Eine Krebsdiagnose stellt das Leben von Betroffenen von einem Moment auf den anderen auf den Kopf. Nichts ist mehr, wie es vorher war.
In der Schweiz trifft dieser Schicksalsschlag jährlich über 40’000 Patientinnen und Patienten. Im Lauf des Lebens erhalten viele Personen diese einschneidende Diagnose. Zur psychischen Not kommt meist auch eine medizinische Therapie hinzu, die mit körperlicher Tortur verbunden ist.
Es ist deshalb verständlich, dass viele Patientinnen und Patienten auf eine Spontanheilung oder ein Wunder hoffen. Doch beide Phänomene ereignen sich kaum und bleiben Wunschdenken.
Darum schauen sich viele nach sanften Methoden um, die von vielen Heilern und alternativmedizinischen Anbietern anpriesen werden. Die meisten versprechen zwar keine explizite Heilung, aber zumindest eine Verbesserung der Lebensqualität.
Es gibt unter ihnen aber auch etliche Scharlatane, die unseriöse und nutzlose Behandlungen anbieten, Heilsversprechen abgeben, die Schulmedizin verteufeln, und am Ende die Betroffenen abzocken.
Dieses Geschäftsmodell entdecken immer mehr Influencer, die sich zu Tausenden im Internet tummeln. Es gibt sie für alle Lebenssituationen und Probleme. Zunehmend verbreiten auch medizinische Influencer, auch Medfluencer genannt, Ratschläge im Internet. Unter ihnen viele Ärztinnen und Ärzte, aber auch Laien, die unbrauchbare bis gefährliche Heilmittel und Methoden propagieren.
Diesem Phänomen widmet sich die sechsteilige Netflix-Serie «Apple Cider Vinegard». Darin werden wahre Fälle nachgespielt, die ein Schlaglicht auf die unseriösen Influencer werfen.
In einer Folge wird der Fall der Australierin Belle Gibson aufgerollt. Die junge IT-Spezialistin behauptete, einen Gehirntumor im Endstadion zu haben und propagierte alternative Heilmittel, Diäten und Fruchtsäfte. Sie entwarf eine App, schrieb ein Buch, hatte bald über eine Million Follower auf Instagram und wurde reich.
Schliesslich behauptete sie, vollständig genesen zu sein. Später überführten Journalisten sie des Betrugs, denn sie hatte die Krebserkrankung erfunden.
Nicht erfunden hatte ihre Krebserkrankung Jessica Ainscough, eine andere junge Australierin. Sie litt an einem aggressiven Weichteilkrebs auf einem Arm. Die Ärzte rieten ihr zur Amputation. Sie weigerte sich und suchte im Internet nach alternativen Heilethoden von Medfluencern.
Sie entschied sich für Diäten, Nahrungsergänzungsmittel, tägliche Kaffee-Einläufe und eine ominöse schwarze Salbe, vor der Gesundheitsbehörden aber warnen.
Ihrer Internet-Community zeigte sie sich als strahlende junge Frau, die den Krebs besiegt habe. Sie empfahl ihren Followern, auf ihre Intuition zu hören und nicht unkritisch den Ärzten zu glauben.
Doch bald musste sie zugeben, dass sich der Krebs weiter ausgebreitet hatte. Für eine medizinische Krebsbehandlung war es nun zu spät, sie starb im Alter von 29 Jahren.
Eine Untersuchung in Österreich wies nach, dass 30 Prozent der 15- bis 25-jährigen Gesundheitsinfluencern folgen. Das zeigt, dass sich selbst junge Leute mit Gesundheitsfragen beschäftigen und Gefahr laufen, unseriösen Anbietern zu folgen, was fatale Konsequenzen haben kann.
Auch bei uns sind Medfluencer in den sozialen Medien aktiv. Zu ihnen gehört beispielsweise Beatrice*, die ihre Praxis in der Schweiz betreibt und auch auf Instagram aktiv ist.
Sie erklärt: «Durch die Anwendung meiner speziellen autorisierten Techniken, die auf Psychologie, Psychosomatik und weiteren effektiven Methoden basieren, helfe ich, Tumore zu reduzieren und zu heilen. Vereinbaren Sie einen Termin: Ich werde Ihnen helfen, den besten Behandlungsansatz zu finden.»
Beatrice wendet bei ihren Behandlungen die Gestaltpsychologie, Biopsychosomatik, Kunsttherapie und das Neurolinguistische Programmieren an. Sie zählt sechs Vorteile ihrer Behandlungsmethoden für Krebspatienten auf. Darunter auch «schnelle Ergebnisse»: «Meine Methoden helfen, Tumore in wenigen Sitzungen zu reduzieren und zu heilen.» Es ist fahrlässig und unverantwortlich, mit solchen Heilsversprechen Kunden zu ködern.
Weiter bietet sie Behandlungsmethoden für krebskranke Kinder und «spezielle Rabatte auf meine Behandlungen und Therapien zur Tumorreduktion» an. Sie bezeichnet sich als «zertifizierte psychosomatische Beraterin und diplomierte Psychologin» und gibt an, an der Pädagogischen Universität Odessa studiert und einen in der Schweiz anerkannten Master in Psychologie erworben zu haben.
Wenn Influencer, die keine medizinische Ausbildung absolviert haben, Heilsversprechen abgeben, wird es problematisch.
Es lohnt sich, bei Medfluencern auf der Hut zu sein. Manche sind unseriös und verhalten sich in ihrer Verblendung und mit ihren gefährlichen Heilungsversprechen wie Sektenführer.
Zur Erinnerung: Es gibt keine alternative Therapie, mit der Krebs nachweislich und dauerhaft geheilt werden kann. Wer dies behauptet, muss den wissenschaftlichen Nachweis erbringen. Es ist anmassend und verantwortungslos, Krebspatientinnen und -patienten falsche Hoffnungen zu machen. Ausserdem besteht die Gefahr, dass sie den Zeitpunkt für eine wirkungsvolle medizinische Behandlung verpassen.
*Name von der Redaktion geändert