, so errettet nun Chris DiDomenico die Langnauer aus Not und Zweifel.
Ausgerechnet dieser charismatische kanadische Schillerfalter, dieser barocke Selbstdarsteller mit einem grösseren Ego als der Hohgant, entscheidet alles. Er hatte das 1:0 magistral vorbereitet. Aber dann Scheibe um Scheibe verloren und mit seinem Eigensinn die Fans zur weissglutigen Verzweiflung getrieben. Und nun angelt er den Puck, tanzt den tapferen Lakers-Goalie aus und schiebt zum 3:1 ein. 34 Sekunden später trifft Lukas Haas zum 4:1.
Nach dem Spiel wird Chris DiDomenico sagen: «Ich arbeite daran, in Langnau eine Legende zu werden wie Todd Elik.» Er ist es ja schon fast. In den 19 Partien der NLB-Playoffs und der Liga-Qualifikation hat der «Ilfis-Gretzky» fabelhafte 6 Tore und 28 Assists gebucht. Gut für die Langnauer, dass sich sein Vertrag durch den Aufstieg automatisch um ein Jahr verlängert hat.
Nach dem 4:1 wissen alle, auch die Lakers: Es ist vollbracht! Alle Zweifel sind weggewischt, lösen sich in brausende Jubelstürme auf. Alle Zuschauer stehen auf «Super Langnou, hey, hey! Super Langnou, hey, hey! Super Langnou, hey, hey! Super Langnou, hey, hey». Der französische Verteidigungsminister Kevin Hecquefeuille setzt den Schlusspunkt mit dem 5:1 ins leere Gehäuse. Aus! Vorbei! Langnau kehrt nach nur zwei Jahren der Verbannung aus der NLB in die NLA zurück. Die Lakers steigen nach 21 Jahren erstmals aus der höchsten Liga ab.
Es ist der Beginn der ersten Hockey-Freinacht seit dem 22. Januar 2011. Damals hatten die Langnauer mit einem 3:2 auswärts gegen ... die Lakers zum bisher einzigen Male die NLA-Playoffs erreicht. Gut und gerne 2000 Fans harrten im Hockeytempel an der Ilfis auf die Rückkehr ihrer Helden um die ersten Playoffs der Geschichte bis in die frühen Morgenstunden zu feiern. Seither hatten sie nie mehr Grund zu feiern – bis gestern.