Die älteren Semester unter uns mögen sich vielleicht noch an die Serie «Parker Lewis – Der Coole von der Schule» erinnern. Mann, war der Parker cool! Wir haben sie alle erlebt, die Coolen in den Schulen. Sie haben uns beeindruckt, ehrfürchtig haben wir sie bewundert, bestaunt und beneidet – manchmal waren wir vielleicht selbst ein bisschen cool. Manchmal auch überhaupt nicht. Und manchmal waren die Coolen auch nicht wirklich cool, und wir haben das erst später herausgefunden.
Es folgt eine komplett subjektive Liste von Schüler-Typen, die mir während meiner Karriere als Lehrer während 30 Jahren begegnet sind. Und ich schwöre: Aktuell habe ich keine Schüler, die nerven!
Wir alle kennen ihn auch unter dem Begriff «Klassenkasper», und in diesem Zusammenhang ist die männliche Form durchaus angebracht. Sein Spielzeug sind Witzchen, Faxen, Grimassen und Streiche. Manchmal ist er tatsächlich lustig, viel öfter ist er es aber nicht. Man möchte ihn schütteln, aber das darf man nicht.
Natürlich nervt der Klassenclown nicht nur mich, sondern auch die Mehrheit der Mitschüler und Mitschülerinnen! Betrachtet man die Problematik von der ernsthaften Seite, erkennt man hinter seinem Verhalten allerdings oft eine nicht zu unterschätzende Tragik wie zum Beispiel ein Aufmerksamkeitsdefizit, zu wenig Zuwendung oder Ähnliches. Vielleicht ist er aber auch nur unterfordert. Und nein: Dauerlustig sollte man nicht mit humorvoll verwechseln …
Nur wenn er seine Prüfungen zurückerhält, wird er für einen kurzen Moment ernst. Dieser Zustand ist aber selten von Dauer. Es ist deshalb naheliegend, dass die beruflichen Aussichten des Oberlustigen meist wenig rosig sind. Vielleicht ist er später wie einer meiner ehemals sauglattesten Schüler bei der «Bachelorette» oder ähnlichen Formaten anzutreffen. Das ist dann schon wieder lustig.
Die Technik der Abwesenheit ohne legitimen Grund nennt man auch schwänzen. Im Einzelfall beziehungsweise bei nicht exzessivem individuellem oder kollektivem Gebrauch ist Schwänzen für die Lehrperson kein grosses Problem.
Kollektives übermässiges Schwänzen ist immer dann extrem mühsam, wenn man als Lehrperson eine koordinierte Gruppenarbeit geplant hätte. Übrigens auch bei der Präsentation von Gruppenarbeiten, denn erfahrungsgemäss haben meistens die Abwesenden das für die Präsentation vorbereitete Material. Ansonsten ist es ganz angenehm (kleinere Klasse!).
Individuelles Schwänzen wird zum Problem, wenn einzelne Schüler und Schülerinnen aus irgendwelchen Gründen annehmen, sie würden ein Fernstudium absolvieren. Besonders lästig ist es, wenn sie bei Tests fehlen, da man als seriöse Lehrkraft bei den Nachprüfungen eine neue Version erstellen sollte; ausserdem müssen die Nachprüfungen oft in Freistunden verlegt sowie Räume und eine Aufsicht organisiert werden. Das Tüpfchen auf's i sind aber die notorischen Schwänzer, die per Mail sowohl sämtliche Informationen als auch das ausgeteilte Material zu den verpassten Lektionen einfordern, statt sich bei Klassenkameraden upzudaten.
Gerötete Augen, verschwommener Blick, eine leicht nuschelnde Ausdrucksweise: entweder ist die Erkältung wirklich schlimm, oder es stecken irgendwelche Narkotika dahinter. Im Klassenverband fallen die Dope-Abuser meist nicht negativ auf, ausser wenn sie sich sturzbetrunken gruppenweise während dem Unterricht totlachen, die Schülertoiletten vollkotzen, vom Abwart auf einer Trage zwischengelagert und von mir nach Hause gebracht werden müssen. Da ist es mir schon wesentlich sympathischer, wenn sie die ganze Lektion selig vor sich hinkichern.
Dass in zugedröhntem Zustand geschriebene Aufsätze extrem tiefsinnig ausfallen, ist übrigens leider ein langlebiger Mythos, an den nur die glauben, die den Aufsatz bekifft geschrieben haben oder lesen. In nüchternem Zustand ist die Korrektur eine Qual!
Ab und zu kommt es vor, dass besonders Unerschrockene bekifft oder betrunken zu (Abschluss-)Prüfungen erscheinen. Man könnte meinen, das sei amüsant, aber das ist es nicht. Sinnentleerte Kommentare zu literarischen Werken sind selten spannend und solche Prüfungen abzunehmen, macht wirklich keinen Spass.
Er kennt alle Zahlen und Fakten. Er kann sämtliche Panzer und Flugzeuge der Wehrmacht aufzählen. Im Test zählt er bei der Frage nach den ideologischen Hintergründen für Hitlers Angriff auf die Sowjetunion sämtliche Panzer und Flugzeuge der Wehrmacht auf – und auf vier vollgekritzelten Seiten leider auch sonst alles, was er zum Zweiten Weltkrieg weiss.
Ich lese seine vier Seiten akribisch genau durch auf der Suche nach Antworten, die irgendwie zu den Fragen passen könnten. Und ich freue mich sehr, wenn ich fündig werde. Denn ich denke mir: je mehr Punkte, desto weniger Diskussionen.
In der Pause nach der Rückgabe und der Besprechung der Prüfungen steht er vor meinem Pult. Immer. Sein Argument: «Beim Angriff auf die Sowjetunion haben die Deutschen Panzer und Flugzeuge benutzt.» Mein Argument: «Das war aber nicht die Frage!» Sein Argument: «Ich habe stundenlang für die Prüfung gelernt.» Mein Argument: «Aufwand und Ertrag stehen nicht immer in einem vernünftigen Verhältnis.» Sein Argument: «Mir fehlen nur eineinhalb Punkte für eine Vier...» Mir gehen die Argumente aus. Ihn gibt es übrigens auch in weiblich.
Er ist auf den ersten Blick wenig auffällig, falls er nicht auch noch gleichzeitig ein Sauglatter ist, und Letzteres kommt öfter vor. Ich erkenne ihn an seinen Aufsätzen, bei schriftlichen Prüfungen und bei Facharbeiten. Weil er schlauer ist als mich.
Im Aufsatz macht er plötzlich keine Fehler mehr, statt «Leichte Sprache» schreibt er Monstersätze, in denen Wörter wie Hippopotomonstrosesquippedaliophobie, polymorph oder anthropogen vorkommen. In Prüfungen zitiert er auffallend wörtlich aus dem Lehrbuch – aber nicht zur entsprechenden Frage. In seinen Facharbeiten haben einzelne Kapitel Hochschulniveau. Und dann gibt es noch die Optimisten, die ganze Dissertationen oder Wikipedia-Artikel eins zu eins copypasten. Den Vogel abgeschossen haben aber die Unglücksraben, die eine ausgezeichnete Facharbeit zum Vietnamkrieg heruntergeladen haben, die von zwei meiner Schüler drei Jahre zuvor ins Netz gestellt worden war ...
Es sind selten bis nie die wirklich Cleveren, die in Zeiten von Google und Plagiatfindern so plump betrügen – selbst nach eindringlicher Warnung. Dieses Phänomen hat übrigens einen Namen: Dunning-Kruger-Effekt!
Ihn interessiert anscheinend: nichts. Sämtliche Fächer sind ihm eine Qual. Gruppenarbeiten, Partnerarbeiten, Einzelarbeiten, recherchieren, zuhören: keine Lust. Ein Buch lesen? Folter. Sogar die Schildkröte meiner Frau ist neugieriger.
Selbstverständlich muss oder kann man sich nicht für alles interessieren. Aber man kann sich für mehr interessieren als den eigenen Instagram- oder Facebook-Account. Bei diesem Schülertyp frage ich mich, warum er eine Ausbildung absolviert, die er nicht absolvieren müsste (die Berufsmatur). Stecken die Eltern dahinter? Oder die Kollegen? Oder geht es nur um den Platz am Fressnapf?
Ehrlich gesagt, konstant unmotivierte Schüler und Schülerinnen schlagen mir mehr aufs Gemüt als die restlichen Schülertypen zusammen. Sie frustrieren mich und ein wenig tun sie mir manchmal auch leid; vor allem, wenn sie mich kurz nicht so sehr frustrieren, dass ich mir selber leid tue.
Ihr Blick hat eine Bandbreite von leicht missbilligend bis tödlich und auf das Selbstvertrauen ihrer Mitmenschen die Wirkung einer Neutronenbombe – jedenfalls auf meines. Und ich ahne sofort: Ich bin ihr Feind.
Nebenbei: So wie es weibliche Klassenclowns gibt, gibt es auch männliche Divas. Die Diva findet am Unterricht alles schlecht, und das bringt sie auf recht aggressive Art zum Ausdruck. Schlimmer wird es, wenn ihre Noten nicht ihren Erwartungen entsprechen, denn sie ist oft nicht nur extrem ehrgeizig, sondern auch sehr von sich selbst überzeugt. Wenn sie gegen das Semesterende merkt, dass es für sie notenmässig eng werden könnte, ändert sie gelegentlich ihre Taktik: Sie kann dann sehr nett sein und manchmal fliessen auch Tränen.
Die Unnahbare ist aber nicht immer eine Diva. Genauso oft ist sie nur unsicher oder introvertiert, was ich jeweils mit grosser Erleichterung zur Kenntnis nehme. Denn wenn man freundlich auf sie zugeht, ist sie sehr dankbar und aus einer vermeintlichen Medusa wird ein ganz umgänglicher Mensch.
Der Seltsame ist leicht vermintes Gelände, auch weil ich meinen ehemaligen Schülerinnen und Schülern nicht zu nahe treten möchte. Trotzdem gibt es ihn. Von leicht bis schwer. Aber zum Glück sind wirklich sehr Sonderbare extrem selten.
Er ist introvertiert, ruhig und schüchtern, aber nicht in Diskussionen, denn da meldet er sich oft. Vor allem mit Statements wie zum Beispiel: «Herr M., wissen Sie eigentlich, dass Greta Thunberg von George Soros finanziert wird?» Er will sich mit mir auch über Chemtrails, den Holocaust und die Mondlandung unterhalten. Und er ist überzeugt davon, dass unser Bundesrat die Schweiz und die EU Europa an die Wand fährt.
Unter diesen Typus fallen auch sogenannte Streber und Besserwisser; denn wenn sie nicht wenigstens ein bisschen seltsam sind, sind Streber keine Streber und Besserwisser keine Besserwisser.
Natürlich hat er während der Frühlingsferien das Buch «Jakob der Lügner» nicht gelesen – oder höchstens den Wikipedia-Eintrag dazu. Oder die Zusammenfassung bei Dieter Wunderlich (Geheimtipp!). Vielleicht hat er auch herausgefunden, dass es verfilmt worden ist und sich die falsche Version angeschaut (die mit Robin Williams).
Am Ende der Ausbildung hat er von sechs Büchern vielleicht eines gelesen – der eine eins mehr, der andere eins weniger. Trotzdem kommt er meistens durch die Abschlussprüfung, denn er hat hilfsbereite Freunde und Internet, und er kann rechnen. Deshalb bewegt sich sein Notenschnitt zwischen 3,75 (reicht doch) und 3,76 (ein bisschen Reserve muss sein). Sollte er sich ausnahmsweise trotz allem mal verrechnen, kommt er ungerührt ein Jahr später nochmals zur Abschlussprüfung. Er ist in der Regel intelligent, weil: faul und intelligent gehören nicht selten zusammen. Faulpelze nerven mich nicht, es ist lediglich schade, dass sie sehr oft auch zu faul sind, sich an Diskussionen zu beteiligen; dabei hätten sie wahrscheinlich einiges zu sagen.
Meistens wird er seinen Weg machen. Und vielleicht trifft er während seiner tertiären Ausbildung auf ein Studiengebiet, das ihn tatsächlich interessiert! Das hoffen wir für ihn und für die Gesellschaft. Denn Tayllerand hat recht: wenn nur noch die Dummen fleissig sind, wird's zappenduster.