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Bundespräsident über Chinas Politik: «Ich finde es nachvollziehbar, dass es Disziplin braucht»

Bundespräsident Johann Schneider-Ammann bringt Verständnis auf für das harte Durchgreifen der chinesischen Regierung.
Bundespräsident Johann Schneider-Ammann bringt Verständnis auf für das harte Durchgreifen der chinesischen Regierung.
Bild: Ng Han Guan/AP/KEYSTONE

Bundespräsident über Chinas Politik: «Ich finde es nachvollziehbar, dass es Disziplin braucht»

Der Bundespräsident findet, dass das chinesische Regime mit einer «Mischung aus Offenheit und Härte» gut fuhr. Und nicht nur China, auch die Schweiz profitiert davon.
09.04.2016, 09:0209.04.2016, 10:16
Dennis Bühler / Nordwestschweiz
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Johann Schneider-Ammann ist gut gelaunt, als er die «Nordwestschweiz» zum Interview in der Mansion Suite des Rosewood Hotel in Peking empfängt. Soeben hat er den ersten Termin des Tages hinter sich, das Treffen mit Wissenschaftsminister Wan Gang, den er seit Jahren kennt und dem er sich besonders eng verbunden fühlt. Noch bevor steht ihm zu diesem Zeitpunkt der Höhepunkt des dreitägigen Staatsbesuches in China: der Empfang bei Xi Jinping, Staatspräsident und Generalsekretär der kommunistischen Partei, in der Grossen Halle des Volkes. Nach einer Militärparade, Nationalhymnen und Kanonenschüssen sowie der Unterzeichnung von sieben reichlich vage wirkenden Absichtserklärungen äussert sich Schneider-Ammann am Abend zufrieden. «Der Besuch hier in Peking war erfolgreich», sagt er.

Herr Bundespräsident, was macht China besser als die Schweiz?
Johann Schneider-Ammann:
Mit ihrer inzwischen offenmarktlichen und auch auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Politik sind die Chinesen dabei, ihr Land in eine moderne Volkswirtschaft zu verwandeln, die technologisch vorne mitmischt. Es gelang, 500 Millionen Menschen aus der Armut zu helfen. Das beeindruckt mich. Doch nicht nur die Chinesen auch wir machen das meiste nicht nur gut, sondern exzellent. Unsere gute Ausbildung und die hohe Beschäftigungsquote wecken den Neid der Chinesen.

Vor uns brauchen sich die Chinesen doch nicht zu fürchten. Erst vor zwei Monaten haben sie die Syngenta zum Rekordpreis von 43.7 Milliarden Franken gekauft. Wenn sie unsere Firmen wollen, haben wir keine Chance.
Vorausschicken muss man, dass wir Schweizer jene Nation sind, die pro Kopf mit Abstand am meisten ausländische Direktinvestitionen tätigt. Sprich: Wir kaufen viel mehr Firmen im Ausland auf als die Chinesen. Bei Syngenta kommt dazu, dass das Unternehmen mit diesem Investor stärker und nachhaltiger aufgestellt ist als mit anderen, die im Gespräch waren: Schon vor der Übernahme war das Unternehmen von internationalen Aktionären geprägt, die aber einzig auf eine möglichst hohe Dividende aus waren. Jetzt wird es strategisch geführt.

Doch nach Ablauf der vertraglich vereinbarten 5-Jahre-Frist werden die Arbeitsplätze von Basel nach Peking verlagert werden.
Nein. Syngenta wird weit darüber hinaus in Basel bleiben, weil das dort vorhandene Know-how nicht einfach nach China abtransportiert werden kann. Die Arbeitsplätze werden hier bleiben, wenn ein Investor mit solchen Absichten einsteigt. Und somit bleibe ich bei meiner nach der Übernahme getätigten Aussage, die fälschlicherweise zynisch verstanden wurde: Das war ein guter Deal.

Bundespräsident Schneider-Ammann wird von Chinas Staatspräsident Xi Jinping empfangen.
Bundespräsident Schneider-Ammann wird von Chinas Staatspräsident Xi Jinping empfangen.
Bild: Ng Han Guan/AP/KEYSTONE

Werden wir uns an chinesische Übernahmen gewöhnen müssen?
Das ist gut möglich. Die Schweiz ist eine offene Volkswirtschaft, die keine protektionistische Abwehrhaltung einnimmt. Mit unserem hohen Technologiestandard und unserer Innovationskraft sind wir für ausländische Unternehmer attraktiv. Doch das ist mehr Chance als Risiko: Gefragt zu sein, ist mir jedenfalls viel lieber, als wenn niemand etwas von uns wissen wollte.

Sie haben China erstmals 1987 als Unternehmer besucht, vor fast 30 Jahren also. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre erste Visite im Reich der Mitte?
Als ich damals wegen einer Baumaschinenmesse nach Schanghai reiste, war es ein Städtchen mit einer einzigen asphaltierten Strasse. Überall sonst wirbelten die Einheimischen mit ihren Velos Staub auf. Wann immer ich in den folgenden Jahren dorthin zurückkehrte, erkannte ich Schanghai kaum wieder. Stets war irgendwo ein neues Quartier mit in den Himmel ragenden Hochhäusern hochgezogen worden. Damit ging eine gewaltige Qualitätsverbesserung einher: 1987 hatte Schanghai noch weder eine funktionierende Wasser- noch eine Abwasserversorgung.

Kaum jemand traute dem kommunistischen China damals eine derart rasante Entwicklung zu.
Das stimmt. Im Vorfeld der Baumaschinenmesse hatte es in unserem Unternehmen Streit gegeben, ob wir überhaupt nach Schanghai reisen sollten. Die ältere Generation war der Ansicht, dies sei eine riesige Dummheit, und überzeugt, China sei derart weit weg und rückständig, dass es mit unserer Technologie auf Jahrzehnte hinaus nichts anzufangen wisse. Doch es kam anders. Die Chinesen verstanden es geschickt, den Wohlstand zu befördern, und entwickelten ihr Land in wenigen Jahren von einem Agrarstaat zu einer führenden Industrienation.

Der Schweizer Botschafter in Peking hat publik gemacht, dass Sie Insidern auch als «Mister China» bekannt seien. Was hat Sie von diesem Land überzeugt?
Als ich 1977 mein Elektrotechnikstudium an der ETH Zürich abschloss, wurden dort 1400 Studenten pro Jahr ausgebildet. Gleichzeitig hatten die technischen Hochschulen Schanghais 140 000 Abgänger pro Jahr. Als ich diese Zahlen hörte, war mir sofort klar: Die Kraft dieser Gutausgebildeten wird sich durchsetzen. Diese Menschen werden sich den Wohlstand erzwingen.

Wann erkannten Sie in den Chinesen ernstzunehmende Konkurrenz?
Spätestens, als ich mich fünf Jahre später in Paris weiterbildete. Der Siebnergruppe, mit der ich einen Master of Business Administration absolvierte, gehörten auch zwei Chinesen an. Wenn wir Europäer und Amerikaner beim Lernen jeweils morgens um eins sagten, wir gingen zu Bett, antworteten die asiatischen Kommilitonen: «Wir sind noch nicht fertig.» Ohne mit der Wimper zu zucken, arbeiteten sie bis zum Morgengrauen weiter, wenn sie es für nötig hielten. Diese Erfahrung hat mein Weltbild geprägt: Ich erkannte erstmals, dass uns ambitionierte, hochtalentierte Menschen aus dem Fernen Osten in den Schatten stellen werden, wenn wir nicht mindestens gleich lang auf den Beinen sind wie sie.

Als wie kommunistisch nehmen Sie China heute wahr?
Nicht enorm stark. Mit den chinesischen Ministern kann ich offen auch über für sie schwierige Themen wie Nachhaltigkeit und Menschenrechte diskutieren. Ein derart grosses Land in wenigen Jahren so stark zu verändern und gleichzeitig die Stabilität zu sichern, war wohl nur mit einer strikten Steuerung von oben möglich. Ja, China hat ein autoritäres Regime, das auf der kommunistischen Idee basiert. Aber diese Idee wird teilweise offen gelebt. Der Ein-Parteien-Staat verfolgt einen hier nicht auf Schritt und Tritt.

Sie halten die gegenwärtige Staatsform für die beste, weil nur mit ihr die Stabilität Chinas gewahrt werden kann?
Ich habe mir diese Frage oft gestellt. Die Stabilität Chinas ist auch für die Weltwirtschaft von höchster Bedeutung. Mit ihrer Mischung aus Offenheit und Härte – nennen wir es Demokratur – hat die Regierung Stabilität bisher erreicht. Aber das hat seinen Preis.

Chinas Staatspräsident Xi Jinping hat in den letzten drei Jahren die Repression ausgebaut. Er entwickelt die Demokratur wieder stärker in Richtung Diktatur.
Das ist von aussen, basierend auf Medienberichten, schwer zu beurteilen. Es gibt Entwicklungen, die uns Sorgen bereiten, die habe ich in meinen Gesprächen hier in China mit der Staatsführung angesprochen. Die Achtung der Menschenrechte ist für die Schweiz wichtig. In anderen Bereichen öffnet sich das Land: Die Reisefreiheit des chinesischen Volkes beispielsweise, von der auch der Schweizer Tourismus profitiert, spricht eine andere Sprache.

Sie haben Verständnis für die eiserne Hand Xi Jinpings?
Wie gesagt: Wir haben hier Differenzen. Es geht auch nicht um Verständnis, sondern um Respekt vor der schwierigen Aufgabe. Ich habe eine aus internationaler Warte kleine, aus Schweizer Sicht grosse Unternehmung geführt – das war oft schwierig. Jetzt bin ich in der Regierung eines kleinen Landes – und das ist oft noch schwieriger. Ich mag mir nicht ausmalen, wie es mit einer derart grossen Nation wie China wäre. Jedenfalls finde ich nachvollziehbar, dass es eine gewisse Disziplin braucht. Zum Beispiel bei der Korruptionsbekämpfung ist das chinesische Regime auf einem guten Weg. In diesem Bereich sind wir froh, hat Xi Jinping die Zügel angezogen.

Sie haben bisher zwei grosse Reisen unternommen: im Februar in den Iran, jetzt nach China. Nirgendwo sonst werden so viele Menschen hingerichtet wie in diesen beiden Ländern. Weshalb reisen Sie gerade in diese Staaten?
Iran und China sind aufstrebende Länder, die über riesiges Potenzial verfügen. Als Türöffner versuche ich, Schweizer Firmen zu helfen, Kontakte zu knüpfen. Das ist der Hauptzweck. Aber ich bin auch der Überzeugung, dass die Handelsbeziehungen auch die Reformen verstärken: Wenn eine breite Mittelschicht entsteht, wenn die Bildung verbessert wird, trägt das zu einem Öffnungsprozess bei.

Jetzt auf

Wie schwierig ist es, den Gastgebern bei solchen Besuchen auch zu vermitteln, dass die Schweiz auf die Einhaltung der Menschenrechte pocht?
Die Schweiz geniesst im Iran und in China höchste Anerkennung. Jeder Politiker dort weiss, dass wir kleines Völkchen nur dank unserer Innovationskraft eines der weltweit höchsten Einkommen pro Kopf haben. Kurzum: Wir werden ernst genommen. Und damit sind die Voraussetzungen geschaffen, um ihnen gegenüber auch kritische Themen anzusprechen. Die iranischen und die chinesischen Regierungsmitglieder akzeptieren unsere Kritik, die sie übrigens auch erwarten.

Nützen diese Appelle denn etwas?
Steter Tropfen höhlt den Stein. Ich bin überzeugt, dass unsere Appelle zumindest langfristig nützen. Aber wir bringen sie vor allem intern an und machen nicht allzu viel Lärm darum. Denn dies weckt nur Abwehrreflexe. Man muss die Kritik so vorbringen, dass die Gegenseite das Gesicht nicht verliert. Das habe ich im Iran und in China versucht. (aargauerzeitung.ch)

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9 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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rodolofo
09.04.2016 09:40registriert Februar 2016
Ich beobachte auch an meinem Wohnort immer mehr Chinesen.
Sie scheinen einen Narren gefressen zu haben an unserem gut funktionierenden, "putzigen" Ländchen, wo es keine Smog-Glocke gibt, wie in Peking.
Früher haben die Chinesen kopiert und spottbillig produziert. Damit haben sie "den Markt kaputt gemacht".
Dann konnten sie die Schweizerischen Präzisionsmaschinen zum Schnäppchenpreis aufkaufen und ihre Produkte auch qualitativ verbessern. Und jetzt kaufen sie ganze Industriebetriebe, wie "Syngenta", oder vielleicht bald Stauseen und AKW's?
Schneider-Amman lächelt dazu, als wäre er "gekauft"...
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Vernon Roche
09.04.2016 12:12registriert November 2015
Der eine Bundesrat heisst die Disziplinierungsmassnahmen eines Einparteiensystems (zu Deutsch Diktatur) gut, ein anderer Offshorekonten der oberen Zehntausend.
Da bin ich ja beruhigt..
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