Sport
Fussball

Bein gebrochen, Pläne futsch: U17-Weltmeister-Goalie Benjamin Siegrist bleibt auf dem Weg in die Premier League nichts erspart

Der Schweizer U17-Weltmeister Benjamin Siegrist muss bei Aston Villa den nächsten Rückschlag verkraften.
Der Schweizer U17-Weltmeister Benjamin Siegrist muss bei Aston Villa den nächsten Rückschlag verkraften.Bild: Catherine Ivill/freshfocus

Bein gebrochen, Pläne futsch: U17-Weltmeister-Goalie Benjamin Siegrist bleibt auf dem Weg in die Premier League nichts erspart

Als bestem Goalie der glorreichen U17-WM von 2009 schien Benjamin Siegrist eine grosse Karriere bevorzustehen. Nach vielen Verletzungssorgen wollte der Basler bei Aston Villa nun gerade den nächsten Anlauf starten – und wird von einem Beinbruch wieder jäh gestoppt. Aufgeben ist trotzdem keine Option.
20.05.2015, 10:2220.05.2015, 12:40
Alex Dutler
Folge mir
Mehr «Sport»

64'000 gegen 11: Im Final der U17-WM 2009 hat die Schweiz nicht nur Gastgeber Nigeria, sondern gleich das ganze Stadion gegen sich. Begleitet vom Höllenlärm tausender Vuvuzelas stellt sich Dany Rysers Teenie-Truppe den wilden Angriffswellen der ungeschlagenen Afrikaner. Schnell ist klar: Nur für Helden gibt es im Hexenkessel von Abuja etwas zu holen.

1,94-Meter-Schlaks Benjamin Siegrist im Tor der Schweiz nimmt die Herausforderung an. Er, der die Mannschaft bereits im Viertelfinal gegen Italien mit einem gehaltenen Penalty gerettet hat, steht in der Startphase des Endspiels schon wieder mit mehreren brillanten Paraden im Mittelpunkt. 

Benjamin Siegrist ist 2009 auch im Final gegen Nigeria der Rückhalt im Tor der Schweizer U17-Nati.YouTube/Nawat Chaiongkarn

Dann der Schock: Nigerias Topskorer Sani Emmanuel zieht in der 8. Minute ohne Rücksicht auf Verluste durch und trifft Siegrist heftig am Kopf. Der Schweizer Keeper sackt zusammen und wird minutenlang gepflegt. Ersatzmann Joel Kiassumbua bereitet sich auf einen Einsatz vor, doch dann steht die Nummer 1 plötzlich wieder. Statt die weisse Fahne zu hissen, beisst sich Siegrist durch und hält seinen Kasten auch nach Haris Seferovics 1:0 sauber. Der Lohn: Sieg, Weltmeistertitel – und die Auszeichnung als bester Goalie des Turniers. Siegrist hat glänzende Perspektiven, einer der weltbesten Keeper zu werden.

Erinnerungen sind gelöscht

Heute ist der Basler 23 Jahre alt und kann zum WM-Fight von 2009 nur noch wenig berichten. Der Zusammenstoss hat ihn zwar nicht den Titel, aber viele Erinnerungen an das bisher wichtigste Spiel seines Lebens gekostet: «Ich habe den Match mehrmals auf Video gesehen, aber an die erste Halbzeit kann ich mich kaum erinnern. Ich weiss noch, wie wir aus dem Bus ausstiegen, danach wird alles sehr verschwommen.» 

«Ich habe den Ball einfach nicht mehr gesehen.»
Benjamin Siegrist

Kaum jemand ahnt, dass Siegrist damals für den Traum vom Titel seine Gesundheit riskiert hat. Er erinnert sich an drastische Symptome: «Nach dem Zusammenprall hatte ich schwarze Flecken im Blickfeld und kein Gefühl für Distanzen mehr. Ich habe nie gewusst, ob ein Gegner jetzt 10 oder 20 Meter entfernt ist. Der erste Abstoss ging völlig in die Hose – ich habe den Ball einfach nicht mehr gesehen. Auch mein Gehör war eingeschränkt, das war allerdings eher ein Vorteil. So habe ich die Vuvuzelas wenigstens nicht mehr gehört.»

U17-Weltmeister Benjamin Siegrist gibt 2009 bei der Rückkehr aus Nigeria Autogramme.
U17-Weltmeister Benjamin Siegrist gibt 2009 bei der Rückkehr aus Nigeria Autogramme.Bild: KEYSTONE

Der nächste Rückschlag auf dem Weg zur Premier League

Sechs Jahre sind seit dieser Heldentat vergangen. Der goldene Handschuh steht mittlerweile bei Siegrists Grossmutter in der Vitrine. Und während Ricardo Rodriguez, Granit Xhaka, Haris Seferovic und etliche andere der U17-Weltmeister nun auf der grossen Fussballbühne spielen, ist Benjamin Siegrists erster Profieinsatz soeben wieder in weite Ferne gerückt. Vergangene Woche hat er sich im Training bei Aston Villa das rechte Bein gebrochen und fällt mindestens drei Monate aus.

Schon wieder eine Zwangspause: Frühestens Ende August steht Benjamin Siegrist wieder auf dem Platz.
Schon wieder eine Zwangspause: Frühestens Ende August steht Benjamin Siegrist wieder auf dem Platz.bild: benjamin siegrist

Besonders bitter ist das, weil sich der Schweizer nach drei Leistenoperationen erst gerade wieder zurückgekämpft hat. Vier Wochen zuvor ist der Keeper nach fünf Monaten Pause wieder ins Training eingestiegen, hat bei Aston Villa einen neuen Vertrag über ein Jahr mit Verlängerungsoption unterschrieben – und sich nach zwei vergeblichen Anläufen bei Burton Albion und Cambridge United auf einen neuen Leihtransfer gefreut. 

«Harry Kane hat bewiesen, dass man sich über die unteren Ligen in die Premier League hocharbeiten kann.»
Benjamin Siegrist

«Es geht jetzt in erster Linie darum, dass ich endlich wieder attackieren und Spielpraxis sammeln kann. Harry Kane hat bewiesen, dass man sich über die unteren Ligen in die Premier League hocharbeiten kann. Dafür müssen wir nun die richtige Option finden. Ich hatte aufgrund meiner Verletzungen nie die Gelegenheit, einmal 20 Matches am Stück zu machen, und das lässt sich durch kein Training der Welt ausgleichen», sagt Siegrist kurz vor der Verletzung zu watson. Daraus wird nun vorerst wieder nichts!

Vom Bubi zur Hochleistungsmaschine

Den Traum von der Premier League verfolgt Benjamin Siegrist seit seinem Teenager-Alter eisern. Obwohl ihm viele Experten davon abraten, wagt er bereits als 16-Jähriger noch vor dem U17-Weltmeistertitel den Sprung vom FC Basel auf die Insel. Dort muss er als Neuling in der Academy erst einmal die Schuhe der Profis putzen: «Da musste ich durch. Das ist einfach so in England, das kannst du nicht umgehen. Bei mir waren es oft die Schuhe von Brad Friedel oder Stuart Taylor. Heute macht das dafür jemand anderes für mich.»

«Das sind halt Männer – und du bist noch ein Bub.»
Benjamin Siegrist

Obwohl er bereits damals 1,94 Meter lang ist, muss Siegrist auch körperlich zulegen: «In der Schweiz hiess es immer, ich müsse zuerst ausgewachsen sein. Deshalb habe ich vor meinem Wechsel nie Krafttraining gemacht. Hier fangen die Jungs aber schon im Alter von 14 oder 15 Jahren mit ihren Programmen an. Das merkt man auf dem Feld dann schon, auch wenn man so gross ist wie ich. Das sind halt Männer – und du bist noch ein Bub. Mittlerweile habe ich mehr Interesse daran. Man braucht es einfach, um Verletzungen vorzubeugen. Auch wenn das leider eben nicht immer klappt.»

Im WM-Final 2009 ist Benjamin Siegrist lang und dünn.
Im WM-Final 2009 ist Benjamin Siegrist lang und dünn.Bild: AP

Der Einsatz im Kraftraum hat immerhin sichtbare Resultate. Mittlerweile misst Siegrist fast 1,97 Meter und bringt mit 97 Kilogramm auch ordentlich Muskelmasse auf die Waage. Der Bubi aus dem WM-Final hat sich zur Hochleistungsmaschine entwickelt.

Bei Aston Villa hat der Schweizer im Kraftraum Muskeln zugelegt. 
Bei Aston Villa hat der Schweizer im Kraftraum Muskeln zugelegt. bild: benjamin siegrist

Irlands Nationalheld Shay Given als Trainingspartner

Doch die ist nun wieder kaputt. Auch den FA-Cup-Final vom 30. Mai gegen Arsenal wird Siegrist nur mit Gips erleben. Die erneute Zwangspause durch den Beinbruch ist auch eine massive psychische Belastung. Um jetzt nicht von Selbstzweifeln zerfressen zu werden, benötigt der Schweizer grosse mentale Stärke. 

«Shay Given ist definitiv ein Spinner – und ein grosses Vorbild für mich.»
Benjamin Siegrist

Und gerade diesbezüglich hat sich der U17-Weltmeister einiges von seinem Trainingspartner Shay Given abgeschaut. Ein Jahr lang hat Siegrist mit dem mittlerweile 39-jährigen 129-fachen irischen Internationalen täglich mehrere Stunden verbracht und ist beeindruckt: «Ich habe extrem viel von der Zusammenarbeit mit ihm profitiert und mir einige Dinge abgeschaut. Auch in punkto Einstellung und Durchhaltewillen ist er ein grosses Vorbild für mich. Er ist definitiv ein Spinner, aber ein grossartiger Typ. Er mag es zum Beispiel gerne, wenn er im Training aus kurzer Distanz bis zu hundert Mal mit voller Wucht abgeschossen wird. Manchmal wird er dabei mit 90 Stundenkilometern im Gesicht getroffen. Dann steht er einfach wieder auf wie ein Boxer und lässt sich nichts anmerken.»

Shay Given geniesst in Irland schon zu Lebzeiten Legendenstatus.
Shay Given geniesst in Irland schon zu Lebzeiten Legendenstatus.Bild: John Sibley/REUTERS

Mit Philippe Senderos steht dem verletzen Goalie bei Aston Villa auch ein Landsmann bei. Der Schweizer Internationale wohnt mit seiner Frau in der Kleinstadt Sutton Coldfield direkt in Siegrists Nachbarschaft. «Er ist wie ein grosser Bruder für mich. Wir sprechen jeden Tag zusammen und treffen uns oft, um gemeinsam Fussball zu schauen oder andere Dinge zu unternehmen.»

Aufgeben ist keine Option

Doch wird das dem ehemaligen Überflieger reichen, um auch den neusten Rückschlag zu verkraften? Reicht es einem Spieler mit so viel Pech jemals zum Durchbruch bei den Profis? War der Wechsel nach England am Ende doch die falsche Wahl? 

«Mein Weg in England ist noch lange nicht zu Ende.»
Benjamin Siegrist

Siegrist winkt ab: «Es gab bisher noch keinen einzigen Tag, an dem ich meine Entscheidung bereut habe. Nicht einmal während der dunkelsten Zeiten. Wer weiss zum Beispiel, ob ich ohne den Wechsel schon bei der U17-WM so eine gute Leistung hätte zeigen können – ich denke es nicht. Wenn ich noch einmal wählen müsste, dann würde ich wieder alles genauso machen. Auch eine Rückkehr ist kein Thema für mich. Mein Weg in England ist noch lange nicht zu Ende.»

Für den Traum von der Premier League will Benjamin Siegrist weiterhin alles geben. 
Für den Traum von der Premier League will Benjamin Siegrist weiterhin alles geben. bild: benjamin siegrist

Auch dass fast gleichaltrige Goalies wie Roman Bürki ihn mittlerweile rechts überholt haben, bereitet Benjamin Siegrist keinen Kummer: «Bürki ist ein guter Keeper. Aber er ist bei Kapitel 20, ich bin bei Kapitel 3. Das lässt sich nicht vergleichen. Bei einigen Spielern geht es sehr schnell, bei mir ist die Karriere nun eben ein wenig ins Stocken geraten. Deshalb sitze ich aber noch lange nicht zuhause, stecke den Kopf in den Sand und denke, die ganze Welt sei schlecht. Ich habe keine Zweifel daran, dass ich es irgendwann schaffen werde. Ich mache weiter und kämpfe so lange, bis ich auch bei Kapitel 20 bin. Das ist mein Weg, das ist meine Story.»

Benjamin Siegrist gibt nicht auf und demonstriert das auch mit seinem Whatsapp-Profil.
Benjamin Siegrist gibt nicht auf und demonstriert das auch mit seinem Whatsapp-Profil.bild: watson

Das sind die 15 grössten Talente des Weltfussballs

1 / 17
April 2015: Das sind die 15 grössten Talente des Weltfussballs
Martin Ödegaard, Norwegen, Real Madrid.
quelle: getty
Auf Facebook teilenAuf X teilen
No Components found for watson.appWerbebox.
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
1 Kommentar
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
HSalamanca
20.05.2015 12:17registriert März 2015
Ein weiteres Mal ein wirklich toller Bericht! Gerade wenn man jenen vor einigen Wochen zu Joel Kiassumbua schon gelesen hat. Danke für fundierte Fussballberichterstattung:)
280
Melden
Zum Kommentar
1
Gehst du an die EM in Deutschland? Dann musst du dich auf Kontrollen gefasst machen
Die deutsche Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat zur Fussball-Europameisterschaft (EM) im Sommer zeitweilige Kontrollen an allen deutschen Grenzen angekündigt. Dies sei notwendig, um die Veranstaltung bestmöglich zu schützen.

«Wir werden während des Turniers an allen deutschen Grenzen vorübergehende Grenzkontrollen vornehmen, um mögliche Gewalttäter an der Einreise hindern zu können», sagte Faeser in der Dienstagsausgabe der «Rheinischen Post». Im Fokus stehe der Schutz vor Islamisten und anderen Extremisten, vor Hooligans und anderen Gewalttätern sowie die Sicherheit der Netze vor Cyberangriffen. «Diese aktuellen Bedrohungen haben wir besonders im Blick.»

Zur Story