Simpson ermöglichte als Baumeister das «Wunder von Stockholm». Simpson führte die Schweiz in den WM-Final mit einer Mannschaft, die vor dem Turnier auch als B-Auswahl bezeichnet worden war. Er, der es als Spieler «nur» bis in die AHL und in Europa zum Topskorer in Holland geschafft hatte, realisierte als Coach binnen 15 Jahren zwei Meistertitel (Zug, München), gewann die Champions League und den Victoria Cup (ZSC Lions), führte die Schweiz zum grössten Erfolg aller Zeiten und erhielt von den Medien und den Fans für diesen Triumph und die attraktive, offensive Spielweise die grösstmögliche Huldigung (Trainer des Jahres).
268 Tage nach dem Final von Stockholm stehen das Nationalteam und auch Simpson vor der Bewährungsprobe. Simpson bemerkte in den vergangenen neun Monaten oft auch die Schattenseite des Erfolges. Der Eishockeyverband hat seinen im Mai auslaufenden Vertrag überraschenderweise noch nicht verlängert.
Die Erwartungen der Öffentlichkeit stiegen ins Unerhörte. «Von allen Seiten höre ich: Silber war super, jetzt holt ihr Gold!», erzählt Simpson. Selbst Florian Kohler, der neue CEO des Eishockeyverbandes, verlor schon mal jeglichen Realitätssinn, als er im September eine Medaille in Sotschi oder im Mai in Minsk an der nächsten WM verlangte, was Simpson verstimmte.
«Ich habe seit der letzten WM sicher 1000mal betont, dass wir jetzt am Boden bleiben müssen. Unser Ziel an den grossen Turnieren muss die Qualifikation für die Viertelfinals bleiben. Wenn wir das geschafft haben, lehnen wir uns selbstverständlich nicht zurück. Wir wollen wieder in die Halbfinals oder in den Final kommen. Wir wollen wieder eine Medaille gewinnen. Aber das wird nicht jedes Mal möglich sein. Es geht in Sotschi jetzt nicht einfach weiter wie an der WM letzten Frühling. Im Sport muss man sich immer wieder alles neu verdienen.»
Taking off in a couple minutes #sochi #shortflight keep it down @21_Moser pic.twitter.com/IzFthaZCO8
— Roman Josi (@rjosi90) 9. Februar 2014
Das galt in den ersten vier Jahren als Nationalcoach auch für Sean Simpson. Er kam vor vier Jahren zu einem tollen Kaltstart an der WM in Deutschland (5. Platz), nachdem Ralph Krueger nach Vancouver und nach 13 Jahren den Bettel wegen eines Disputs mit dem damaligen Verbandsdirektor Philippe Gaydoul vorzeitig hingeschmissen hatte. Es folgten zwei schwächere Jahre mit dem 11. Platz an der WM 2012 in Helsinki als Tiefpunkt.
Simpson: «In dieser Phase klebte uns auch das Pech an den Kufen. Andererseits wollen wir nicht vergessen, dass wir den Stamm der Nationalmannschaft vergrössert haben. Wir haben junge Spieler eingebaut. Wir verbesserten die Kommunikation mit den Klubs massiv. Und auf die Enttäuschung von Finnland reagierten alle Parteien unglaublich professionell, was schliesslich den 2. Platz von Stockholm ermöglichte. Ich denke, die Schweizer Wahrheit liegt irgendwo zwischen dem 11. Platz von Helsinki und dem Silber von Stockholm.»
Zu einem Kaltstart kommen die Schweizer auch in Sotschi wieder. Beide geplanten Trainingsspiele fielen ins Wasser. Die Spieler aus der National League bestritten seit anderthalb Wochen kein Spiel mehr. Simpson: «Wenn wir gewusst hätten, dass wir in Sotschi nicht testen können, hätten wir die Vorbereitung sicherlich anders geplant.»
Der Nationalcoach und seine Akteure machten aus der Situation aber das Beste. «Die Stimmung in der Mannschaft ist vorzüglich. Alle sind guter Laune. Das ist nicht selbstverständlich, wenn Spieler die Vorbereitung mitmachen, die dann vor dem ersten Spiel wieder abreisen müssen. Ich spürte den Geist von Stockholm auch in Sotschi in den Trainings. Man fühlt, dass die Spieler auch an den Winterspielen wieder Grosses leisten wollen.»
Über Ziele und Erwartungen unterhielt sich Simpson mit seinen Spielern noch nicht. Er liess sie bislang einfach diskutieren. «Wir werden erst jetzt, da alle Spieler eingetroffen sind, gemeinsam unsere Ziele definieren.»
Simpson will seine erste Olympia-Teilnahme auf jeden Fall auch selber geniessen. Die Infrastruktur im Olympic Park bezeichnet er als «unglaublich gut», die Eröffnungsfeier am Freitag erlebte er als «sensationell». Simpson wirkt locker und aufgestellt wie selten in den letzten vier Jahren.
Regeln stellte er keine auf; es gibt nicht einmal eine Zimmerstunde. Simpson setzt auf die Eigenverantwortung der Spieler. «Die Spieler sind clever genug, dass sie vor einem Spiel nicht zwei BigMacs essen.» Das Leben im olympischen Dorf lässt eine optimale Vorbereitung auf die Einsätze zu. Simpson: «Wir werden vor den Partien genau das gleiche essen wie vor den Spielen in Stockholm.»