Es ist ein Auftritt, der in die Geschichtsbücher eingehen wird. Bundesrätin Viola Amherd informierte am Dienstagabend die Bewohnerinnen und Bewohner von Mitholz BE, dass ihr Wohnort wohl während zehn Jahren zum Geisterdorf wird.
Der Grund ist die Räumung des ehemaligen Munitionslagers, in dem kurz vor Weihnachten 1947 mehrere Tonnen Munition detonierten. Vermutet wird, dass sich das Material chemisch bedingt selbst entzündete. Es war eine der weltweit gewaltigsten menschengemachten nicht-nuklearen Explosionen.
Neun Personen, darunter vier Kinder, kamen ums Leben. Die Katastrophe forderte sieben Verletzte, gegen 200 Dorfbewohner wurden über Nacht obdachlos. Das schwere Unglück hat Folgen bis heute: Noch immer lagern dort schätzungsweise mehrere hundert Tonnen Sprengstoff.
Expertinnen und Experten vermuteten lange, dass allfällige weitere Explosionen nur beschränkten Schaden anrichten würden. Diese Meinung änderte sich 2018: Eine neue Risikoanalyse zeigte, dass eine grössere Gefahr ausgeht als bis dahin angenommen. Für die Bevölkerung ist das Risiko laut Bundesamt für Umwelt nicht tragbar.
Dieses Altlasten-Problem will das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) nun anpacken. Zuvor arbeiteten der Bund, der Kanton Bern sowie die Gemeinden Kandergrund und Kandersteg an einer Lösung.
Erwartet wurden verschiedene Varianten – jetzt wurde ein einziges Gesamtkonzept präsentiert. Dieses stellt Bundesrätin Amherd den Bewohnern am Dienstagabend vor. Vorgesehen ist die gesamte Räumung der Munitionsrückstände. Das Dorf wird zur Mitwirkung eingeladen.
Noch müssen viele Fragen geklärt werden, und es braucht umfassende Schutzmassnahmen. Die gesamten Vorarbeiten dürften etwa ein Jahrzehnt in Anspruch nehmen. Frühestens 2031 kann mit der Räumung begonnen werden.
Ziel des Bundes ist die vollständige Entfernung der Munitionsrückstände. Ob dies machbar ist, bleibt einstweilen offen. Zur Not könnte die gesamte Anlage mit Gestein überdeckt werden. Zwar bliebe dadurch die Langzeit-Evakuierung den 170 Dorfbewohnern erspart. Doch dass Munitionsrückstände für immer vor Ort blieben, wäre «ein giftiges Geschenk für unsere Nachkommen», wie Projektleiter Hanspeter Aellig an einer Medienorientierung sagte.
Deshalb schlägt das VBS die Evakuierung des Dorfes vor, um die Altlasten zu beseitigen. Betroffen sind 50 bis 60 Haushalte in Mitholz – manche Familien leben seit Generationen hier. Sie werden nun zur «Mitwirkung» eingeladen: Sie sollen sich äussern, was mit ihrem Dorf passieren soll.
Jeder Bewohner sei vor grosse Zukunftsfragen gestellt und müsse beispielsweise entscheiden, ob er einstweilen bleiben oder schon jetzt wegziehen wolle, ob er Mitholz für immer verlassen wolle oder auf eine Rückkehr nach der Räumung setze. Die Möglichkeit zur Mitwirkung besteht bis Ende März.
Nie zuvor wurde in der Schweiz ein Munitionslager dieser Grösse unter so schwierigen Bedingungen geräumt: Das Projekt Mitholz ist laut VBS ein Novum.
Eine fundierte Kostenschätzung ist noch nicht möglich. Klar ist nach Angaben des Verteidigungsdepartements aber schon heute, dass die Räumung im Kandertal mitsamt allen notwendigen Schutzmassnahmen weit über eine Milliarde Franken kosten wird.
In einem ersten Schritt sollen technische Untersuchungen vorgenommen werden. Vorgeschlagen wird zudem der Bau einer Notumfahrung und von Felssicherungen, damit der Zugang zu Kandersteg jederzeit sichergestellt ist. In den kommenden Jahren müssten sich die Bewohner an viel Lärm, Staub und Baustellenverkehr gewöhnen.
Die Dorfbewohner müssten frühestens 2031 für lange Zeit wegziehen. Denn dann sollen die eigentlichen Räumungsarbeiten beginnen.
Nicht ausschliessen können die Experten, dass während der Räumung «unüberwindbare Probleme» auftauchen. So könnte es sein, dass sich das Risiko für das Räumpersonal als zu gross erweist. Das würde den Abbruch der Arbeiten nach sich ziehen. Auch ist denkbar, dass aus technischen Gründen nur eine Teilräumung möglich ist.
In solch einem Fall wäre die Überdeckung der Anlage eine Alternative, um das Risiko ausreichend zu reduzieren. Auch diese Arbeiten würden etwa zehn Jahre in Anspruch nehmen. Die gesamte Anlage würde mit Gestein überschüttet. (sda/pma)
Ich glaube, das habt ihr etwas unglücklich formuliert. Oder soll wirklich wer will mit Schaufel und Garette antraben...?
Aber immer noch besser als weiterhin neben einem wortwörtlichen Pulverfass zu leben.
Für die Bevölkerung nicht einfach, aber für die Zukunft wohl das Beste. Schön nimmt der Bund die Verantwortung war und nimmt das Geld in die Hand.