Zumindest punkto Frauen ist Bern einsame Spitze: Im Stadtrat belegen Politikerinnen neu 55 von 80 Sitzen, neun mehr als 2016. Der Männer-Anteil sinkt um 12 auf 31 Prozent.
«Einen Frauenrutsch hat es in diesem Ausmass noch nie gegeben», sagt Politologe Claude Longchamp zu watson. Auffallend ist, dass besonders viele Männer die Wiederwahl verpassten.
Zum Vergleich: In den anderen grossen Schweizer Städten beträgt der Frauenanteil zwischen 30 bis 40 Prozent.
Der Berner Frauen-Boom beschränkt sich übrigens längst nicht nur auf das rot-grüne Lager: In der siebenköpfigen FDP-Fraktion etwa ist nur noch ein Mann vertreten.
Die Politik in der Schweiz wird jünger, progressiver und weiblicher. Dieser Trend setzte sich am Wochenende auch bei den Wahlen in Basel und St. Gallen fort. In der Olma-Metropole wurde erstmals eine Frau ins Stadtpräsidium gewählt – eine Linke, eine Seconda. Maria Pappa setzte sich gegen den Herausforderer Mathias Gabathuler von der FDP durch.
Sogar Pappa selbst wirkt etwas ungläubig: «Vor zehn Jahren war ich nicht einmal in der Politik und jetzt als Seconda und als Frau bin ich sogar Stadtpräsidentin in dieser Stadt, die bürgerlich dominiert ist. Das ist tatsächlich eine grosse Freude und Überraschung», sagt sie zu SRF. In Basel-Stadt zieht mit Esther Keller (GLP) eine zweite Frau in die Exekutive. Dies auf Kosten des abgewählten Polizeidirektors Baschi Dürr (FDP).
Der Vormarsch der Frauen ist kein Zufall. Die Kampagne «Helvetia ruft!» hat sich die Frauenförderung in der Politik buchstäblich auf die Fahne geschrieben und bei den Nationalratswahlen einen Grosserfolg erzielt. In Bern sitzen viele der Engagierten an den Schalthebeln der Lokalpolitik. Auch dies ist ein Grund für den Grosserfolg vom Sonntag.
Co-Präsidentin Kathrin Bertschy ist nach dem jüngsten Wahl-Wochenende zufrieden: «Bern ist zwar mit dem hohen Frauenanteil ein Ausreisser. Die Stadt wird so zum Vorbild für viele andere Gemeinden», sagt die GLP-Nationalrätin. Die Bundesstadt habe jetzt einen deutlichen Frauenüberhang im Parlament. Dies sei kein Problem, da in vielen anderen Städten das Geschlechter-Verhältnis umgekehrt sei. Einen grossen Wermutstropfen gibt es weiterhin: «Nach wie vor wartet Bern aber auf die erste Stadtpräsidentin», so Bertschy. Im Gemeinderat sind die Frauen zudem mit zwei von fünf Sitzen in der Minderheit.
Politologe Longchamp spricht auf Twitter von einer «Feminisierung» der Schweizer Politik. Sozial-liberal statt sozial-konservativ: Das über Jahrzehnte dominierende Gesellschaftsbild wandle sich – besonders im urbanen Raum – rasant. Auch aufgrund des höheren Frauenanteils. «Die Schweiz beginnt, sich zu kehren. Es kommt ein progressiver Schuss rein», sagt der Polit-Kenner zu watson. Dies zeige nach dem Ja zum Vaterschaftsurlaub auch das überaus knappe Ergebnis bei der Konzernverantwortungsinitiative, die bloss am Ständemehr scheiterte.
«Helvetia ruft!» spielt bei dieser Machtverschiebung eine wichtige Rolle. «In den letzten Jahren hat es keine andere Kampagne gegeben, die eine derart nachhaltige Wirkung erzielte», sagt Longchamp weiter.
Frauentriumph in Bern hin oder her: Für Bertschy und Co. gibt es in den nächsten Jahren trotz den jüngsten «Frauenwahlen» noch viel zu tun, bis die Geschlechter in der Politik tatsächlich ausgeglichen repräsentiert sind. So liegt der Frauenanteil im Ständerat bloss bei 26 Prozent. «In sechs Kantonen gibt es reine Männerregierungen», so die GLP-Nationalrätin weiter.
Das nächste Etappenziel von «Helvetia ruft!» sind die Wahlen im Wallis vom März 2021. Ausgerechnet im Heimatkanton der beim Volk beliebten Bundesrätin Viola Amherd (CVP) droht die Regierung zu einem «reinen Männerclub» zu werden, wie es Bertschy ausdrückt.
Schliesslich entscheidet doch die Qualifikation und nicht das Geschlecht!