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Der Denunziant im Klassenzimmer weckt ungute Erinnerungen

Gleichgeschaltet: Essener Klassenzimmer im Mai 1933.
Gleichgeschaltet: Essener Klassenzimmer im Mai 1933.Bild: www.jugend1918-1945.de
lehrerpranger der JSVP

Der Denunziant im Klassenzimmer weckt ungute Erinnerungen

Die JSVP will eine Online-Meldestelle einrichten, damit Schüler linke Lehrer «verpfeifen» können. Diese Förderung des Denunziantentums erinnert an totalitäre Systeme. 
01.09.2014, 20:2406.09.2014, 08:36
Daniel Huber
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«Petzen» ist ein in Klassenzimmern häufig verwendeter Begriff. Schüler bezeichnen damit eine Tätigkeit, die nicht als fein gilt: Wer einer Autoritätsperson das unerwünschte Verhalten eines Mitschülers meldet, macht sich nicht beliebt. Der grosse Bruder der Petze ist der Denunziant, von dem das geflügelte Wort geht: «Der grösste Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant.» 

Kein Wunder, dass sich das böse Wort «Denunziation» auf der von der Jungen SVP lancierten Seite «Freie Schulen – Stopp der politischen Indoktrination!» nicht findet. Die JSVP will mit der Online-Meldestelle nach eigenen Angaben der «politisch einseitigen Beeinflussung an Schweizer Schulen» den Riegel schieben. Gemeint dürften dabei vor allem linke Pädagogen sein. 

Wenn Schüler die politische Korrektheit ihrer Lehrpersonen im Unterricht – und womöglich auch ausserhalb des Klassenzimmers – überwachen und vermeintliche Abweichungen der SVP-Meldestelle hinterbringen sollen, erinnert dies unweigerlich an die Verhältnisse in totalitären Staaten. Besonders verheerend wirkte sich das Denunziantentum – nicht nur im Bereich der Schule – im «Dritten Reich» und in der SED-Diktatur aus. 

Die Gestapo arbeitete hauptsächlich mit Denunzianten

Karikatur im Nazi-Hetzblatt «Stürmer» (1934) zur Entfernung der jüdischen Lehrkräfte aus den Schulen.
Karikatur im Nazi-Hetzblatt «Stürmer» (1934) zur Entfernung der jüdischen Lehrkräfte aus den Schulen.Bild: PD

Vor allem der NS-Staat baute nicht so sehr auf seinen Repressions- und Spitzelapparat, um Gegner und Kritiker des Regimes aufzuspüren, sondern vertraute in hohem Masse auf das Denunziantenwesen. Bereits im März 1933 erliess er die sogenannte «Heimtücke-Verordnung»; im Dezember 1934 folgte das «Heimtücke-Gesetz», das unter anderem gehässige Äusserungen «über leitende Persönlichkeiten des Staates oder der NSDAP» mit Gefängnis bedrohte. Damit war dem Denunziantentum Tür und Tor geöffnet. Allerdings gab es – ausser bei Hoch- und Landesverrat – keine Pflicht zur Denunziation.  

Dennoch «avancierte die Denunziation zum zentralen Bindeglied zwischen Staatsapparat und Bevölkerung». Die Gestapo war mitnichten die allmächtige, omnipräsente Organisation, als die sie heute oft erscheint – sie war in hohem Masse abhängig von der Denunziationsbereitschaft in der Bevölkerung. Schätzungsweise bis zu achtzig Prozent aller Verhaftungen beruhten auf Denunziationen und nicht auf eigenen Ermittlungen der Gestapo oder Meldungen ihrer V-Leute.  

Gleichschaltung der Lehrerschaft

Obwohl nur eine Minderheit der Deutschen sich als Denunziant betätigte, genügte die von ihr ausgehende Gefahr, um die gesamte Bevölkerung zu terrorisieren. Dies galt auch für den Bereich der Schule, wo Jugendliche, sogar Kinder, ihre Lehrer anzeigen konnten, um missliebige Autoritätspersonen loszuwerden. 

«Denunziation ist ein Zeichen antifaschistischer Wachsamkeit.» 
Erich Mielke, 1957-1989, Stasi-Chef (1948)

Zugleich wurde die Lehrerschaft im Dritten Reich von oben her gleichgeschaltet. Das «Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums» vom April 1933 bot Handhabe zur Entlassung missliebiger Lehrpersonen. Alle jüdischen Lehrerinnen und Lehrer mussten die Schulen verlassen, dazu ein Drittel aller Lehrerinnen. Aber auch pazifistisch eingestellte, sozialistische oder kommunistische Lehrkräfte wurden entlassen. Wer bleiben durfte, musste sich der Nazi-Ideologie fügen. 97 Prozent aller Lehrer wurden Mitglieder des NS-Lehrerbunds. 

DDR-Pioniere im Klassenzimmer.
DDR-Pioniere im Klassenzimmer. Bild: Bildarchiv preussischer Kulturbesitz

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Das Spitzelsystem der DDR

In der DDR dagegen konnte das nicht allzu populäre Regime weniger stark auf die Denunziationsbereitschaft der Bevölkerung vertrauen. Der SED-Staat baute deshalb ein beeindruckendes Spitzelsystem auf: 1989 gab es in der DDR rund 180'000 sogenannte «Informelle Mitarbeiter» (IM) – mehr als ein Prozent der Bevölkerung. Auf 90 Einwohner kam ein Spitzel

Das Ergebnis war ein umfassendes Klima des Misstrauens, das sich auch in den Schulen auswirkte. Lehrer schauten vorsichtshalber im Klassenbuch nach, welche Eltern SED-Mitglieder waren, da sie bei deren Kindern vorsichtig sein mussten. Schulen und Kindergärten, so gab ein Stasi-Offizier der Abteilung Kader und Schulung zu, waren «die Drehbänke, auf denen unsere IMs gefräst» wurden. So war denn auch ein Grossteil der DDR-Lehrer linientreu

Pikant: Unlängst hat SVP-Präsident Toni Brunner sich empört gegen die Unterstellung von «braunen Tendenzen» zur Wehr gesetzt. Bei den Von-Wattenwyl-Gesprächen verweigerte er seinem BDP-Amtskollegen Martin Landolt den Handschlag. Landolt hatte der SVP wegen ihrer Initiativpläne zum Asylrecht «braune Tendenzen» vorgeworfen. 

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