Im November zieht Melancholie ein im Mittelland. Meistens verhüllt der Nebel die Sonne und es ist fast wie in Finnland: Nur noch Eishockey vermag das Gemüt zu erhellen. Die Rivalität zwischen Langenthal und Olten, den «Sport-Hauptstädten» im Nebelland, ist die erbittertste unseres Hockeys. Selbst zwischen Langnau und Bern, den ZSC Lions und Kloten oder Ambri und Lugano gehören Transfers längst zum Alltag. Nicht aber zwischen Langenthal und Olten.
Nun zeichnet sich ein Spektakeltransfer ab, ja das grösste Transferbeben seit dem Wechsel von Brent Kelly und Jeff Campbell von Olten nach Langenthal im Frühjahr 2010. Die Erinnerungen an den Transfer der beiden Kanadier, von Langenthals damaligem Sportchef Reto Kläy (heute Zug) listig ausgerechnet am Vorabend einer Playoffs-Serie zwischen den beiden Teams angekündigt, sorgt heute noch für rote Köpfe.
Jetzt geht es um Marco Truttmann (31), Oltens produktivsten Schweizer Stürmer der letzten fünf Jahre. Die Chancen, dass Langenthal den «Power-Mäusen» die Tanzmaus ausspannt, sind erheblich. Truttmann ist einer der kleinsten und leichtesten (173 cm/70 kg), aber immer noch einer der grössten NLB-Stürmer.
Sein Vertrag läuft aus und sein Wunsch nach Veränderung, nach einer neuen Herausforderung ist gross. Er fühlt sich in Olten im Reizklima um Sportchef Jakob Kölliker nicht mehr wohl. Trotzdem hat er auch diese Saison mehr als einen Punkt pro Spiel produziert (13 Spiele/15 Punkte).
Langenthals Geschäftsführer Gian Kämpf bestätigt das Interesse am sensiblen Oltner Kultstürmer. Wohl wissend, welche Emotionen so ein Transfer auslösen würde. Er stellt aber klar: «Wir sehen die Möglichkeit, ihm eine neue Herausforderung zu bieten. Aber nur im Rahmen unserer finanziellen Möglichkeiten. Wenn Stefan Tschannen bleibt, wird er auch weiterhin unser bestverdienender Schweizer Spieler bleiben.»
Da die Oltner mit den Löhnen seit Jahren nicht überborden, steigen die Chancen, dass Marco Truttmann diese Herausforderung tatsächlich und ausgerechnet in Langenthal suchen wird. Er müsste zwar eine zumutbare Lohnreduktion in Kauf nehmen, dafür kann er mit etwas Verhandlungsgeschick einen Dreijahresvertrag herausholen. Am nächsten Mittwoch sitzen sich Langenthals Sportchef Noël Guyaz und Kämpf mit Truttmann an den Verhandlungstisch.
Mit Marco Truttmann wäre Langenthals Offensive wieder so ausbalanciert und die Abhängigkeit vom hundertjährigen Sturm mit Jeff Campbell (35), Brent Kelly (34) und Stefan Tschannen (32) so weit verringert, dass Langenthal, der NLB-Meister von 2012, wieder ein Kandidat für den NLB-Titel wäre. Die Verträge mit den drei Kultstürmern sollen verlängert werden, jener von Captain Stefan Tschannen sogar um drei Jahre.
Oltens Sportchef Köbi Kölliker ist in der Zwickmühle. Will er Truttmann halten, dann muss er ihn – zumindest für NLB- Verhältnisse – «vergolden» und den Lohn von heute gut 130'000 auf wenigstens über 160'000 Franken erhöhen. Die Oltner haben sich in den letzten 20 Jahren zu einem wirtschaftlichen und sportlichen Hockey-Musterunternehmen entwickelt, weil sie bei den Löhnen nie überbordet haben. Eine Lohnerhöhung für Marco Truttmann würde alle nun auslaufenden Verträge verteuern.
Die Oltner streben nach dem Wiederaufstieg in die NLA. Macht es dann Sinn, einen zwar überaus produktiven Stürmer zu halten, der aber keine NLA-Ambitionen mehr hat? Oder wäre es besser, ihn ziehen zu lassen und das Geld in junge, hungrige Spieler zu investieren, die unbedingt nach oben wollen?