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Interview

Deutscher Ex-Geheimdienstchef Maassen über Hanau und Rechtsextremismus

Interview

Deutscher Ex-Geheimdienstchef: «Rechtsextremismus kann man mit Verboten nicht verhindern»

Hans-Georg Maassen erzählt, was Deutschland gegen den neuen rechten Terror tun sollte und was Täter wie jenen von Hanau besonders gefährlich macht.
24.02.2020, 09:50
Christoph Reichmuth / ch media
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epa07015259 Hans-Georg Maassen, President of the German Federal Office for the Protection of the Constitution prior to Committee on Home Affairs at the Bundestag in Berlin, Germany, 12 September 2018. ...
Hans-Georg Maassen ist Deutschlands Ex-Geheimdienstchef.Bild: EPA/EPA

Hans-Georg Maassen, 57, sagt, vor allem rechts sei die Gewaltbereitschaft gestiegen. Dass er als Deutschlands Ex-Geheimdienstchef die Bedrohung zu wenig ernst genommen habe, weist er klar zurück.

Gleich drei rechtsextremistisch motivierte Taten haben Deutschland innert eines Jahres erschüttert: der Mord an CDU-Politiker Walter Lübcke, der Anschlag von Halle, jetzt der Anschlag von Hanau. Was ist los in Deutschland?
Hans-Georg Maassen: Wir haben seit vielen Jahren ein erhebliches Problem mit dem gewaltbereiten Rechtsextremismus in Deutschland. Zu dem Fall von Hanau muss man als Informationsgrundlage allerdings auch vorausschicken, dass der Täter psychisch gestört und dies offensichtlich einigen Behörden auch bekannt war. Mir stellt sich die Frage, warum man zugelassen hat, dass er trotzdem ganz legal Waffen besitzen durfte.

In seinem Manifest sinniert der Täter von Hanau über die Vernichtung bestimmter Völker. Innenministerium und Generalbundesanwaltschaft sehen ein eindeutig rechtsextremistisches Motiv.
Ich schliesse mich dieser Sichtweise an. Dieser Anschlag ist einer der schlimmsten rechtsextremistisch motivierten Terroranschläge in Deutschland. Als ich meinen letzten Verfassungsschutzbericht 2018 vorgestellt hatte, wies ich explizit darauf hin, dass derartige Anschläge – insbesondere durch Einzeltäter – immer wieder in Betracht zu ziehen sind. Es ist für die Behörden nur schwer möglich, Einzelpersonen, die sich im Verborgenen radikalisieren, zu identifizieren.

Die Gefahr von rechts, heisst es, sei in Deutschland so hoch wie seit Jahren nicht mehr. Im aufgeheizten gesellschaftlichen Klima fühlten sich Extremisten dazu animiert, zur Tat zu schreiten.
Es ist leider richtig, dass das politische Klima in Deutschland sehr aufgeheizt ist. Einzeltäter bauen sich ihre eigene extremistische Fantasiewelt mit fremdenfeindlichen Versatzstücken zurecht, um die Tötung von Juden, Migranten oder Andersdenkenden zu rechtfertigen und Anschläge zu begehen. Das ist eine Entwicklung, die in den letzten Jahren zugenommen hat. Davor haben wir als Verfassungsschutz bereits unter meiner Führung gewarnt und Massnahmen ergriffen, insbesondere durch eine stärkere operative Ausrichtung im Bereich Rechtsextremismus. Allerdings können die Behörden nicht in die Köpfe von Menschen schauen, die an ihren Computern sitzen, mit anderen chatten und sich so radikalisieren.

Ihre Kritiker monieren, unter Ihrer Führung habe der Inlandgeheimdienst die Gefahr von rechts unterschätzt und stattdessen den Fokus auf die Abwehr des islamistischen Terrors gelegt.
Das ist völliger Blödsinn und ein Manöver, um mich persönlich zu diskreditieren. Ich habe als Verfassungsschutzchef die Abteilung Rechtsextremismus aufgebaut und viele neue Stellen gegen politische Widerstände für diesen Dienst durchgebracht. Meine damalige Behörde hatte grosse Erfolge. Unter anderem haben wir die rechtsterroristische Gruppe Old-School-Society aufgedeckt und das NPD-Verbotsverfahren durchgezogen. Im Übrigen hat meine gesamte Tätigkeit als Verfassungsschutzchef natürlich unter den Augen der parlamentarischen Kontrolle stattgefunden. Damals hatte niemand Einwände gegen meine Arbeit.

Hans-Georg Maassen (57) war von 2012 bis 2018 Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz und damit Inland-Geheimdienstchef. Der Jurist ist Mitglied der konservativen Werte Union der CDU.

Nichtsdestotrotz: Kritiker sagen, dass sich Deutschland nach Auffliegen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) im Jahr 2011 in falscher Sicherheit wähnte, was die Gefahr von rechts betrifft.
Der Verfassungsschutz hat während meiner Dienstzeit nie geglaubt, die Gefahr von rechts sei gebannt - im Gegenteil. Nach meinem Amtsantritt 2012 war die Bekämpfung des Rechtsextremismus ein zentraler Arbeitsschwerpunkt. Deshalb haben wir ja die Abteilung zur Bekämpfung des Rechtsradikalismus neu gegründet und schrittweise vergrössert. Es war klar, dass nach 2015 und dem immensen Zuzug von Migranten die rechtsextreme Szene ein Mobilisierungsthema gefunden hatte. Und die Szene hat mobilisiert. Man hat ja schon früh gesehen, dass es Übergriffe gegen Flüchtlingsheime gab. Das Thema Flüchtlinge und Islam hat die rechtsextreme Szene motiviert und mobilisiert.

Politiker – auch aus der CDU – geben der Alternative für Deutschland (AfD) eine Mitschuld am vergifteten Klima, das Extremisten wie dem Täter von Hanau einen Nährboden bietet. Ist die AfD mitverantwortlich?
Das ist eine politische Diskussion, in die ich mich nicht hineinbegeben möchte. Ich empfehle, dass man sich die Zeit nimmt, sorgfältig zu analysieren, welche Faktoren zur Radikalisierung beigetragen haben.

Wie kann der Gefahr von rechts begegnet werden? Müssen künftig alle Moscheen und Synagogen in Deutschland geschützt werden? Sollen Waffenbesitzer Psychotests absolvieren?
Natürlich müssen gefährdete Einrichtungen gut geschützt werden. Und im Hanauer Fall wäre ein Psychotest vermutlich nicht notwendig gewesen, um ihm die Waffen wegzunehmen, da er bereits als gestört aufgefallen war. Man hätte es nur tun müssen. Es wird nach solchen Ereignissen immer von neuen repressiven Massnahmen und von neuen Verboten geredet, als ob man dadurch das Entstehen von Rechtsextremismus verhindern könnte. Die Sicherheitsbehörden sind nur Brandmelder und Feuerlöscher. Wichtig ist die Prävention. Der Staat und auch das private Umfeld müssen sich um jene kümmern, die gefährdet sind, in den Extremismus abzugleiten.

Wie soll das funktionieren?
In Teilen haben wir es mit einem Problem zu tun, das wir vor allem mit jungen, bindungslosen Männern haben. Ich denke an die jungen Attentäter von Christchurch oder El Paso, die sich vor ihren Computern radikalisiert haben. Wer weiss, wie viele derartige Leute hier unter unseren Dächern leben. Um diese Leute müssen wir uns kümmern, da braucht es staatliche Programme, den Einsatz von Sozialarbeitern. Wir müssen diese Personengruppen im Blick haben, damit sie sich nicht radikalisieren und zu Terroristen werden.

Welcher Extremismus bedroht die Gesellschaft am stärksten: der radikale Islam, der Linksradikalismus oder der Rechtsradikalismus?
Das ist so, als würden Sie mich fragen: Was ist schlimmer, die Pest oder die Cholera? Der islamistische Terror ist nicht gebannt. Wir haben in diesem Bereich eine Reihe von Anschlägen verhindern können. Und doch kann es immer wieder zu einem Anschlag wie am Breitscheidplatz in Berlin kommen. Man darf kein Phänomen verharmlosen. Insgesamt ist die Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft gewachsen. Besonders aber im Bereich des Rechtsextremismus.

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95 Kommentare
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ChlyklassSFI // FCK NZS
24.02.2020 10:27registriert Juli 2017
Warum hat er dann nach Chemnitz so extrem relativiert?
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FrancoL
24.02.2020 10:34registriert November 2015
“Der Staat und auch das private Umfeld müssen sich um jene kümmern, die gefährdet sind, in den Extremismus abzugleiten."
Und dies aus dem Munde eines Herrn Hans-Georg Maassen?

Scheinheiliger geht es nimmer.

Und genau im diese Scheinheiligkeit geht es! Schöne Sprüche klopfen aber intern bei Polizei und Armee wegsehen und immer wenn etwas passieret gleich auch den Linksextremismus ins Spiel bringen, damit ja alles schön ausgeglichen sind.

Dieser unsägliche scheinheilige Versuch ist die Basis, dass sich offensichtlich Bürger relativ einfach radikalisieren können.
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Nameless Hero
24.02.2020 10:41registriert November 2015
„ Das Thema Flüchtlinge und Islam hat die rechtsextreme Szene motiviert und mobilisiert.„

Man muss nur ein Plakat der AfD anschauen um zu merken, wie er sich bei der Folgefrage widerspricht.
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