Wir werden Luigi Taveri mit der Aufzählung seiner Erfolge nicht gerecht. Er ist im Laufe seiner Karriere durch seine zurückhaltende, bescheidene und freundliche Art zu einer weltweit verehrten Rennsportlegende geworden. Ja, er war auf eine ganz besondere Art und Weise der letzte Gentleman dieses so rauen Sportes. Der letzte seiner Art. Eine Begebenheit mag zeigen, welchen Respekt er genossen hat.
Im Frühjahr 1966 trat Luigi Taveri nach seinem dritten WM-Titel zurück. Honda hatte ihm eine hochdotierte Vertragsverlängerung angeboten. Er bedankte sich schriftlich für diese Offerte und bedauerte, dass er Honda nicht mehr dienen könne. Es sei für ihn Zeit, aufzuhören.
Firmen-Gründer Soichiro Honda, mit dem Schweizer in persönlicher Freundschaft verbunden, ordnete an, den offerierten Betrag trotzdem auszahlen. Und zudem stellte ihm Honda eine Rennmaschine kostenlos zur Verfügung. Falls er doch noch Lust auf ein paar Rennen haben sollte.
Ein Jahr nach dem Rücktritt lud Soichiro Honda seinen Freund und dessen Familie zu einer grossen Abschiedsfeier ein. Ein würdiges Bild musste die Festivitäten bezeugen. Der Gründer des weltgrössten Motorradherstellers bat Luigi Taveri in einen thronartigen Sessel, setzte sich selber bescheiden auf die Armlehne. Die Familie Taveri – Ehefrau Tilde, Taveri junior und Tochter Blanca gruppierten sich um den Sessel. Luigi Taveri war 1961 zu Honda gekommen. Nicht zuletzt dank seiner Gattin Tilde. Sie war auch seine Managerin und hatte Soichiro Honda per Luftpost-Brief die Dienste ihres talentierten Gatten anempfohlen.
Der Horgener hat seine Karriere nie glorifiziert. Es wäre ihm peinlich gewesen, sich selber zu rühmen. Wenn er erzählte, hielt er manchmal inne. Und sagte fast entschuldigend: «Das Leben findet in der Gegenwart statt, nicht in der Vergangenheit.»
Aber er sprach gerne über die alten Zeiten. Er war ein wunderbarer Erzähler und konnte die guten alten Zeiten aufleben lassen, als jedes Boxenluder eine feine Lady und jeder Fahrer ein Held und ein echter Gentleman war. Und es blitzte in seinen Augen, wenn er sich erinnerte, wie er seine Karriere Anfang der 1950er-Jahre in Locarno in einem «Hausecken-Rennen» begann.
Als «Nobody» gelang es ihm, den eigentlich unbesiegbaren italienischen Titanen und MV Agusta-Werkfahrer Nello Pagani, den Valentino Rossi seiner Zeit, zu besiegen. Zusammen mit seinen Mechanikern musste der Star bei seinem Arbeitgeber Graf Domenico Agusta zum Rapport antreten und über diese ungeheuerliche «Schmach von Locarno» berichten. Bald darauf war Luigi Taveri Werksfahrer für MV Agusta.
Er erzählte auch von den dunklen Seiten der «Belle Epoque». Vom mörderischen Rennen auf der Isle of Man, das erst 1977 aus dem GP-Kalender gestrichen wurde und wo heute ohne WM-Status gestorben wird.
An einem Montag im Jahre 1962 sei sein Freund Tom Phillis tödlich verunglückt, am Dienstag auf dem Friedhof gleich neben dem Start begraben worden und am Mittwoch sei man zum nächsten Rennen angetreten. Es war die Zeit, als es aus den lokalen Gärtnereien jeden Tag Kränze gab. Mal für die Sieger, mal für die Toten. Und auch dort, auf der Isle of Man, ist er als Legende verehrt worden. Er hat das gefährlichste Rennen der Welt dreimal gewonnen. Als einziger Nicht-Brite durfte er den Klub der Rennfahrer der Isle of Man präsidieren.
Luigi Taveri war einer der komplettesten Rennfahrer seiner Epoche. Er brachte alle Voraussetzungen mit: eine ideale Jockey-Figur (162 cm/58 kg), Leidenschaft, eine eiserne Disziplin und technisches Verständnis.
Er war für Honda nicht nur ein erfolgreicher Rennfahrer, sondern auch der wichtigste Testpilot. Sein Anteil an den ersten 18 WM-Titeln, die Honda nach dem Einstieg ins GP-Geschäft im Jahre 1959 zwischen 1961 und 1967 feiern durfte, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Luigi Taveri hat seinen Traum gelebt und war immer von einer tiefen Dankbarkeit erfüllt. Er war nach seinem Rücktritt auch beruflich mit der Gründung einer Karosserie-Werkstatt in Wädenswil erfolgreich. Sie existiert noch heute unter seinem Namen.
Er lebte nie in Saus und Braus, blieb bescheiden, investierte das Geld klug, das er mit dem Rennsport verdient hatte und blieb mit beiden Beinen auf dem Boden. Seit 1968 lebte er mit seiner Familie in Samstagern. 2015 konnte er mit seiner Frau den 60. Hochzeitstag feiern. Oft hat er gesagt: «Ich habe soviel Glück gehabt, dass ich in 20 Jahren Rennsport von schweren Verletzungen verschont geblieben bin. Ich habe nicht das Recht, auch nur einen Tag missmutig zu sein.»
2006 hat er im Alter von 77 Jahren in zwei Wochen mit dem Mountainbike, begleitet von seiner Frau und Tochter Blanca, die 936 Kilometer des Jakobsweges von der französisch-spanischen Grenze nach Santiago de Compostela zurückgelegt. «Aus Dankbarkeit für das Leben, das ich erfahren durfte.»
Luigi Taveri ist am 1. März im Alter von 88 Jahren an den Folgen eines Gehirnschlages verstorben.