Vor drei Montaten zeigte sich wieder einmal, wie fussballverrückt die Chinesen sind. Als der 24-jährige Shootingstar Xizhe Zhang Mitte Dezember bei seinem neuen Klub VfL Wolfsburg vorgestellt wurde, berichtete das chinesische Fernsehen live. Schliesslich ist der offensive Mittelfeldspieler (bislang 0 Einsätze beim VfL) der einzige Fussballer aus dem Reich der Mitte, der bei einem europäischen Topklub unter Vertrag steht. Die Einschaltquoten konnten sich sehen lassen. 44 Millionen Menschen sahen zu.
Über den einheimischen Fussball gibt es ansonsten nur wenig Erfreuliches zu berichten. Die nationale chinesische Super League fristet ein Schattendasein. Altstars wie Didier Drogba, Nicolas Anelka oder Lucas Barrios, die 2012 für viel Geld nach China gelockt worden waren, sind längst wieder nach Europa zurückgekehrt oder haben ihre Karrieren beendet. Der fünffache australische WM-Torschütze Tim Cahill ist neben den Trainern Arie Haan und Sven-Göran Eriksson der einzige international bekannte Star der Liga.
Einen kleinen Lichtblick gab es zuletzt immerhin beim Asien Cup im Januar. Chinas Nationalmannschaft, noch hinter Armenien, Uganda und Haiti die Nummer 82 der Welt, qualifizierte sich dank drei Siegen in der Gruppenphase (gegen Saudi-Arabien, Usbekistan und Nordkorea) souverän für die Viertelfinals.
Gegen den späteren Asienmeister Australien war dort aber Schluss (0:2). Und zuhause setzte es trotzdem wieder Spott und Häme: «Wenn schon unsere Fussballer den Viertelfinal erreichen können, dann finden wir in diesem Jahr ganz sicher auch eine Freundin», so die Hoffnung vieler junger Männer, die gegenüber den gleichaltrigen Frauen drastisch in der Überzahl sind.
Doch damit soll nun Schluss sein. Um Chinas Fussball endlich international konkurrenzfähig zu machen, greift nun der Staat ein. Eine Arbeitsgruppe unter der der Leitung von Präsident Xi Jinping hat am letzten Freitag einen Reformplan verabschiedet, dank dem das «fehlerhafte System», das den chinesischen Fussball bisher in seiner Entwicklung behindert hat, überwunden werden soll.
Der Reformplan sieht unter anderem eine frühere Nachwuchsförderung sowie eine engere Zusammenarbeit zwischen den Profivereinen und den Schulen vor. Bereits im November hat das Bildungsministerium den Fussball zum obligatorischen Bestandteil des Sportunterrichts an den Schulen erklärt und versprochen, bis 2017 rund 20'000 Fussballakademie errichten. Die sollen dann rund 100'000 Talente hervorbringen.
Zudem soll von den erfolgreichen Fussballnationen wie England gelernt werden, wie Jinping beim gestrigen Besuch des englischen Prinzen William in Peking bekräftigte.
Ob dank den ehrgeizigen Reformplänen das aktuelle Förderproblem überwunden werden kann? Eltern schicken ihr meist einziges Kind lieber an eine Uni statt in den Fussballklub. Dort büffelt der Nachwuchs bis zu 15 Stunden täglich, da bleibt kaum Zeit für die schönste Nebensache der Welt. Aufs Kicken wird aber nicht nur aus Zeitgründen verzichtet. Sondern auch, weil Sport als Mittel zum sozialen Aufstieg in China gegenüber den Chancen in der Wirtschaft erheblich an Attraktivität eingebüsst hat.
Mit Xi Jinpings Reformplänen soll es nun endlich aufwärtsgehen. Der erklärte Fussballfan macht ernst. Schon 2011 sagte Chinas heutiger Staats- und Parteichef gegenüber südkoreanischen Diplomaten, dass er für sein Land drei Wünsche hege: «Dass sich China für eine Fussball-WM qualifiziert, dass China eine WM ausrichtet und dass China eine WM gewinnt.» Zumindest zwei dieser Wünsche könnten schon bald in Erfüllung gehen.
Mitte Februar hat die Wanda-Gruppe, ein chinesischer Immobilien- und Kinokonzern, für 1,05 Milliarden Euro die Mehrheit am Schweizer Sportrechtehändler Infront übernommen. Die Firma, für die auch Günter Netzer arbeitet, ist eng mit der FIFA verbunden und handelt unter anderem mit den WM-Fernsehrechten. Geleitet wird sie von Philippe Blatter, dem Neffen des alten und aktuellen und wohl auch nächsten FIFA-Präsidenten Sepp Blatter.
Mit Hilfe von Infront soll die Wanda-Gruppe von der chinesischen Regierung beauftragt worden sein, «die Führung bei den Vorbereitungen für eine WM-Bewerbung zu übernehmen.» Da Katar die WM 2022 ausrichtet, könnte China allerdings frühestens 2030 den Zuschlag bekommen.
Die Generalprobe für die Fussball-WM sollen die Olympischen Winterspiele 2022 in Peking werden. Als Aussenseiter gestartet, gilt Chinas Hauptstadt inzwischen als grosser Favorit. Erst recht seit dem Infront-Deal. Immerhin werden sechs der sieben internationalen Wintersportverbände gemäss der Welt von Infront vertreten. Mit dem siebten Verband sei man sich offenbar auch einig. Olympia kann also kommen.
Und was ist mit der WM 2030? Wäre das Reich der Mitte dann schon bereit für den heissbegehrten Titel? Wanda-Boss Wang Jianlin, der zuletzt auch 20 Prozent des spanischen Meisters Atlético Madrid übernommen hatte, hat den ersten Schritt getan. Für 40 Millionen Euro lässt er chinesische Fussballtalente in Spanien ausbilden. Ob die 20'000 Fussballakademien dann aber wirklich stehen und den erhofften Output generieren, ist jedoch mehr als fraglich.