Am 24. November stimmt die Schweiz über den Ausbau der Autobahnen ab. Die Gegnerinnen und Gegner argumentieren mit dem Slogan: Wer Strassen sät, wird Verkehr ernten. Dieses Argument leuchtet doch ein?
Albert Rösti: Ja, das leuchtet ein, wenn man neue Strassen sät. Aber das machen wir nicht. Wir bauen die Kapazitäten der bestehenden Strassen aus. Wir schaffen kein neues Bedürfnis. Das ist der grosse Unterschied. Niemand wird wegen des Ausbaus auf das Auto umsteigen. Aber: Diejenigen, die heute schon pendeln und über die umliegenden Dörfer den Stau umfahren, führen wir zurück auf die Autobahn.
Trotzdem hält Ihr Bundesamt für Strassen, das ASTRA, selbst fest: Der geplante A1-Ausbau zwischen Nyon und Genf wird nach wenigen Jahren wirkungslos sein. Stau und Verkehr kehren zurück. Braucht es nicht kreativere Lösungen?
Für mich beweisen diese Prognosen umso mehr, dass es jetzt den Ausbau braucht. Aber ja, der Autobahnausbau allein wird nicht ausreichen. Darum bauen wir ja auf der gleichen Linie zwischen Genf und Nyon die Eisenbahn aus.
Dann können Sie also bestätigen: Die Situation auf der Autobahnstrecke Nyon-Genf wird sich wenige Jahre nach dem Ausbau wieder auf dem heutigen Niveau einpendeln?
Nein. Weil die Bevölkerungsentwicklung entscheidend ist. Wenn die Schweiz weiter in diesem Tempo wächst, dann müssen auch künftige Generationen die Infrastruktur ausbauen. Aber wir bauen die Infrastruktur bewusst nicht auf Vorrat aus. Weil das neue Bedürfnisse schaffen würde.
Autobahnprojekte werden aus dem Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrs-Fonds (NAF) finanziert. Dieser geht zur Neige. Der Bund selbst hat festgestellt, dass er ab 2027 den Benzinpreis um vier Rappen erhöhen muss. Wird der Benzinpreis mit dem Ausbau steigen?
Es ist so: Bis 2033 laufen zahlreiche Strassenprojekte, die eigentlich nichts mit diesem Ausbauschritt zu tun haben. Die Umsetzung der Projekte, über die wir jetzt abstimmen, ist ab Anfang der 2030er-Jahre geplant. Für diese sechs Projekte, über die wir jetzt abstimmen, ist die Finanzierung gesichert. Sie sind ohne Aufschlag bei der Mineralölsteuer finanzierbar. Das Volk hat 2017 selbst beschlossen, dass der Bund die Mineralölsteuer um vier Rappen erhöhen könnte, falls der NAF eine gewisse Schwelle unterschreitet.
Sie können also nicht versprechen, dass der Bund die Mineralölsteuer in den nächsten Jahren nicht erhöht?
Ich kann Ihnen versprechen: Diese sechs Projekte, über die wir abstimmen, führen nicht zu einer Anhebung des Mineralölsteuerzuschlags. Sie sind finanzierbar. Ob das Stimmvolk «Ja» oder «Nein» stimmen wird, hat keinen Einfluss auf die Entwicklung der Mineralölsteuer.
Denken Sie deshalb bereits offen über die Einführung einer Steuer für Elektroautos nach?
Genau. Durch die Elektrifizierung des Strassenverkehrs, verlieren wir Einnahmen aus der Mineralölsteuer. Der Bundesrat hat deshalb vor, bald eine Vorlage einzureichen, in der es darum geht, die Elektromobilität zu besteuern. Eingeführt würde diese aber frühestens ab 2030. Um diese Steuer erheben zu können, braucht es eine Verfassungsänderung. Das letzte Wort hätte also die Bevölkerung.
Die Mehrheit der Bevölkerung fährt noch Verbrennerautos. Nimmt man damit nicht den Anreiz, auf E-Autos umzusteigen?
Ja, es ist eine schwierige Gratwanderung. Einerseits finde ich es richtig und wichtig, dass die Elektromobilität steuerbefreit ist. Andererseits müssen irgendwann auch die Elektroautos die Strassen mitfinanzieren.
Kann man also sagen: Mit dem Autobahnausbau kommt die Steuer auf Elektromobilität?
Diese sechs Ausbauprojekte würden von 2030 bis 2045 gebaut werden. Wir haben berechnet, dass diese Projekte finanzierbar sind, wenn wir gleich viele Steuern einnehmen wie heute. Wenn aber ein grosser Anteil der Mineralölsteuer wegfällt, weil sehr viele Leute auf E-Autos umsteigen, sieht es anders aus. Für den Bundesrat ist klar: Die Strassen müssen jene bezahlen, die sie benutzen. Früher oder später müssen wir die E-Autos also besteuern.
Umfragen zeigen: Für den Autobahnausbau könnte es knapp werden. Was wäre Ihr Plan B, wenn das Stimmvolk «Nein» sagt?
Der Plan B wäre, dass wir vorerst mit der jetzigen Stau-Situation weiterleben müssten, eigentlich eine unhaltbare Situation für Quartiere, die vom zusätzlichem Verkehr betroffen sind.
Ein «Nein» zum Autobahnausbau wäre richtungsweisend für die künftige Verkehrsstrategie des Bundes?
Politik ist nie alternativlos. Wir müssten auf jeden Fall analysieren, warum das Volk den Ausbau abgelehnt hat. Geht es um die Enteignungen? Konnten diese spezifischen Projekte nicht überzeugen? Oder will das Volk grundsätzlich keinen Autobahnausbau? All diese Fragen müssten wir klären, bevor wir darüber sprechen könnten, wie wir die Engpässe, die wir heute schon haben, lösen.
Auch 2017 fällte das Stimmvolk einen richtungsweisenden Entscheid: den Ausstieg aus der Kernenergie. Jetzt will der Bundesrat das AKW-Neubau-Verbot wieder aufheben. Politisiert er am Volk vorbei?
Nein, im Gegenteil. Die Rahmenbedingungen haben sich seit 2017 geändert. Damals gingen wir davon aus, dass Europa immer ausreichend Strom haben wird. Wenn morgen – was wir nicht hoffen – der Suezkanal zugeht, weil der Konflikt zwischen Israel und Iran eskaliert, kann es sein, dass wir diesen Winter Schwierigkeiten mit der Stromversorgung haben werden. Darum erachte ich es als meine Pflicht, alle Optionen zu prüfen. Aktuell gilt das Neubau-Verbot für AKW. Am Ende kann nur das Volk den Entscheid korrigieren.
Der Strombedarf steigt bereits jetzt. Der Bau eines AKW würde mindestens 15 Jahre dauern. Eine solche Lösung ist doch unrealistisch.
Nein, dem würde ich widersprechen. Die durchschnittliche Bauzeit ist nicht 15 Jahre. Das Bundesamt für Energie kam in Studien mit der ETH auf fünf bis zwölf Jahre. Der Bau eines AKW geht nicht länger als der Bau eines Wasserkraftwerks.
Die grösste Schweizer Stromproduzentin Axpo sagt, es dauere mindestens 20 Jahre, bis ein neues AKW am Netz wäre. Man muss aber auch noch jemanden finden, der das AKW baut. Der Unterhalt ist sehr teuer.
Dass heute kein Unternehmen ein AKW planen will, ist logisch. Weil es verboten ist. Zudem ist die Aufhebung des Bauverbots nicht gleichbedeutend damit, dass der Bundesrat ein neues AKW bauen will. Wenn der Ausbau der Erneuerbaren schneller geht als angenommen, bin ich der Letzte, der ein AKW will.
Also wollen Sie mit der AKW-Debatte die Diskussionen rund um die Erneuerbaren vorantreiben?
Ja. Wir brauchen langfristig alle Optionen. 70 Prozent haben mit dem Stromgesetz zu den 16 Wasserkraftwerken Ja gesagt. Trotzdem sind nach der Abstimmung bei den grössten Projekten Einsprachen entweder bestätigt oder in Aussicht gestellt worden. Diese müssen wir wegbringen. Im Hintergrund können wir die AKW-Diskussion laufen lassen. Wenn es in diesem Land nicht genug Strom geben sollte, will ich mir nicht vorwerfen lassen, dass ich nicht alle Optionen geprüft habe.
Mit neuen AKW wäre unsere Stromproduktion wieder abhängig vom Ausland. Nämlich von Uran-Lieferungen, unter anderem aus Russland.
Uran kommt auch aus Australien und Kasachstan. Letztlich sind wir bei jeder Energiequelle vom Ausland abhängig. Bei den Solarpanels sind wir von China abhängig.
Als Bundesrat fahren Sie eine offensive Strategie. Seit 1.5 Jahren sind Sie im Amt und haben so viel durchbekommen, wie schon lange kein Bundesrat mehr vor Ihnen.
Holz anfassen, bald ist die Abstimmung. (lacht) Eigentlich habe ich nicht den Eindruck, dass ich so viel mehr durchgebracht habe. Ich sehe auch, was ich alles nicht durchgebracht habe.
Was denn zum Beispiel?
Gute Frage. Eigentlich gibt es doch nicht so viel. Ich habe den Eindruck, ich habe das gemacht, was man von mir erwarten muss und auch erwarten kann: Probleme zu lösen. Auch wenn das nicht allen gefällt. Aber es ist natürlich auch Zufall, dass ich das UVEK zu einem Zeitpunkt übernommen habe, in dem sich sehr viele Probleme kumulieren. Fast in allen Bereichen gibt es eine Extremsituation. Der Wolf ist eine Extremsituation. Gleichzeitig ist da noch die SRG-Initiative.
Die SRG-Initiative ist ein gutes Beispiel. Normalerweise formulieren Bundesrat und Parlament einen Gegenvorschlag. Sie haben das schon vorweggenommen und die Serafe-Gebühren auf 300 Franken gesenkt. Ist das nicht eine sehr offensive Strategie?
Ja, das kann man so sagen. Bei der SRG habe ich das ganz bewusst gemacht. Ich wollte nicht, dass diese Initiative ohne Gegenprojekt vors Volk kommt. Ich spreche von Gegenprojekt, weil das ja eben kein Gegenvorschlag ist. Es könnte durchaus sein, dass das Parlament keine Mehrheit findet für einen Gegenvorschlag. Dann müsste ich in einen Abstimmungskampf führen, ohne sagen zu können, wie wir den Leuten entgegenkommen. Da hätte ich für die SRG höchste Bedenken gehabt.
Ihr Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) hat letzte Woche ein Aufsichtsverfahren gegen die SRG wegen Verletzung der Konzession eingeleitet. Konkret geht es um ein Champions-League-Qualifikationsspiel zwischen einem norwegischen und einem serbischen Team, das auf SRF info lief. SRG-Generaldirektor Gilles Marchand ist der Meinung, man habe die Konzession eingehalten, weil das Spiel von nationalem Interesse gewesen sei. Hat die SRG die Konzession nun verletzt, oder nicht?
Das BAKOM, als Aufsichtsbehörde, hat festgestellt, dass auf dem SRF-Infokanal zu viel Sport übertragen wird. Das wird jetzt geprüft. Dass Gilles Marchand eine andere Meinung hat und das anders beurteilt, ist für mich nachvollziehbar. Das heisst aber noch nicht, dass die Beschwerde nicht gerechtfertigt ist. Es ist allerdings nicht an mir, dazu Stellung zu nehmen. Ich werde mich nicht in Aufsichtsfragen einmischen. Diese Abläufe sollen politisch unabhängig geschehen.