Während die Coronavirus-Infektionen in Europa langsam zurück gehen, steigen sie in Afrika unaufhörlich an. Waren es am 17. Mai noch 72'000 Infektionen auf dem ganzen Kontinent, sind es am 27. Mai bereits 125'000 Fälle. Und jeden Morgen um 8 Uhr kommen auf der Zähl-Liste des Senders «Africa News» wieder ein paar tausend Infektionen dazu.
Nur ein einziges Land schert dabei aus: das ostafrikanische Tanzania. Dort ist seit dem 29. April 2020 die gleiche Zahl vermerkt – 509 Coronavirus-Infektionen im ganzen Land.
Für den Präsidenten, John Magufuli, ein Grund am kommenden Wochenende auf die Strassen zu gehen und zu feiern. «Geht auf die Strassen, macht Lärm und dankt Gott dafür, dass er unsere Gebete gehört und das Coronavirus besiegt hat», forderte er seine Bürger auf.
Denn die Spitäler seien leer und seit Wochen sei niemand mehr erkrankt oder verstorben. Die wenigen Corona-Beschränkungen könnten also aufgehoben werden, die Menschen sollten sich wieder treffen und wer sich krank fühle, solle deswegen nicht mehr extra ins Spital gehen, lauten die Anweisungen der Regierung. Die ganze Sache hat jedoch einen Haken.
Es gibt nicht etwa keine neuen Zahlen, weil sich niemand mehr ansteckt, sondern weil einfach nicht mehr getestet wird. Am 29. April wurde das nationale Labor, das als einziges Corona-Tests auswerten konnte, geschlossen, die Leiterin entlassen und der stellvertretende Gesundheitsminister musste zurück treten.
Seit dann wurde kein einziger Test mehr durchgeführt und die Infektionszahlen wurden nicht mehr aktualisiert. Und vor dem 29. April stiegen die bestätigten Corona-Fälle um bis zu 60 Prozent – pro Tag. Während die Regierung die Coronakrise verharmlost und Aktivisten, die den Kurs des Präsidenten kritisieren, verhaften lässt, steigt die Unsicherheit in der Bevölkerung zunehmend.
Einerseits, weil die Regierung das Coronavirus von Anfang an heruntergespielt und verharmlost hatte. Von einem Lockdown oder Kontaktbeschränkungen war im Land nie die Rede. Auch Geschäfte, Restaurants und Kirchen waren während der ganzen Zeit geöffnet. Dies, während die Nachbarländer Tanzanias nacheinander den Notstand verhängten und rasch starke Massnahmen im Kampf gegen das Virus ergriffen.
Andererseits, weil in Tanzania immer mehr Bilder auftauchen von Menschen, die tot in den Strassen von Dar es Salaam liegen oder Videos kursieren, die heimliche Beerdigungen zeigen, die auf Anordnung der Regierung in der Nacht durchgeführt werden müssen. Menschen teilen diese Bilder online und senden sie an ausländische Medien-Organisationen, um auf die sich verschlimmernde Problematik im eigenen Land aufmerksam zu machen.
All dies wird von der Regierung abgestritten. Pressesprecher Hassan Abbas erklärt gegenüber der Presseagentur AP, dass man gerade mal 11 Patienten habe behandeln müssen im Spital von Dar es Salaam. Man sei weder mit der Situation überfordert gewesen, noch habe es überhaupt viele Ansteckungen gegeben.
Doch nicht alle sehen die Situation so gelassen wie die Regierung Tanzanias. Bereits vor zwei Wochen veröffentlichte das US-Aussenministerium eine mehr als besorgniserregend-formulierte Gesundheitswarnung für Tanzania heraus. Und vor wenigen Tagen begann nun auch das britische Hochkommissariat in Dar es Salaam damit, seine Staatsbürger aus Sicherheitsgründen zurück in die Heimat zu evakuieren. Dies mit der Begründung, dass der Staat die Kontrolle über die Coronavirus-Lage im eigenen Land verliere.
Mit ähnlicher Besorgnis reagieren auch Tanzanias Nachbarländer. Nachdem der kenianische Zoll an seiner Grenze an einem einzigen Tag 50 Lastwagenfahrer aus Tanzania positiv auf das Coronavirus getestet hatte, wurden die Grenzen zwischen den beiden Ländern geschlossen.
Man fordere das Land dringlichst dazu auf, Informationen und Daten zum Coronavirus offen und transparent zu teilen, sagt John Nkengasong, Leiter der afrikanischen Seuchenschutzbehörde ACDC (Africa Centers for Disease Control and Prevention). «Tanzania ist keine Insel, die vom Coronavirus verschont bleibt», warnte er. Man habe bis jetzt keinerlei Informationen zur Situation in Tanzania erhalten und hoffe auf Kooperation und die baldige Wiederaufnahme von Coronavirus-Tests im staatlichen Labor von Dar es Salaam.
Mit grosser Besorgnis auf die aktuelle Situation reagieren auch internationale Organisationen wie etwa Amnesty International, welche davon ausgeht, dass die Regierung Tanzanias bewusst die Wahrheit verschweige oder Fakten falsch darstellen würde. Auch müsse man davon ausgehen, dass sich «Menschen im Land nicht zur aktuellen Krise äussern können oder dürfen», wie der Menschenrechts-Aktivist Roland Ebole gegenüber der Zeitung «The Times of Israel» sagt.
Die gleiche Einschätzung teilen auch mehrere in Tanzania ansässige Zeitungen, die – nach eigenen Aussagen – an der freien Berichterstattung über das Coronavirus von der Regierung gehindert werden. Drei von ihnen wurden mittlerweile vom Staat verklagt, weil sie «irreführend und aufwiegelnd» über das Coronavirus berichten würden. Ein Medium, dass den Aussagen des Präsidenten widersprechen würde, dass das Coronavirus im Land kein Problem sei, müsse damit rechnen, dass ihm die Lizenz entzogen werde.
Um Kritiker, Medien und internationale Organisationen in ihren Vorwürfen zu widerlegen, will nun die Regierung Tanzanias am kommenden Montag alle Schulen und Universitäten im ganzen Land wieder öffnen und die wenigen Massnahmen, die erlassen wurden, alle wieder aufheben.
Während Präsident Magufuli diesen Schritt als göttliches Zeichen einordnet, kritisieren die Oppositionsparteien die Lockerungen scharf und beschuldigen die Regierung, die wahre Corona-Situation im Land zu verheimlichen um sich so bessere Chancen auf einen Wahlsieg für die bevorstehenden Parlamentswahlen im kommenden Oktober zu sichern.
Die Wahlen auf Gemeinde-, Provinz- und Staatsebene finden denn auch trotz Corona sowieso statt. Denn der amtierende Präsident John Magufuli ist bis jetzt der einzige antretende Kandidat mit wirklichen Siegesaussichten – oder, wie es ein tanzanischer Parlamentarier formuliert: «Gegen Magufuli hat sowieso niemand eine Chance. Wir müssten die Wahlen [im Oktober 2020] nicht einmal abhalten und wüssten trotzdem, wer gewonnen hat.» (aargauerzeitung.ch)