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Bitte keine Panik: Europa braucht mehr Inflation

Wenn Deflation herrscht, bleiben die Händler auf ihren Waren sitzen – wie hier in China.
Wenn Deflation herrscht, bleiben die Händler auf ihren Waren sitzen – wie hier in China.Bild: Keystone
Geldpolitik

Bitte keine Panik: Europa braucht mehr Inflation

Nicht die Inflation ist zur Gefahr geworden, sondern ihre noch bösartigere Zwillingsschwester, die Deflation.
08.04.2014, 10:0823.06.2014, 14:39
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Inflation ist für die meisten Menschen ein Schreckgespenst. Zurecht. Wird das Geld entwertet, ist das eine unfaire, ja perfide Form von Besteuerung, die unbescholtene Menschen ins Elend stürzt. So hat die deutsche Hyperinflation in den 1920er Jahren dazu geführt, dass Hochschulprofessoren bettelten und Frauen aus gutbürgerlichen Häusern sich prostituieren mussten. 

Wer heute die Wirtschaftspresse verfolgt, stellt jedoch fest, dass namhafte Ökonomen und selbst Christine Lagarde, Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), nicht vor Inflation warnen, sondern mehr Inflation fordern, vor allem für Europa. Der Jahresreport des IWF – so etwas wie die Bibel der Ökonomengemeinde – warnt gar vor einer «lowflation» (Niedriginflation), die dem alten Kontinent eine japanische Stagnation bescheren könnte. Was geht hier vor? 

Warum die Geldillusion der Wirtschaft hilft

Inflation ist nicht gleich Inflation. Eine bescheidene Teuerungsrate kann der Wirtschaft sogar helfen. Wird diese Teuerung über die Löhne ausgeglichen, dann stellt sich die so genannte «Geld-Illusion» ein. Weil die Einkommen nominell steigen, haben die Menschen das Gefühl, reicher zu werden, auch wenn sie real nicht über mehr Geld verfügen. 

Fordert mehr Inflation für Europa, IWF-Chefin Christine Lagarde.
Fordert mehr Inflation für Europa, IWF-Chefin Christine Lagarde.Bild: Keystone

Auch Lohnkürzungen sind mit einer Geld-Illusion weniger schmerzhaft. Die Teuerung ist zwar grösser als der Lohnzuwachs. Weil aber die nominalen Einkommen nicht schrumpfen, haben die Menschen nicht das Gefühl, ärmer zu sein. Aus diesen Gründen wirkt eine tiefe Inflation als Schmieröl in der Wirtschaft, und solange die Teuerungsrate unter 2 Prozent bleibt, werden die Zentralbanker nicht nervös. 

In Spanien herrscht bereits Deflation

In den letzten Monaten ist die Inflation durchschnittlich jedoch deutlich unter ein Prozent gesunken. In einzelnen Ländern wie etwa Spanien liegt sie bereits im negativen Bereich, will heissen: Der Wert des Geldes nimmt nicht ab, sondern zu. Es herrscht somit Deflation, und dies ist in den Augen vieler Ökonomen die noch weit perfidere Geldkrankheit als die Inflation. 

In einer Deflation zögern die Konsumenten ihre Einkäufe hinaus. Sie wissen, dass ihr Geld in der Zukunft mehr wert sein wird und haben daher keine Eile, es auszugeben. Das schwächt die Binnennachfrage. Zudem bestraft die Deflation Unternehmer. Geschäftsrisiken sind meist mit Schulden verbunden. In der Deflation jedoch wiegen solche Schulden immer schwerer. Daher wagen es die Unternehmen nicht mehr, neue Investitionen zu tätigen. 

Als Hitler an die Macht kam, herrschte Deflation

Schwache Nachfrage und schwindende Investitionsneigung führen zu einer Verelendungsspirale. Das hat die Grosse Depression der 1930er Jahre gezeigt. Hitler ist nicht, wie irrtümlich geglaubt wird, wegen einer Inflation an die Macht gekommen, sondern wegen einer Deflation. 

Hat sich geschworen, die Fehler der 1930er Jahre nicht zu wiederholen: Ex-Fed-Chef Bernanke.
Hat sich geschworen, die Fehler der 1930er Jahre nicht zu wiederholen: Ex-Fed-Chef Bernanke.Bild: Keystone

Aus den Fehlern der Grossen Depression haben die Zentralbanken ihre Lehren gezogen, vor allem die US-Notenbank, die Fed. Ben Bernanke, bis vor kurzem Fed-Präsident, hat seine akademischen Arbeiten über die Fehler der Zentralbanken in den 1930er Jahren verfasst und geschworen, die Fehler dieser Zeit nicht zu wiederholen. Damals hatte die Notenbanken verhängnisvollerweise mit steigenden Zinsen auf die Deflationsgefahr reagiert und damit alles noch viel schlimmer gemacht.

Warum Amerika es besser hat

Nach Ausbruch der Krise im Herbst 2008 haben die Notenbanken daher die Zinsen gesenkt und die Banken mit Geld geflutet. Vor allem die Fed hat diese Politik sehr aggressiv betrieben. Bis heute setzt die US-Notenbank auf das so genannte «Quantitative Easing» (QE). Das bedeutet, dass die Fed im grossen Stil Wertpapiere aufkauft und so für tiefe Zinsen sorgt. Mit Erfolg: Die Wirtschaft der Vereinigten Staaten ist viel besser aus der Krise gekommen als diejenige von Europa. 

Der Europäischen Zentralbank (EZB) sind die Hände gebunden. Sie ist streng genommen gar keine richtige Zentralbank, denn die Verträge von Maastricht verbieten ihr, die Rolle eines «Lender of last resort» zu spielen, will heissen: Im Krisenfall Staatsschulden im grossen Stil aufzukaufen und so die Wirtschaft zu stabilisieren. 

Sitz der Europäischen Zentralbank in Frankfurt.
Sitz der Europäischen Zentralbank in Frankfurt.Bild: Keystone

Sinneswandel in Deutschland

Um den Euro zu retten und die Finanzmärkte zu beruhigen, musste EZB-Präsident Mario Draghi daher zu mehreren Kunstgriffen am Rande der Verfassungslegalität greifen. Doch inzwischen hat das deutsche Verfassungsgericht Draghi klar gemacht: Bis hierher und nicht weiter. Bis heute leiden die Deutschen unter einer geradezu panischen Inflationsangst und stehen einem QE sehr misstrauisch gegenüber. 

Selbst in Deutschland scheint nun aber ein Sinneswandel eingesetzt zu haben. Jens Weidmann, Präsident der Bundesbank und ein ausgesprochener Hardliner, hat zur allgemeinen Überraschung kürzlich signalisiert, dass ein QE auch für Europa nicht mehr kategorisch auszuschliessen sei. Was ist vorgefallen? 

Renzi und Valls wollen Berlin die Stirn bieten

Bisher hat sich die von Deutschland verordnete Austeritätpolitik, verbunden mit einer zurückhaltenden Geldpolitik der EZB, vor allem gegen die Defizitländer an der Peripherie gerichtet. Länder wie Griechenland, Portugal und Zypern konnten sich kaum wehren. Nun aber geraten zunehmend Italien und Frankreich in Schwierigkeiten. Das sorgt für ganz andere Verhältnisse. 

Italien und Frankreich weisen mehrere Gemeinsamkeiten auf: Beide werden dieses Jahr die in den Maastrichter Verträgen vorgeschriebene Obergrenze von drei Prozent der jährlichen Neuverschuldung mit grösster Wahrscheinlichkeit überschreiten. Beide leiden unter einer stagnierenden Wirtschaft und hoher Arbeitslosigkeit. Und beide haben neue Männer an der Macht, die entschlossen sind, Berlin die Stirn zu bieten. 

Hat die Schnauze voll von der Austeritätspolitik: Italiens Premier Matteo Renzi
Hat die Schnauze voll von der Austeritätspolitik: Italiens Premier Matteo RenziBild: Reuters

Italiens neuer Premierminister Matteo Renzi hat bereits mehr als deutlich gemacht, dass er mehr Zeit brauchen wird, um den Staatshaushalt in Ordnung zu bringen und dass er die Schnauze voll hat von der Austeritätspolitik. Mit der vernichtenden Niederlage in den Lokalwahlen hat sich auch die Lage für Frankreichs Präsident François Hollande grundsätzlich verändert. Er hat seine Regierung umgekrempelt und mit Manuel Valls einen Mann zum Premierminister erhoben, der wie Renzi den Konflikt mit Berlin nicht scheut. 

Europa ist nur noch einen Schock von einer Deflation entfernt

Auch von der EZB werden Valls und Renzi verlangen, dass sie alles unternimmt, damit die Inflation steigt. Italien und Frankreich können sich eine Teuerungsrate um die Nullprozent oder gar eine leichte Deflation schlicht nicht leisten. Die hohen Schulden würden noch schlimmer drücken, die serbelnde Wirtschaft noch weiter absacken. Daher werden Valls und Renzi Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um die Inflation in die Höhe zu drücken. Sie brauchen jetzt dieses Schmiermittel der Volkswirtschaft, koste es, was es wolle. 

Europas Wirtschaft befindet sich derzeit in einer heiklen Lage. Es mehren sich zwar die Anzeichen, dass das schlimmste der Grossen Rezession überwunden sein könnte. Gleichzeitig jedoch ist die Gefahr einer Deflation noch keineswegs abgewendet. Oder wie es Martin Wolf, Chefökonom der «Financial Times» formuliert: «Einfach ausgedrückt ist die Eurozone nur einen Schock von einer Deflation entfernt.» 

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