Schweiz
Franken

«Wir befinden uns nicht im Elfenbeinturm»: SNB-Chef Thomas Jordan stellt sich Leserfragen

Thomas Jordan sagt: «Ich bin sicher, der Franken wird seine Bedeutung behalten.»
Thomas Jordan sagt: «Ich bin sicher, der Franken wird seine Bedeutung behalten.»Bild: KEYSTONE

«Wir befinden uns nicht im Elfenbeinturm»: SNB-Chef Thomas Jordan stellt sich Leserfragen

Der Chef der Nationalbank steht Leserinnen und Lesern der «Schweiz am Sonntag» Red und Antwort. Er spricht über Negativzinsen, Immobilienblase und über Fehleinschätzungen – einzig der Goldtresor bleibt ein Tabu.
31.05.2015, 07:1831.05.2015, 08:34
patrik müller und beat schmid
Mehr «Schweiz»
Ein Artikel von Schweiz am Sonntag
Schweiz am Sonntag

Urs Morgenthaler: Ich bin Inhaber eines KMU und stelle fest, dass wir immer stärker vom Euroraum abhängig sind. Auch gegenüber Schweizer Kunden wird zunehmend in Euro fakturiert. Der Franken verliert an Bedeutung – das ist kaum in Ihrem Interesse? 

Thomas Jordan: Das ist Ausdruck der gegenwärtig aussergewöhnlichen Währungssituation. Ich bin aber sicher: Der Franken wird seine Bedeutung behalten. Er ist auch international eine der wichtigsten Währungen. In welcher Währung wird der Betriebskredit gewährt? In welcher Währung sind die Löhne und die Preise der Konsumgüter definiert? Das wird auch in Zukunft der Franken sein. Der Franken lässt sich in der Schweiz nicht so schnell verdrängen.  

Urs Morgenthaler: Gerade bei den Löhnen ist das nicht so sicher, da wird auch über Euro-Löhne gesprochen. 

Das wird in einzelnen Betrieben diskutiert. Für das Gros der Wirtschaft ist das aber kein Thema. Es gibt nicht nur ökonomische, sondern auch juristische Probleme. Und bei den Arbeitnehmern fallen ja auch die Ausgaben in Franken an: Miete, Lebensmittel, Steuern und Krankenkassen – alles zahlt man in Franken. Ich glaube nicht, dass Euro-Löhne eine Lösung sein können. 

Matthias Borner: Die Nationalbank und auch die ausländischen Zentralbanken drucken Geld wie noch nie. Trotzdem gibt es keine Inflation. Ist Ihr Job einfacher geworden?

Der Job aller Notenbanken, nicht nur der Schweizerischen Nationalbank, ist seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2007 sehr viel schwieriger geworden. Die Weltwirtschaft ist von einer Krise in die nächste gestürzt. Die Schweiz als kleines, offenes Land ist diesen globalen Störungen stark ausgesetzt. Wenn an den internationalen Märkten Unsicherheit herrscht, führt das regelmässig dazu, dass der Franken wegen seiner Funktion als sicherer Hafen unter Aufwertungsdruck kommt. Zudem: Der Einfluss von geldpolitischen Entscheiden ausländischer Notenbanken auf den Franken ist im gegenwärtigen Umfeld besonders gross. Das macht unsere Aufgabe noch anspruchsvoller. 

Der SNB-Chef nimmt auch Stellung zum Dilemma zwischen günstigen Hypotheken und den Negativzinsen bedingenden starken Franken.
Der SNB-Chef nimmt auch Stellung zum Dilemma zwischen günstigen Hypotheken und den Negativzinsen bedingenden starken Franken.Bild: KEYSTONE

Regula Simsa: Die Schweiz hatte immer tiefere Zinsen als andere Länder. Jetzt sind sie auch im Ausland sehr tief. Müssen Sie mit den Negativzinsen nun immer weiter runter?

Hätten wir keine Negativzinsen, wäre der Franken noch viel stärker. Der Euro-Zins ist ebenfalls leicht negativ, und wären wir bei null, also über dem Euro-Zins, würde das als Einladung gesehen, mehr Gelder in Franken anzulegen. Ob wir mit den Negativzinsen weiter herunter müssen, hängt von der internationalen Entwicklung ab. Man kann zurzeit eher davon ausgehen, dass in den USA und in Europa die Zinsuntergrenze erreicht ist und dass sich die Sätze über die Zeit wieder nach oben bewegen. Man spricht in den USA davon, aus der expansiven Politik auszusteigen und die Zinsen wieder zu erhöhen. Auch in der Euro-Zone rechnen die Marktbeobachter nicht damit, dass die Zinsen weiter sinken – wobei es immer Überraschungen geben kann. Wir sind mit minus 0,75% bereits recht weit gegangen und warten jetzt die Wirkung ab. 

Claudio Quinter: In Ihrer Dissertation 1994 haben Sie die Staatsschuldenkrise im Euro-Raum vorhergesehen ...

... haben Sie sie gelesen? 

Claudio Quinter: Noch nicht ganz (alle lachen). Was ich fragen möchte: Sie sagten die letzte grosse Krise voraus, was prophezeien Sie uns für die Zukunft? Eine Immobilienkrise? Mit den Negativzinsen treiben Sie die institutionellen Anleger ja geradezu in die Immobilien.

Der starke Franken bedingt die Negativzinsen, zugleich bedeuten diese, dass die Hypotheken sehr günstig sind. Das ist ein Dilemma. Ganz wichtig ist die Aufklärung. Kreditnehmer, Banken und die Immobilienbranche müssen wissen: Wenn die Zinsen wieder steigen oder wenn die Immobilienpreise plötzlich sinken, müssen dies alle Beteiligten bewältigen können. Darauf müssen sie vorbereitet sein. Zudem wurden in den vergangenen Jahren insbesondere zwei Massnahmen ergriffen: Erstens akzeptieren die Banken bei Hypotheken nur noch maximal 10 Prozent Eigenkapital aus der Pensionskasse; Eigenheimkäufer müssen also auch anderes Eigenkapital einbringen. Und zweitens wurde der sogenannte antizyklische Kapitalpuffer erhöht, das heisst, die Banken müssen für Hypotheken mehr Kapital zur Seite legen. Beides hat dämpfende Wirkung. 

Marcel Rohner: Was bedeutet es für die Schweiz, falls Griechenland zahlungsunfähig werden sollte? Was macht die Nationalbank dann? Führt sie wieder einen Mindestkurs ein?

Wir dürfen die Risiken, die von Griechenland ausgehen, nicht unterschätzen. Das Hauptszenario ist immer noch, dass es eine Lösung gibt. Griechenland müsste sich demnach verpflichten, Strukturreformen durchzuführen und würde im Gegenzug finanzielle Unterstützung erhalten. Doch niemand kann ausschliessen, dass es anders kommt. Und dann könnten wir ein ernsthaftes Problem haben. 

Ursula Fahrländer: Eine ketzerische Frage: Gewichten wir in der Schweiz den Bankensektor nicht viel höher als die Realwirtschaft? Die aktuelle Geldpolitik hilft doch den Banken. Kapitalverkehrskontrollen sind tabu. Es ist immer die Industrie, die sich anpassen muss!

Wir sollten Finanz- und Realwirtschaft nicht als Gegensatz sehen. Wir brauchen beide: Ohne Finanzwirtschaft fehlen der Realwirtschaft die nötigen Mittel für Investitionen. Umgekehrt funktioniert der Finanzsektor ohne Realwirtschaft nicht gut. Langfristig haben wir in der Schweiz grosse Vorteile, wenn wir sowohl einen starken Finanzplatz als auch einen leistungsfähigen Werkplatz haben. Was uns stark macht, ist eine sehr gute Mischung unserer Wirtschaft; auch innerhalb der Industrie haben wir eine sehr grosse Heterogenität. Diese Diversität ist eine Stärke der Schweiz, die es immer wieder erlaubt, uns je nach Entwicklung rasch anzupassen und neue profitable Nischen zu finden. 

Jonas Herter: In der NZZ stand, dass die SNB bei der Einführung des Euro-Mindestkurses von falschen Annahmen ausgegangen sei. Ihr Szenario war, dass sich die Wirtschaft global schneller erholt und der Mindestkurs damit automatisch überflüssig würde. Das erwies sich als falsch.

Die Einführung des Mindestkurses basierte nicht auf einer Fehleinschätzung … 

Jonas Herter: ... aber die Aufhebung des Mindestkurses?

Nein, die auch nicht. Die internationale Entwicklung hat sich verändert, vor allem auch die Geldpolitik im Ausland – darum mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass der Mindestkurs von 1.20 Franken pro Euro nicht mehr nachhaltig ist. Wir durften die Augen nicht vor dieser Entwicklung verschliessen. Hätten wir den Mindestkurs trotzdem noch eine Zeitlang mit riesigen Interventionen durchgesetzt, hätte es bei der etwas später unvermeidbaren Aufhebung viel grösseren Schaden für die Wirtschaft und höhere Volatilität an den Finanzmärkten gegeben. Auch die Fähigkeit der Nationalbank, in Zukunft Geldpolitik zu betreiben, wäre massiv eingeschränkt worden. 

Jonas Herter: Wie läuft eigentlich die Entscheidungsfindung in Ihrem Gremium ab? Sprechen Sie sich mit der Politik ab?

Generell gilt: Die Geldpolitik muss ihre Entscheidungen immer unter sehr grosser Unsicherheit treffen. Zum Beispiel wissen wir nicht genau, was in Griechenland passieren wird oder wie es in der Ukraine weitergeht. Basierend auf dem Wissen, das wir haben, müssen wir Analysen und Prognosen machen. Dann definieren wir die Massnahmen, mit denen wir am besten unsere Ziele erreichen. Die Nationalbank muss ihre Entscheide als unabhängige Zentralbank treffen. Wir dürfen keine Instruktionen entgegennehmen. Das heisst, wir müssen auch die Verantwortung für die Entscheide übernehmen. Das heisst aber nicht, dass wir uns in einem Elfenbeinturm befinden. Wir pflegen einen sehr intensiven Austausch mit Wirtschaftsvertretern, treffen den Bundesrat regelmässig und legen jährlich Rechenschaft gegenüber dem Parlament ab. 

Claudio Quinter: Eine persönliche Frage. Es gab Schlagzeilen über Sie wie der «Jobkiller der Nation». Aus den akademischen Kreisen war zu hören: «Der Jordan soll für Preisstabilität sorgen und nicht für Überraschungen». Wie gehen Sie damit um?

In meiner Funktion muss man damit leben können. Hätte ich Angst vor Kritik, würde ich den Job nicht machen. Es gibt immer wieder Entscheidungen, die grosse Auswirkungen haben und gewisse Akteure negativ beeinflussen und damit unweigerlich für Kritik sorgen. Im Übrigen habe ich bei öffentlichen Veranstaltungen und Vorträgen den Eindruck, dass die Politik der Nationalbank auf die Unterstützung der Bevölkerung zählen darf. Ich staune oft, wie gut informiert die Bürger sind. Das sieht man ja auch bei Ihren Fragen. Ich glaube nicht, dass der Informationsstand in anderen Ländern ebenso hoch ist. 

Thomas Jordan unterwegs zur SNB-Generalversammlung im März.
Thomas Jordan unterwegs zur SNB-Generalversammlung im März.Bild: KEYSTONE

Matthias Borner: Die Pensionskassen sind wichtige Akteure in den Finanzmärkten. Mit dem Negativzins zwingt die Nationalbank die Kassen dazu, in Aktien zu investieren. Verursachen Sie damit nicht eine Blase?

Man muss unterscheiden zwischen der effektiven Wirkung des Negativzinses auf Bankguthaben – die ist eher bescheiden – und den weltweit sehr tiefen Zinsen. Diese sind das Problem! Nehmen wir an, eine Pensionskasse hat 10 Prozent liquide Mittel und sie muss ein Prozent Negativzins zahlen. Die Rendite auf dem Gesamtportfolio beträgt, sagen wir ... Welche Rendite erzielen Sie mit Ihrer Pensionskasse? 

Matthias Borner: Immer top (lacht). Zwischen 8 und 9 Prozent.

Super. Sagen wir 8 Prozent. Sie erzielen also 8 Prozent Gesamtrendite und legen 10 Prozent Liquidität bei einer Bank zu null Prozent an. Wegen der SNB müssen Sie nun bei Ihrer Bank 1 Prozent Negativzins auf diesen 10 Prozent bezahlen. Das heisst, Ihre Gesamtrendite geht von 8 auf 7,9 Prozent zurück. Das ist die effektive Auswirkung des Negativzinses auf Bankguthaben! 

Henry Twerenbold: Die Banken leiden unterschiedlich stark unter den Negativzinsen. Besonders betroffen sind die Privatbanken. Ist die SNB bereit, auf deren Forderungen einzugehen und die Auswirkungen der Negativzinsen abzumildern?

Wir können keine Abweichungen erlauben. Wenn wir damit anfangen, dann pochen andere ebenfalls auf Ausnahmen. Es braucht also ein Grundkonzept, das ökonomisch und rechtlich wasserdicht ist und entsprechend umgesetzt werden kann. In der konsequenten Ausrichtung des Modells liegt ein wesentlicher Teil seiner Wirkung. 

Marcel Rohner: Wagen Sie für uns eine Prognose: Wo liegt der Eurokurs Ende Jahr? Bei 1.00 oder 1.10 Franken? Sie sind der Mann, der das beurteilen kann!

Wir machen grundsätzlich keine Wechselkursprognosen. Aber der Franken ist signifikant überbewertet und er sollte sich deshalb über die Zeit abwerten. Wir haben zudem unterstrichen, dass wir bei Bedarf am Devisenmarkt aktiv werden.  

Claudio Quinter: Kürzlich habe ich gelesen, dass wichtige Professoren für eine Abschaffung des Bargeldes plädieren. Wie stehen Sie dazu? Können wir die Notenpresse bald einmotten?

Nein, Bargeld wird auch in Zukunft ein wichtiges Zahlungsmittel bleiben. Es gibt überhaupt keinen Grund, das Bargeld abzuschaffen. Wie Sie wissen, sind wir daran, eine neue Notenserie zu produzieren, von der – wenn alles gut geht – nächstes Jahr die erste Note in Umlauf gebracht wird. Das zeigt: Wir glauben auch in Zukunft an das Bargeld. 

Regula Simsa: Es ist ein gigantisches Experiment, das derzeit Notenbanken auf der ganzen Welt veranstalten. Wo führt das hin? Gibt es einen geordneten Rückzug oder kommt es eines Tages zum Knall?

Die Zentralbanken sind in den letzten Jahren in der Tat sehr weit gegangen. Allerdings hat die Geldpolitik geholfen, dass wir nach Ausbruch der Finanzkrise nicht in eine zweite grosse globale Depression wie in den 1930er-Jahren gefallen sind. Jetzt müssen wir aber auch feststellen, dass die Wirkung dieser extrem expansiven Geldpolitik weltweit wieder abnimmt. Die Geldpolitik kann nicht alle Probleme lösen, auch dann nicht, wenn man nochmals die doppelte Geldmenge in den Markt wirft. Es sind in vielen Ländern nun auch andere Politiken gefragt, die greifen müssen: Die Steuerpolitik etwa, oder Reformen auf den Arbeitsmärkten. 

Yves Reichenbach: Wenn wir schon alle hier sind: Können Sie uns den Tresor mit den Goldreserven zeigen? (alle lachen)

Gehen Sie schon mal in den Keller runter, ich muss nur noch schnell den Schlüssel im Büro holen! (Alle lachen) Nein, das ist aus Sicherheitsgründen leider nicht möglich. Vor nicht allzu langer Zeit haben wir zumindest gesagt, wo wir das Gold lagern. 70 Prozent in der Schweiz, 20 Prozent bei der Bank of England und 10 Prozent bei der kanadischen Zentralbank. Wir haben das damals transparent gemacht, um die Diskussion über die Lagerorte ein wenig abklingen zu lassen. Aber ich kann Ihnen versichern: Das Gold ist vorhanden!

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
1 Kommentar
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
1
Staatsanwaltschaft Bern droht mit Internet-Pranger

Nach einer Auseinandersetzung im Bahnhof-Parking Bern mit zwei Verletzten droht einem mutmasslichen Täter der Internet-Pranger. Die regionale Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland hat eine dreistufige Öffentlichkeitsfahndung verfügt, wie sie am Dienstag mitteilte.

Zur Story