Studieren ist Frauensache. Zumindest wenn es nach den nackten Zahlen geht. Von den landesweit 148500 Studierenden sind Frauen in der Mehrheit. So liegt das Verhältnis auf dem Campus der grössten Hochschule des Landes, der Universität Zürich, bei 57 zu 43 Prozent. Der Unterschied wäre schweizweit noch deutlicher, gäbe es nicht die technischen Hochschulen des Bundes. An der ETH Zürich und ETH Lausanne zeigt sich das Gegenteil, 70 Prozent der Studierenden sind Männer.
Das liegt vor allem an den MINT-Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. In einzelnen Richtungen wie beispielsweise im Maschinenbau sind gar 9 von 10 Studierenden Männer. Doch sind die verschiedenen Präferenzen nur auf die Geschlechter zurückzuführen? Nein, sagt die jüngste Studie zu den MINT-Fächern der Universität Bern. Ein Teil des Unterschieds lässt sich durch die Lust am Wettbewerb erklären – oder die Angst davor.
Wer sich gerne mit anderen misst, wählt gemäss Studie eher die Fachrichtungen Mathematik und Informatik. Sie sind, anders als Geistes- und Sozialwissenschaften, exakte Wissenschaften. Es gibt richtig und falsch und damit eindeutige Abgrenzungen zwischen den Leistungen. Die Studie, die das Verhalten von 259 Berner Gymnasiasten erfasst hat, kommt zum Schluss, dass Frauen den Wettbewerb öfter scheuen als Männer und deshalb seltener MINT-Fächer an den Universitäten studieren. Das hat Folgen weit über die Hochschule hinaus. Zwei Erkenntnisse lassen sich aus den Ergebnissen ableiten.
Erstens erklärt die Studienwahl einen Teil der Lohndiskriminierung von Frauen. Gemäss der Studie gibt es einen kausalen Zusammenhang zwischen Mathematik-orientierten Fächern und dem späteren Gehalt. Weil Frauen von diesen Studiengängen eher absehen, würden sie weniger verdienen. «Es ist ein kleiner, aber nicht zu unterschätzende Faktor», sagt Stefan Wolter, Bildungsforscher und Mitautor der Studie.
Dass Männer kompetitiver sind als Frauen, beginnt gemäss Wolter schon in der Erziehung. Buben würden früh in einen Wettbewerb zueinander treten. Wer ist der Schnellste? Wer der Stärkste? Das sei für die meisten Eltern völlig normal. Anders bei den Mädchen. Ihnen werde beigebracht, dass gewinnen oder verlieren irrelevant sei. Das könne ihre Wettbewerbslust hemmen, sagt Wolter, was wiederum zu weniger Mathematikerinnen führt.
Ständerätin Anita Fetz (SP/BS) kritisiert die Studie. Für sie sind die Schlussfolgerungen nicht plausibel. Sie habe andere Erfahrungen gemacht. Die meisten Frauen in ihrem Umfeld seien sehr kompetitiv. Ausserdem hänge die Lohnungleichheit nicht von den Mathematik-Fächern ab. Da würden Äpfel mit Birnen verglichen. «Bankmanagerinnen oder Marketingchefinnen verdienen deutlich mehr als Ingenieure», sagt sie. Doch auch dort zeige sich die Lohndiskriminierung. Also alles Unsinn? Nein, sagt Fetz. «Oft verhandeln Frauen zu wenig.» Das gelte besonders beim Berufseinstieg. Zusätzlich würde man den jungen Frauen implizit unterstellen, sie wollten ohnehin bald Teilzeit arbeiten, sagt sie. Das Ergebnis: Das Einstiegsgehalt ist tief. «Diese Diskrepanz ist später schwierig auszugleichen.»
Doch der Lohn ist nur die eine Seite. Die Studie zeigt einen Missstand auf, der sich weiter zuspitzen wird. Es mangelt an Frauen im MINT-Bereich. Dabei sind sich Bildungsforscher, Wirtschaftsführer wie Politiker einig, dass mit der Digitalisierung diese Fächer weiter an Bedeutung gewinnen. Für die Wirtschaft, für die Gesellschaft. Schon heute fehlen die nötigen Fachkräfte.
Die Hochschulen haben reagiert. «Es ist uns äusserst wichtig, mehr Frauen für MINT-Fächer zu begeistern», sagt Sarah Springman, Rektorin der ETH Zürich. Davon würden alle Seiten profitieren. «Gemischte Teams sind oft effizienter und kreativer», sagt sie. Nicht nur deshalb hat die ETH 2016 eine neue Kinderkrippe mit zusätzlichen Betreuungsplätzen eröffnet. Sie soll auch jungen Müttern ermöglichen, ihr Studium weiterzuführen.
Auch die Studierenden engagieren sich, indem sie Gymnasiastinnen an Einführungstagen die Vorzüge der MINT-Fächer näher bringen. Offen bleibt, ob die Bemühungen der Hochschulen zu spät kommen. Bei der Frauenförderung müsse man früher ansetzen, meint Springman. «Kinder sind neugierig, das lässt sich nutzen, um Begeisterung für die Naturwissenschaft zu wecken.» Ständerätin Fetz erkennt bereits Verbesserungen. Die Technik verliere ihr nerdig-langweiliges Image. «Mädchen, die mit dem iPhone aufgewachsen sind, interessieren sich schneller dafür, wie etwas funktioniert», sagt Fetz. Das stimme sie zuversichtlich.