US-Fan Jerry steht um 6 Uhr auf, um Vaduz spielen zu sehen

Jerry Savage bei seinem ersten Spiel im Vaduzer Rheinpark-Stadion.
Jerry Savage bei seinem ersten Spiel im Vaduzer Rheinpark-Stadion.bild: zvg

Meet Jerry: Der Amerikaner, der um 6 Uhr aufsteht, um im Internet den FC Vaduz spielen zu sehen

«Es gibt auf der ganzen Welt viele grossartige Teams. Aber keines hat mein Herz so erobert wie der FC Vaduz.» Jerry Savage lebt in den USA, aber er schaut jedes Spiel der Liechtensteiner. 
21.08.2016, 12:4822.12.2016, 18:41
Ralf Meile
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Philadelphia, Sonntagmorgen, die Vögel pfeifen fröhlich. Es ist 6.15 Uhr und Jerry Savage ist schon früh auf. Heute ist schliesslich Matchtag. Also zieht er sich ein rotes T-Shirt an, macht Frühstück und schleicht dann – ruhig, um Ehefrau Nicole nicht aufzuwecken – nach unten, wo er den Computer anwirft. Denn Jerrys Interesse gilt keinem lokalen Team: Er fiebert im Internet mit dem FC Vaduz mit.

Vor zwei Jahren hat er sein Herz an den Underdog der Super League verloren. Der Tontechniker weilte damals beruflich in der Schweiz und weil er Fussballfan ist, besuchte er so viele Matches wie möglich, von Super über Challenge und Promotion League bis hinunter in die 1. Liga, egal wo. «Ich bin durchs Land gereist, so oft ich nur konnte», erzählt der 35-Jährige. Schliesslich habe er nicht gewusst, ob er jemals wieder in die Schweiz reisen könne. Savage hatte Glück: Sein Arbeitgeber schickte ihn seither noch zwei weitere Male nach Zug.

Aber wenn ein Fremder, ein absolut Unvoreingenommener Fussballspiele in Basel, Sion oder St.Gallen, in Luzern, Neuenburg, Zürich oder Winterthur sieht: Weshalb schenkt er seine Liebe dann ausgerechnet Vaduz? Der Gastverein aus dem Fürstentum Liechtenstein dürfte jede Wahl zum unpopulärsten Klub der Super League locker gewinnen.

Ein Groundhopper, der die Schweiz und ihre Super League lieben gelernt hat.
Ein Groundhopper, der die Schweiz und ihre Super League lieben gelernt hat.bild: zvg

«Die Vaduzer sangen einfach immer weiter. Und ich fühlte mich wie einer von ihnen»

Des Rätsels Lösung liegt bei einem Bekannten Savages, der jemanden kennt, der den einstigen Vaduz-Spieler Markus Neumayr kennt. Der deutsche Regisseur liess dem US-Fussballfan ein Ticket für das Vaduzer Gastspiel bei GC zukommen. «Es schien mir nach dieser Geste angebracht, Vaduz zu unterstützen», schildert Savage, der sich noch gut an die Partie erinnert. «Vaduz schoss das Führungstor und liess dann nichts mehr anbrennen. Das war ein grossartiger Sieg!» Es war der allererste gegen den Schweizer Rekordmeister.

Jerry Savage, der Glücksbringer? Gut möglich. Er war beim nächsten Spiel einer von 6733 Fans, die gegen den grossen Nachbarn FC St.Gallen für einen neuen Zuschauerrekord im Vaduzer Rheinpark sorgten. «Um mich herum waren lauter St.Gallen-Fans, dabei war ich nicht im Auswärtsblock», erinnert sich Savage. Vaduz holte ein 2:2, das sich wie ein Sieg anfühlte. «Ich war ganz aufgewühlt und voll dabei. Die St.Galler Anhänger waren zwar viel lauter, aber die Vaduzer sangen einfach immer weiter. Und ich fühlte mich wie einer von ihnen.» 

31.Aug.2014; Zuerich; Fussball Super League - Grasshopper Club - FC Vaduz;
Markus Neumayr (Vaduz) gegen Stephane Grichting (GC) (Andy Mueller/freshfocus)
Herbst 2014: Vaduz-Neuymar stellt GC-Routinier Grichting vor Probleme.Bild: Andy Mueller/freshfocus

Nur die Geburt seines Sohnes hielt ihn von seiner Passion ab

Sonntag, 7.30 Uhr, in einem Haus in Philadelphia: Helene Fischer ist wieder mal atemlos. «Ich habe diesen Song bei meinem ersten Vaduz-Spiel gehört. Er wurde ein Ohrwurm, den ich nicht mehr aus dem Kopf bringe. Dass ich ihn abspiele, soll dem Team Glück bringen.» Jetzt sind also nicht einmal mehr die USA sicher vor der deutschen Schlagersängerin!

Die Partien des FC Vaduz schaut sich Savage im Internet an. Auf offiziellem Weg gehe dies leider nicht, bedauert er, doch er fände immer zuverlässige Streams. Bloss ein Spiel hat der Fan, der 6500 Kilometer vom Rheinpark entfernt zuhause ist, nicht zu Ende geschaut. Aus gutem Grund: «In der 65. Minute von Vaduz-Luzern im Mai setzten bei meiner Frau die Wehen ein.»

Söhnchen Max nach der Geburt aus dem Spital abgeholt – und sofort im Stream schauen, wie sich Vaduz schlägt.
Söhnchen Max nach der Geburt aus dem Spital abgeholt – und sofort im Stream schauen, wie sich Vaduz schlägt.bild: zvg

Sohn Max ist mittlerweile drei Monate alt, «und er hat noch kein Super-League-Spiel des FC Vaduz verpasst», erzählt der stolze Papa. Max' Mutter schläft meist noch, «aber wenn ich zu laut juble oder über den Schiedsrichter schimpfe, wacht sie auf.»

Savage schaut sich die Spiele nicht nur an, er twittert wichtige Ereignisse davon auch für den Rest der Welt. Vielleicht gibt es ja wirklich noch mehr Menschen, die das interessiert.

«Dani Wyler höre ich gerne zu, auch wenn ich ihn nicht verstehe»

Savage ist zwar überzeugter Vaduz-Anhänger. Doch er sei ganz generell auch ein Fan der Super League. Das Nachmittagsspiel am Sonntag, um 10 Uhr morgens in Philadelphia, lasse er sich nie entgehen. «Ich mag den Kommentator Dani Wyler, auch wenn ich ihn nicht verstehe.» Eine Unfähigkeit, um die ihn bestimmt manch ein Schweizer Fussballfan beneidet …

Zuhause in den USA besucht Savage auch häufig die Spiele des lokalen MLS-Teams Philadelphia Union. Der Klub sei weder reich, noch richtig gross, noch jemals erfolgreich gewesen, schildert der Anhänger. «Viele Leute wissen nicht, wer sie sind und wo sie hingehören. Ich schon. Beim ersten Union-Spiel, das ich besuchte, verliebte ich mich in den Klub und je mehr ich ihn sah, umso stärker wurde diese Liebe.» Es sei so gewesen wie später auch im Fürstentum.

«Es gibt auf der ganzen Welt viele grossartige Teams. Aber keines hat mein Herz so erobert wie der FC Vaduz», schwärmt Savage. Er ist überzeugt: So eine tiefe Verbundenheit zu schaffen, würde Real Madrid, Barcelona oder Manchester United niemals gelingen.

Montreal Impact's Patrice Bernier, right, challenges Philadelphia Union's Tranquillo Barnetta as Montreal's Harry Shipp watches during the second half of an MLS soccer match in Montreal ...
Philadelphias Star ist der Ex-Natispieler Tranquillo Barnetta.Bild: AP/The Canadian Press

Vorfreude aufs Heimspiel gegen Meister Basel am Sonntag

Die erste Liebe des Amerikaners war indes Baseball. Als die Phillies 2008 die World Series gewannen – erst das zweite Mal in der 133-jährigen Klubgeschichte – habe er riesige Freudentränen geheult, weil er sich so einen Triumph nie habe vorstellen können. «Ich weiss nicht, ob Vaduz jemals die Super League gewinnen kann. Aber falls sie es schaffen, werde ich genauso weinen vor Freude und nach Liechtenstein reisen, um bei der Party dabei zu sein.»

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2008: Die «Phillies» gewinnen sensationell die World Series.Bild: EPA

Die kurzfristige Zukunft sieht aber als Szenario eher den achten Meistertitel des FC Basel in Serie vor. Die Begegnung zwischen Vaduz und dem Ligakrösus steht am Sonntag auf dem Programm. Jerry Savage fiebert dann wieder frühmorgens vor seinem Computer mit und ist optimistisch. «Im April hat Vaduz gegen Basel ein 0:0 geschafft, das sich wie das beste Unentschieden aller Zeiten angefühlt hat. Wenn Vaduz wieder so etwas erreicht, dann bin ich sehr zufrieden.»

Update

Kurz nach der Publikation dieses Artikels hat Jerry Savage einen neuen Twitter-Follower erhalten: Den FC Vaduz. Sein Kommentar: «Wie Weihnachten im Juli!»

Drei Wochen später twittert der Fussballfan ein Foto von sich: In Vaduz-Trikot und mit dem Schal des Klubs über der Schulter. Der FC Vaduz bat um Savages Adresse und überraschte seinen Anhänger in den USA mit den Fan-Utensilien.

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