Das Endergebnis stand noch nicht fest, da wurde Regula Rytz in der SRF-Elefantenrunde vom Sonntag bereits auf mögliche Bundesratsambitionen angesprochen. Die Grünen-Präsidentin vermied ein zu forsches Statement, stellte aber auch fest: «Es ist klar: Der Bundesrat, wie er heute zusammengesetzt ist, passt nicht mehr zu den Mehrheiten im Parlament.»
Ein Bundesratsmandat für die Grün-Parteien läge nach ihrem spektakulären Wahlsieg auf der Hand. Die Grünen werden ihre Sitzzahl in National- und Ständerat am Ende vermutlich verdreifachen. Zusammen mit den Grünliberalen werden sie mehr als einen Fünftel der Bundesversammlung ausmachen – das reicht eigentlich locker für einen der sieben Sitze im Bundesrat.
So einfach aber funktioniert das politische System der Schweiz nicht. Bei uns orientiert sich die Regierungsbildung nicht wie im Ausland an den wechselnden Mehrheiten im Parlament. Unsere direkte Demokratie ist auf Konkordanz und stabile Verhältnisse ausgerichtet.
Wobei diese während Jahrzehnten vorhanden waren. CVP, FDP und SP kamen auf rund 25 Prozent, die SVP bewegte sich bei etwa 10 Prozent. Daraus entstand die 1959 eingeführte Zauberformel im Verhältnis 2:2:2:1. Mit dem Aufstieg der Volkspartei geriet sie ins Wanken, und 2003 war sie Geschichte, als die SVP mit Christoph Blocher der CVP gegen ihren Willen einen Sitz abnahm.
Nach Blochers Rauswurf vier Jahre später war es mit den stabilen Verhältnissen endgültig vorbei. Zeitweise sassen zwei Mitglieder der Kleinpartei BDP im Bundesrat. Rechtfertigt dies die Abwahl eines amtierenden Bundesrats – Rücktritte sind keine in Sicht – bei der Gesamterneuerungswahl am 10. Dezember? Die Grünen nehmen bereits einen der beiden FDP-Sitze ins Visier.
«Es braucht jetzt eine neue Zauberformel. Konkret sollen die zwei stärksten Parteien mit zwei Sitzen vertreten sein und die drei folgenden mit je einem Sitz», forderte Grünen-Chefin Regula Rytz am Dienstag im «Blick». Es entspreche nicht dem Wählerauftrag, ihre Partei von der Regierungsverantwortung auszuschliessen, meinte die Berner Nationalrätin.
Die Tamedia-Zeitungen präsentierten einen Vorschlag für eine Zauberformel, in der die Parteien nach einem «dynamischen Schlüssel» vertreten wären: «Immer nach den Parlamentswahlen würde ermittelt, ob die alte Sitzverteilung noch stimmt – wenn nicht, würde ein amtierender Bundesrat einem neuen Platz machen.» So weit, so einleuchtend – auf den ersten Blick.
Es gibt jedoch gute Gründe gegen eine rasche Anpassung und den sofortigen Einzug der Grünen in den Bundesrat. CVP, SP und SVP mussten teilweise Jahrzehnte warten, bis sie ihrem Wähleranteil entsprechend für bundesratsreif befunden wurden oder einen zweiten Sitz erhielten. Auch die Grünen müssen erst beweisen, dass sie mehr sind als eine Modepartei.
In den 40 Jahren, seit mit dem Waadtländer Daniel Brélaz der weltweit erste Grüne in ein nationales Parlament einzog, war ihr Wähleranteil starken Schwankungen unterworfen. 2007 hatten sie schon einmal 20 Sitze im Nationalrat. Vier Jahre später verloren sie trotz Fukushima fünf Mandate und 2015 vier weitere. Nun legten sie um sagenhafte 17 Sitze zu.
Ob die Grünen sich dauerhaft auf einem hohen Niveau etablieren können, wird sich frühestens in vier Jahren zeigen. Das Tamedia-Modell hat weitere Schwächen. Wie will man den «dynamischen Schlüssel» durchsetzen, wenn sich im Parlament ein «Machtkartell» etwa der Bürgerlichen bildet? Eine automatische Anpassung der Bundesratssitze ist in unserem System nicht vorgesehen.
Zu einem Stolperstein könnte auch der Anspruch der Sprachregionen werden. Konkret betrifft dies Ignazio Cassis, der offenbar das primäre Ziel grüner Machtansprüche darstellt. Seine Performance im Bundesrat überzeugt nicht, doch die Frivolität, mit der über den Tessiner Sitz spekuliert wird, ist ein Beispiel für die unsägliche Deutschschweizer Arroganz gegenüber den «Sonnenstüblern».
Ein realistischer Weg, um die zunehmend volatilen Verhältnisse im Parlament auf die Regierung zu übertragen und die Regionen angemessen zu berücksichtigen, wäre eine Erweiterung des Gremiums auf acht oder neun Sitze. Sie ist bislang nicht zuletzt am Bundesrat selber gescheitert, der seine Macht nicht gerne verwässert. Im neuen Parlament könnte sie mehrheitsfähig sein.
«Das heutige System ist träge und veraltet. In der heutigen Zeit, die sich unglaublich schnell wandelt, bräuchte es ein flexibleres und modernes System», stellte GLP-Präsident Jürg Grossen im «Blick» fest. Ein Bundesrat mit neun Mitgliedern liefert dafür den nötigen Spielraum. Grüne und Grünliberale sollten sich darauf konzentrieren, statt übereilte Ansprüche anzumelden.
Zur Erinnerung: Als die SVP vor vier Jahren einen zweiten Sitz im Bundesrat anstrebte, gab es Widerstand von Linken und Grünen, obwohl der Anspruch arithmetisch mehr als berechtigt war. Die Grünen erklärten sogar explizit, sie würden keinen SVP-Vertreter wählen. Damals war der Wählerauftrag anscheinend zweitrangig.
Schon interessant, wie Wahlergebnisse die Geisteshaltung der betroffenen Akteure beeinflusst!
Übrigens: Nicht nur die SVP musste lange auf den 2. Sitz warten, auch die SP wurde jahrzehntelang durch den bürgerlichen Block vom Bundesrat ferngehalten!
Wähleranteil SVP = 25,6% = 1,8 BR
WA. SP = 16,8% = 1,18 BR
WA. FDP = 15,1% = 1,06 BR
WA. GPS = 13,2% = 0,92 BR
WA. CVP = 11,4% = 0,8 BR
WA. GLP = 7,8 % = 0,55 BR
Die GPS kann ihren Anspruch durchaus begründen, kann dazu aber nicht die GLP beiziehen. Die beiden Parteien sind insgesamt zu verschieden.
Zwei Fragen zu sind zu beantworten: 1. Vertretung im Ständerat. 2. Ist grün einfach Mode oder ein langfristiges Phänomen?
Und sind wir doch ehrlich, jede und jeder von und an der Stelle der Grünen würde ähnlich handeln und die BR-Zusammensetzung zumind. diskutieren wollen.