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Der exklusivste Sportanlass der Welt

Die Zuschauer strömen in Massen zum Spektakel.Bild: freshfocus
Kilchberger Schwinget

Der exklusivste Sportanlass der Welt

Nur geladene Gäste sind beim Kilchberger Schwinget zugelassen, welches das Schweizer Fernsehen am Sonntag ganze acht Stunden lang live überträgt. Die Geschichte dieses exklusivsten Sportanlasses der Welt beginnt mit der Empörung eines Zürcher Advokaten.
07.09.2014, 09:5407.09.2014, 17:49
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Mit ziemlicher Sicherheit war der Erfinder ein Zürcher Snob. Als Snob gilt, wer durch sein Verhalten Reichtum und gesellschaftliche Überlegenheit gegenüber Personen in vermeintlich niedereren Rängen zur Schau stellt. Für die Schwingerwelt war Dr. jur. Emil Huber (1879 - 1938) wohl ein Snob. Ein «Gschtudierter» und erst noch aus dem Züribiet. Was er tat, war für die Zeitgenossen in Zwilchhosen ungeheuerlich. 

Noch heute ist in alten Chroniken zwischen den Zeilen die nur mühsam gebändigte Empörung spürbar. Der legendäre Sportchronist Fritz Erb (Vater der TV-Legende Karl Erb) räumt beispielsweise in der Jubiläumsschrift des Nordostschweizerischen Teilverbandes ein: «Sicher hatten die viel diskutierten Ereignisse des Eidgenössischen in Luzern 1926 in Dr. Emil Huber, diesem Schwingerfreund mit einem besonders wachen und kritischen Sinn, das Wunschgebilde eines Kilberger Schwinget geläutert und abgeklärt.»

Begleitet von einem Schwyzerögelimusikanten tritt während den Kämpfen ein Fahnenschwinger auf (Aufnahme 1962).
Begleitet von einem Schwyzerögelimusikanten tritt während den Kämpfen ein Fahnenschwinger auf (Aufnahme 1962).Bild: PHOTOPRESS-ARCHIV
Kilian Wenger nicht am Kilchberg-Schwinget
Kilian Wenger muss auf eine Teilnahme am Kilchberg-Schwinget verzichten. Den 24-jährigen Berner plagen Rückenschmerzen. «Ich habe alles unternommen, muss jedoch eingestehen, dass eine Teilnahme nicht möglich ist. Um am Kilchberger antreten zu können, muss man 120 Prozent fit sein», so Wenger.

Die spannende Legende

Wenn wir erahnen wollen, warum es um die Anfänge des heute exklusivsten Sportanlasses der Welt so viel Aufregung gab, warum ein Chronist nach der ersten, in Dauerregen und Morast versunkenen Austragung vom 11. September 1926 höhnte, der Himmel habe diesen Frevel «beweint» und das garstige Wetter sei die gerechte Strafe von höheren Mächten, dann müssen wir uns folgende Situation vorstellen. 

Präsident Philippe Gaydoul ist ob der Finalniederlage 2014 seiner Kloten Flyers gegen die ZSC Lions und über die Schiedsrichterleistung so empört, dass er im privaten Rahmen künftig jedes Jahr eine Finalrevanche organisiert. Um wahres, ehrliches Hockey zu erleben. Tickets werden keine verkauft, geladen werden nur echte Hockeyfreunde. Das Staatsfernsehen überträgt live. Um die Durchführung zu sichern, wird eine Stiftung gegründet. 

Christian Stucki mit Siegermuni nach dem Sieg am 15. Kilchberger Schwinget 2008. Der Ottiswiler ist Titelverteidiger. 
Christian Stucki mit Siegermuni nach dem Sieg am 15. Kilchberger Schwinget 2008. Der Ottiswiler ist Titelverteidiger. Bild: KEYSTONE

Nach diesem Muster ist der Kilchberger Schwinget entstanden. Am 14. August 1926 kommt Fritz Hagmann, einer der elegantesten «Bösen» aller Zeiten, beim Eidgenössischen in Luzern nach einem Gestellten im Schlussgang nur auf den dritten Rang. Die Legende geht so: Fürsprecher Dr. Emil Huber ist über das Scheitern seines persönlichen Favoriten und über die miserablen Kampfrichterleistungen so empört, dass er ein Jahr später bei sich zu Hause «Uf Stocken» in Kilchberg im weitläufigen Garten 1200 Zuschauer und die 50 Bösesten zur Revanche lädt. 

Besucher des 7. Kilchberger Schwinget warten darauf, in das Festgelände auf dem Hof «Uf-Stocken» eingelassen zu werden (Aufnahme von 1962). 
Besucher des 7. Kilchberger Schwinget warten darauf, in das Festgelände auf dem Hof «Uf-Stocken» eingelassen zu werden (Aufnahme von 1962). Bild: PHOTOPRESS-ARCHIV

Um ehrliches, wahres Schwingen zu erleben. Kein Titel. Kein Kranz. Nur ein Schönschwingerpreis und der Muni für den Sieger. Und tatsächlich werden die Dinge ins rechte Licht gerückt. Der in Luzern um die Königswürde gebrachte Fritz Hagmann gewinnt das Fest. 

Die Welt des Dr. Huber ist wieder in Ordnung. Mit einer Einlage von 15'000 Franken (nach heutigem Geldwert über 100'000 Franken) gründet er 1933 eine Stiftung. Der Zweck: Dem Schwingklub Zürich ermöglichen, bis in alle Ewigkeit den Kilchberger Schwinget als Revanche fürs Eidgenössische durchzuführen und den Siegermuni zu spendieren. 

Schwinglegende Jörg Abderhalden gewinnt 2002 das 14. Kilchberger Schwingfest und darf eine Muni mit nach Hause nehmen.
Schwinglegende Jörg Abderhalden gewinnt 2002 das 14. Kilchberger Schwingfest und darf eine Muni mit nach Hause nehmen.Bild: Andy Mueller

Die strikten Vorgaben der Organisatoren

Bis heute ist dieser Schwingklub formell für die Organisation zuständig, managt die Festwirtschaft und darf immer zwei Schwinger ans Fest schicken. Die übrigen 58 werden auf die Teilverbände aufgeteilt. Es sind also «nur» die 58 «Bösesten» – die zwei «Quoten-Zürcher» vom Schwingklub Zürich sind im Vergleich zu den wahren Titanen nur schmalbrüstige Hinterbänkler. Die schwingtechnische Aufsicht hat der Eidgenössische Schwingerverband. 

So ist es bis heute geblieben. Abwechselnd mit Unspunnen – also alle 6 Jahre – wird auf dem heute gemeindeeigenen Gutsbetrieb «Uf Stocken» zu Kilchberg vor den Toren von Zürich ein Jahr nach dem Eidgenössischen die Revanche ausgetragen. Also nicht auf «heiligem» Schwingerboden im Emmental, im Oberland oder in der Innerschweiz. Sondern auf einem der teuersten Böden der Welt, nur ein paar Kilometer Luftlinie vom Zürcher Hauptbahnhof entfernt. 

Der Gabentempel.
Der Gabentempel.Bild: Andy Mueller

Die Gemeinde Kilchberg zahlte 1982 für die zum Gutsbetrieb ausgebaute ehemalige Nervenheilanstalt sage und schreibe 32'736 500 Franken, nachdem der Kauf an der Gemeindeversammlung per offenem Handmehr bewilligt worden war. Kilchberg ist also wahrlich kein typisches Schwingerdorf. Sondern eines der reichsten Gemeinwesen der Welt. 7800 Einwohner, 30 Prozent Ausländeranteil. 

Der Kilchberger Schwinget ist auch aus sportlichen Gründen das exklusivste aller Feste. Zum Kampf um die Königskrone beim Eidgenössischen treten 280 Böse an. 90 sind es beim Unspunnen. Aber nur 60 bzw. 58 beim Kilchberg. Diese enorme Leistungsdichte hat direkte Auswirkungen aufs Schwingen: Die Ausgeglichenheit ist so gross, dass sich die Titanen oft gegenseitig blockieren. Die Intensität der Kämpfe ist höher als der Spektakelgehalt. Entsprechend schwierig ist es, dieses Fest zu gewinnen. Bis heute hat nur Karl Meli (1967 und 1973) den Titel verteidigt. 

Der Sieger des 9. Kilchberger Schwinget  Karl Meli, wird 1973 nach seinem Sieg von Zuschauern und Betreuern auf die Schultern gehoben.
Der Sieger des 9. Kilchberger Schwinget  Karl Meli, wird 1973 nach seinem Sieg von Zuschauern und Betreuern auf die Schultern gehoben.Bild: KEYSTONE

Die Tickets sind nicht käuflich zu erwerben. Sie werden den Schwingklubs im ganzen Land kostenlos zugeteilt. Die wiederum händigen die begehrten Eintrittskarten gratis ihren verdienten Mitgliedern aus. Nur die Treusten der Treuen, die Edelsten der Edlen kommen zu diesem Fest. Die Kapazität ist auf 12'000 beschränkt. Das Interesse ist indes so gross, dass problemlos 50'000 Tickets verkauft werden könnten und unser Staatsfernsehen überträgt am Sonntag ab 07.30 Uhr acht Stunden lang live. 

Kilian Wenger, Schwingerkönig von 2010, war im Vorfeld einer der Favoriten auf den Sieg.
Kilian Wenger, Schwingerkönig von 2010, war im Vorfeld einer der Favoriten auf den Sieg.Bild: KEYSTONE

Eine Verlegung des Festes auf ein grösseres Gelände ist jedoch gemäss Kilchbergs Gemeindeschreiber Peter Vögeli «ausgeschlossen». Von den 12'000 Tickets erhält die Gemeinde Kilchberg 1000 Stück (800 Sitz- und 200 Stehplätze). Die Einwohner von Kilchberg konnten mit einem Talon aus dem Mitteilungsblatt der Gemeinde im April ein Ticket bestellen und dann auf der Gemeindeschreiberei gratis abholen. 

Allerdings nur gegen Nachweis der Ortsansässigkeit. Beim Schwingen hat eben alles seine Ordnung. Die Gralshüter des Hosenlupfs haben übrigens mit dem aufmüpfigen Gründer des Kilchberger Schwinget Frieden geschlossen: Sie haben 1933 Dr. Emil Huber zum Ehrenmitglied des Eidgenössischen Schwingerverbandes ernannt. 

Die Kampfarena in Kilchberg.
Die Kampfarena in Kilchberg.Bild: Werner Schaerer
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