Als der Schlusspfiff im Letzigrund fällt, ist es still in der Südkurve. So still wie es erst wieder sein wird, wenn der Putzwagen die Gummigeschosse auf den Strassen im Kreis 5 aufgesaugt hat.
Nach wenigen Minuten entlädt sich der Frust. Gut sechzig Fans spazieren an den Sicherheitskräften vorbei und belagern die Katakomben des Stadions. Es herrscht Gedränge, Fäuste fliegen durch die Luft, es wird geflucht. «Scheiss Canepa!». Heute könnte es schlimm werden, befürchten ein paar Fans im Stadion. Vermummte, die bereits draussen sind, wollen wieder rein, stieben dann aber Richtung Altstetten davon. An der Haltestelle Letzigrund wird Feuerwerk gezündet, die Trams kommen kaum durch die Menschenmenge, kurz macht sich Nervosität unter den erschöpften Fans breit.
Doch die meisten sind einfach nur müde. Die Hoffnung bis zuletzt am Leben zu halten, hat sie ausgelaugt, die Ernüchterung überwiegt den Frust. Im Stadion drin hat sich die Lage bereits wieder beruhigt, Canepa ist weg, die Handvoll Vaduzer können ja eh nichts für den Abstieg und der einzig greifbare Feind, GC, steckt noch im Zug von Basel nach Zürich. Die Gespräche drehen sich jetzt um den Nachhauseweg oder das letzte Bier.
Rund 500 FCZ-Fans sind es dann doch noch, die die Badenerstrasse entlang zur Langstrasse ziehen. «Lasst die Frauen zurück!», sagt einer. Ein anderer sagt wieder: «Das könnte übel werden». Doch der Fanzug verliert an jeder Bar, an dem er vorbeikommt, Anhänger – lieber Bier trinken als Container umkippen. An die verkündete Abstiegsparty am Stadthausquai geht erst recht niemand mehr. Dort, an der Limmat vorne, ist es noch ruhiger als beim Schlusspfiff im Letzi.
Erst bei der Europaallee geraten die Fans, es sind jetzt noch rund 150, ausser Kontrolle. Scheiben klirren, Steine fliegen, das irische Pub an der Lagerstrasse schliesst die Tür sofort von innen ab, von der Sihlpost aus setzt die Polizei den Wasserwerfer ein und verpulvert Gummischrot. Das wirkt. Die inzwischen arg dezimierte Gruppe zieht sich auf die Piazza Cella an die Langstrasse zurück. Dort stehen sie nun, konsterniert und traurig. Müde Augen, Bier in der Hand. Aus dem Longstreet dröhnt Reggaeton auf den kleinen Platz, es passt nicht zu den niedergeschlagenen Gesichtern in blauen Kapuzenpullis.
Die GC-Fans aber, die derweil am Hauptbahnhof ausgestiegen sind, haben noch Energie. Es ist bereits nach Mitternacht, als 150 Vermummte mit Schlagstöcken bewaffnet am Sihlquai an die Polizei geraten. Sie wollen rüber, zu den FCZ-Fans in den Kreis 4, aber die Polizei lässt sie nicht. Von Gummischrot und Tränengas vertrieben schreiten die GC-Fans durch den Kreis 5 Richtung Langstrasse. Sie laufen schnell, die Aufpasser am Rand der Truppe sorgen dafür, dass niemand zu lange zuschaut. Die Polizei folgt ihnen nicht. Doch die Langstrassenunterführung ist noch immer von einem Wasserwerfer blockiert. Also wieder zurück, zu den Polizisten am Sihlquai. Tränengas, Gummischrot. «Es isch verbii, chum mer tränned ois», ruft einer, endlich. «Wer mitlaufe will, lauft mit», sagt ein zweiter. «Aber gschlosse.»
Es sind nur noch eine Handvoll Vermummte, die zurück an die Langstrasse gehen. Die Aufpasser passen noch immer auf – worauf, ist nicht so klar. «Du bisch ufem Heiwäg? Ja huere gahsch hei», blafft einer misstrauisch, um sich dann endgültig mit den Übriggebliebenen in eine kleine Bar zurückzuziehen.
Es ist fast halb zwei Uhr. Zwischen den Häusern im Kreis fünf hängt noch immer Tränengas. Keine Rufe mehr, keine Sirenen. Nur das gleichmässige Wummern des Putzwagens, der die Gummigeschosse aufsaugt.