Für die grösste Überraschung sorgte in den Viertelfinals der als Nummer 7 gesetzte Holländer Robin Haase, der in der Neuauflage des letztjährigen Finals den Titelhalter und topgesetzten Michail Juschni 3:6, 6:1, 6:4 besiegte.
Juschni dominierte zwar den ersten Satz, verlor danach aber den Faden und nach dem ersten Satz 11 der nächsten 14 Games. Auf diese Weise zog Haase mit zwei Breaks im Entscheidungssatz auf 5:2 davon. Juschni startete zwar zur Aufholjagd, verkürzte auf 4:5 und wehrte sechs Matchbälle ab, seine zwei Break-Möglichkeiten zum 5:5-Ausgleich vermochte er aber nicht zu nützen. So beendete Haase mit dem siebenten Matchball Juschnis einjährige Regentschaft im Saanenland.
Nicht besser als Juschni erging es auch den beiden andern ehemaligen Turniersiegern: Marcel Granollers (2011) unterlag Landsmann Pablo Andujar ebenso in zwei Sätzen wie Thomaz Bellucci (2009 und 2012) dem Argentinier Juan Monaco.
In den Halbfinals stehen mit Fernando Verdasco, der vor fünf Jahren die Nummer 7 der Welt war, und Juan Monaco, die Nummer 10 vor zwei Jahren, zwei ehemalige Top-Ten-Spieler. Der Argentinier Monaco feierte ausserdem gegen Bellucci seinen 209. Sieg auf Sand, womit er von allen aktiven Spielern auf Sand die Nummer 5 hinter Rafael Nadal (318 Siege), David Ferrer (284), Nicolas Almagro und Tommy Robredo (je 242) ist. Herausgefordert werden Verdasco und Monaco von Robin Haase, einem Spezialisten an Turnieren in Höhenlage (Sieger Kitzbühel, Finalist Gstaad), und Pablo Andujar, der heuer in Rio de Jañeiro sogar gegen Rafael Nadal auf Sand zu zwei Matchbällen gekommen ist.
Damit verheisst das einst so traditionsreiche Swiss Open übers Wochenende einen versöhnlichen Abschluss und ausgezeichneten Sport. Schon am Freitag anlässlich der Viertelfinals waren die Tribünen besser gefüllt, obwohl mit Ausnahme eines kurzen Platzinterviews mit Stanislas Wawrinka das Schweizer Element komplett fehlte. Am Sonntag vor dem Final wird die Patrouille Suisse zum spektakulären Überflug ansetzen, so wie auch schon während der grossen Jahre des grössten Schweizer Freiluftturniers von 1986 (Turniersieg von Stefan Edberg) bis 2004 (Heimsieg von Roger Federer).
Im Vergleich zu diesen goldenen Zeiten büsste das Turnier zuletzt viel an Renomée ein. Das «Wimbledon der Alpen» schüttete schon früher nie Preisgeld aus wie die anderen Grossanlässe im Sommer in Kanada und den USA. Dennoch kamen die Stars ins Saanenland. Unvergessen, wie Boris Becker 1998 in der Schlussphase seiner Karriere in Gstaad beinahe doch noch einen Turniersieg auf Sand errang, in einem spektakulären Final aber Alex Corretja unterlag. Michael Stich flog als frischgebackener Wimbledonsieger direkt aus London ins Berner Oberland. Derartige Verpflichtungen gelangen den Organisatoren in den letzten Jahren nicht mehr. Dafür ist das Turnier aber auch seine Schulden los, relativiert Jeff Collet, der Turnierpräsident.
Die heurige Besetzung mit Michail Juschni als Nummer 19 der Welt als Setznummer 1 gilt als die schwächste des Turniers in den letzten 40 Jahren. Aber: Anderen Turnieren geht es nicht besser. Das Crédit Agricole Suisse Open ist sogar eines der wenigen der insgesamt 40 ATP-250-Turniere, welches in den letzten Jahren schwarze Zahlen schrieb. Andere Events wie jener in Viña del Mar verschwanden; wieder andere wie Montpellier oder Metz pfeifen finanziell aus dem letzten Loch. Gstaads Konkurrenzturniere in dieser Woche in Umag (mit Fabio Fognini als Nummer 1) und Atlanta (John Isner) sind eher noch weniger gut besetzt als das Swiss Open.
Für Top-10-Stars ergäbe eine Teilnahme in Gstaad sportlich nicht einmal Sinn. Von den aktuellen Top-10-Spielern könnten sich mit einer Finalqualifikation in Gstaad nur Novak Djokovic und Milos Raonic in der Weltrangliste punktemässig verbessern – Rafael Nadal, Roger Federer, Stanislas Wawrinka, Tomas Berdych, David Ferrer und Grigor Dimitrov hingegen nicht. Das liegt an der komplizierten Berechnungsformel der Weltrangliste, die den Stars bloss zwei oder in einigen Fällen sogar nur ein kleines Turnier in der Wertung erlaubt.
Und deshalb werden mit Blick auf die Zukunft des Gstaader Turniers auch in den Wochen nach dem Final wichtige Weichenstellungen vorgenommen. Das Wiener Stadthallenturnier lancierte einen Antrag, die Berechnungsart wieder zu ändern und jedem Akteur zu erlauben, wie früher die besten 18 Turniere in die Wertung zu nehmen.
Dann könnten Stars «Nuller» an grossen Pflichtturnieren wie Key Biscayne oder Indian Wells an Anlässen wie Gstaad, Metz, Montpellier oder Wien korrigieren. «Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung», sagt Gstaads Turnierdirektor Jeff Collet, der aber auch weiss, dass «die Sache noch lange nicht gewonnen ist». Der Council der Association of Tennis Professionals (ATP) entscheidet; im besten Fall für Gstaad schon diesen Herbst und schon mit Gültigkeit für die nächste Saison. (dux/si)