Der Jubel zeigt, welche Befreiung der Sieg war: Michael van Gerwen. Bild: www.imago-images.de
Der Abend an der Darts-WM in London war nichts für schwache Nerven. Zuerst endete das deutsche Märchen von Gabriel Clemens auf furiose Weise. Und dann erwischte es mit Michael van Gerwen um ein Haar die Weltnummer 1.
Den WM-Achtelfinal zwischen Michael van Gerwen und Joe Cullen werden Darts-Fans nicht so schnell vergessen. Es war ein Duell auf allerhöchstem Niveau, das alles beinhaltete, was den Sport so faszinierend macht: Irrwitzig viele Highscores, Treffsicherheit aufs Double, eine Aufholjagd des WM-Topfavoriten, vergebene Matchdarts des Aussenseiters und ein Abschluss, der so unvorhersehbar war wie das Resultat eines Münzwurfs.
Die komplette Partie, die über sieben Sätze ging. Video: YouTube/Sportixer
«Was war das für ein unglaubliches Spiel», sagte Van Gerwen nach dem 4:3-Sieg, bei dem er einen 1:3-Rückstand noch wenden konnte. «Das war eine der härtesten Partien, die ich im Ally Pally je absolviert habe. Cullen spielte phänomenal.» Der grüne Turm aus Vlijmen wackelte, doch er fiel nicht.
Der dreifache Weltmeister musste an seine Grenzen gehen, um den Angriff des 31-jährigen Engländers abzuwehren. «Ich weiss nicht, was ich sagen soll», twitterte Cullen. «Ich war noch nie in meinem Leben so enttäuscht nach einer Niederlage.» Zwar werde er mit etwas Abstand bestimmt auch erkennen, wie gut er gespielt habe. «Doch im Moment bin ich einfach nur leer. Glückwunsch an Michael, er hat gezeigt, weshalb er so ein Champion ist.»
Untröstlich: Joe Cullen war der Verlierer eines Matchs, das keinen Verlierer verdient hätte. Bild: www.imago-images.de
Cullen brillierte insbesondere mit seinen 180ern, 19 Mal warf er diese bestmögliche Punktzahl. «Das war nervig, den Caller ständig die 180 ausrufen zu hören», gab van Gerwen zu. Doch er sei es sich gewohnt, dass die Gegner gegen ihn besonders gut spielen wollen. Dass er so gefordert werde, komme ihm nur zu Gute: «Begegnungen wie diese machen dich zu einem besseren Darts-Spieler.»
Am Neujahrstag trifft «Mighty Mike» im WM-Viertelfinal auf den Sieger der Begegnung zwischen Dave Chisnall und Dimitri van den Bergh, die heute Abend stattfindet. «Niemand kann mich schlagen», kündigte Michael van Gerwen an. Er sagte es mit einem Augenzwinkern, doch in jedem Scherz steckt auch ein Funken Wahrheit. Der Niederländer machte in London klar, dass der Weg zum Titel erneut über ihn geht: «Nun freue ich mich auf mein nächstes Opfer. Jeder weiss, was ich drauf habe und ich weiss das auch.» Nach 2014, 2017 und 2019 wäre der Turniersieg am 3. Januar 2021 sein vierter Weltmeistertitel. «Der Weg dahin ist weit, ich muss dafür noch drei Spiele gewinnen.»
Das gilt auch für Krzysztof Ratajski. Der an Nummer 15 gesetzte Pole steht nach einem nicht minder dramatischen Match erstmals im WM-Viertelfinal. Der «Polish Eagle» beendete das deutsche Darts-Märchen von Gabriel Clemens jäh, er schlug ihn mit 4:3.
«Double trouble» hüben wie drüben! Video: YouTube/BlackFlash 73
Die Partie war ein stetes Hin und Her, 34 der maximal möglichen 35 Legs mussten gespielt werden. Und sie wartete mit einem Ende auf, das man so noch selten gesehen hat. Im finalen Leg vergaben die beiden Matchdarts en masse (Ratajski zehn, Clemens sieben), ehe der Pole das Spiel mit einem Wurf auf die Doppel-1 für sich entscheiden konnte.
«Das war so emotional. Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals in so einem Match gespielt zu haben», sagte Ratajski. «Das letzte Leg war schrecklich. Es war verrückt. Normalerweise verliere ich so enge Spiele, doch heute hatte ich das nötige Glück.»
Shakehands nach epischem Fight: Krzysztof Ratajski (links) und Gabriel Clemens. Bild: www.imago-images.de
Clemens, der in der Runde zuvor Titelverteidiger Peter Wright eliminiert hatte, war verständlicherweise schlecht drauf. «Ich bin sauer auf mich selbst», sagte der «German Giant». Im Moment könne er nichts Positives finden. «Fragt mich in zwei Tagen wieder. Gerade sind Interviews glaube ich nicht gut.»
Ratajskis Viertelfinalgegner wird heute in einem englischen Duell ermittelt, Stephen Bunting trifft auf Ryan Searle. Am Abend ist auch der Achtelfinal von Gerwyn Price, den viele als ersten Herausforderer van Gerwens betrachten. Der Waliser bekommt es mit dem Engländer Mervyn King zu tun.