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Erdogan kassiert wegen Hagia Sophia viel internationale Kritik

hagia sophia istanbul
Die Hagia Sophia soll in eine Moschee umgewandelt werden.Bild: shutterstock

Die Hagia Sophia wird zur Moschee: Erdogan erntet Shitstorm biblischen Ausmasses

Die Hagia Sophia steht für viele für das erfolgreiche Zusammenleben der christlichen und muslimischen Kultur. Der türkische Präsident Erdogan hat das Museum nun aber zum Gotteshaus erklärt. Dafür gibt's von allen Seiten Kritik.
14.07.2020, 11:4814.07.2020, 17:16
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Rund 90 Jahre nach der Umwandlung des Istanbuler Wahrzeichens Hagia Sophia in ein Museum durch Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk wird das Gebäude wieder eine Moschee. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ordnete am Freitag die Öffnung zum islamischen Gebet an. Mit dem Beschluss übergab Erdogan die Leitung der «Hagia-Sophia-Moschee» zudem an die Religionsbehörde Diyanet.

Nach dem Willen Erdogans soll die Hagia Sophia bereits in zwei Wochen als Moschee genutzt werden können. «Wir planen, die Vorbereitungen schleunigst zu beenden und am Freitag, den 24. Juli 2020, die Hagia Sophia gemeinsam mit dem Freitagsgebet für Gebete zu eröffnen», sagte der Präsident am Freitagabend.

Turkey's President Recep Tayyip Erdogan, backdropped by a photograph of the Byzantine-era Hagia Sophia, one of Istanbul's main tourist attractions in the historic Sultanahmet district of Ist ...
Erdogan will bereits Ende Juli die Moschee einweihen.Bild: keystone

Der Entscheid Erdogans löste in vielen Ländern und Organisationen teilweise harsche Kritik aus. Die EU, Russland und die USA sind sich plötzlich wieder in einer Sache einig. Auch die Religionsführer sind mit dem Entscheid überhaupt nicht zufrieden. Man kann hier also getrost von einem Weil wir watson sind, können wir also getrost von einem Shitstorm biblischen Ausmasses sprechen.

Nachfolgend die wichtigsten Reaktionen:

Griechenland: «Historischer Fehler»

Die deutlichsten Worte findet Griechenland. Der Nachbarstaat droht der Türkei mit Konsequenzen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan habe einen «historischen Fehler begangen», erklärte der griechische Regierungssprecher Stelios Petsas am Samstag. Auf diese Beleidigung der christlichen Welt müsse es eine entsprechende Antwort geben. Regierungssprecher Petsas sagte am Samstag:

«Griechenland verurteilt dieses Verhalten Erdogans und wird alles tun, was es kann, damit es Konsequenzen für die Türkei gibt.»

Details nannte er nicht. Der griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis hatte zuvor schon erklärt, dass der Beschluss Erdogans Folgen für die Beziehungen der Türkei zur EU haben werde. Griechenland und die Türkei streiten sich ohnehin schon um Erdgasvorkommen im Mittelmeer und über verschiedene Migrationsthemen.

epa08488106 Prime Minister of Isreal Benjamin Netanyahu (R) and Prime Minister of Greece Kyriakos Mitsotakis hold a joint press conferece in Jerusalem, 16 June 2020. EPA/DEBBIE HILL / POOL
Der griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis.Bild: keystone

Die griechische Presse reagierte am Samstag mit Schlagzeilen wie «Die Hagia Sophia ist Opfer des Grössenwahns Erdogans geworden» (konservative Zeitung «Kathimerini»). «Unsinn ohne Ende», hiess es in der konservativen Zeitung «Eleftheros Typos». Griechische Kommentatoren meinten, Erdogans Türkei entferne sich mit grosser Geschwindigkeit vom Laizismus, der Trennung von Staat und Religion, und sei auf dem Weg der vollen Islamisierung.

Die griechische Kulturministerin Lina Mendoni sprach von einer «Provokation für die zivilisierte Welt». Erdogan führe «sein Land sechs Jahrhunderte zurück.»

Russisch-orthodoxe Kirche: Schlag gegen Orthodoxie

Weil die Hagia Sophia eine so grosse Bedeutung für die Orthodoxie hat, kamen die deutlichsten Reaktionen aus Griechenland und Russland. Metropolit Hilarion vom Moskauer Patriarchat sprach im russischen Staatsfernsehen von einem Schlag gegen die Orthodoxie.

Pope Francis exchanges gifts with Hilarion Alfeyev , Metropolitan of Volokolamsk, at the Vatican Saturday, Dec. 10, 2016. (L'Osservatore Romano/Pool Photo via AP)
Metropolit Hilarion vom Moskauer Patriarchat im Gespräch mit Papst Franziskus (Archivbild Dezember 2016). Bild: AP/L'Osservatore Romano

«Für alle orthodoxen Christen auf der Welt ist die Hagia Sophia ein wichtiges Symbol, wie der Petersdom in Rom für die Katholiken.» Die Umwidmung werde die Beziehung der Türkei zur christlichen Welt beeinflussen.

Die innenpolitische Lage in der Türkei und die Faktoren, die zur Umwidmung geführt hätten, könnten unterschiedlich eingeschätzt werden, sagte der Metropolit weiter. Aber:

«Das geistige und kulturelle Erbe einer ganzen Welt sollte nicht als Geisel einer politischen Situation genommen werden.»

Luxemburg: «Schlag gegen die Allianz der Zivilisationen»

Der luxemburgische Aussenminister Jean Asselborn hat die von der Türkei geplante Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee als einen «Schlag gegen die Allianz der Zivilisationen» bezeichnet. Die von der Türkei mitbegründete Initiative sei damit in seinen Augen ausradiert, sagte Asselborn am Montag bei einem EU-Aussenministertreffen in Brüssel. «Das ist nicht gut.»

epa08538740 A woman holds a Turkish flag as they celebrate Turkey?s decision that the 1,500 year old Unesco World Heritage site Hagia Sophia can be converted into a mosque, in front of the Hagia Sophi ...
Ist es ein innenpolitischer Entscheid? Zwei Frauen feiern Erdogans Vorpreschen mit der türkischen Flagge.Bild: keystone

Die UN-Allianz der Zivilisationen war 2005 auf Anregung des früheren spanischen Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero und des damaligen türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan ins Leben gerufen worden. Ziel sollte eine bessere Verständigung zwischen der westlichen und der orientalischen Welt sein.

EU: Misstrauen und Spaltungen

Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell kritisierte am vergangenen Montag die geplante Umwandlung der Hagia Sophia von einem Museum in eine Moschee. Borrell sagte mit Blick auf das Gebäude, das früher einmal das grösste Gotteshaus der Christenheit gewesen war:

«Diese Entscheidung wird unweigerlich Misstrauen schüren, zu erneuten Spaltungen zwischen Religionsgemeinschaften führen und unsere Bemühungen um Dialog und Zusammenarbeit untergraben.»
epa08543646 European Union Foreign Policy chief Josep Borrell speaks during a news conference following a European Union Foreign Ministers council in Brussels, Belgium, 13 July 2020. EPA/FRANCOIS LENO ...
EU-Aussenbeauftragter Josep Borrell.Bild: keystone

USA: «Enttäuscht von der Türkei»

Die US-Regierung hat ihr Bedauern zum Ausdruck gebracht: «Wir sind enttäuscht von der Entscheidung der Regierung der Türkei, den Status der Hagia Sophia zu ändern», hiess es am Freitag auf Anfrage in einer Erklärung der Sprecherin des Aussenministeriums in Washington, Morgan Ortagus. Ortagus machte deutlich, dass die USA von der Türkei erwarten, dass die Weltkulturerbestätte weiterhin für alle Besucher zugänglich bleibt.

Papst Franziskus: «Es schmerzt mich sehr»

Auch Papst Franziskus hat sein Bedauern über die Umwandlung der Hagia Sophia in Istanbul zu einer Moschee zum Ausdruck gebracht. «Ich denke an die Heilige Sophia, und es schmerzt mich sehr», sagte der Pontifex nach dem traditionellen Angelusgebet am Sonntag in Rom. Näher äusserte sich das Katholiken-Oberhaupt nicht zu der international umstrittenen Entscheidung der Türkei.

epa08505594 A handout picture provided by the Vatican Media shows Pope Francis during his general audience in the Library of the Apostolic Palace, Vatican City, 24 June 2020. EPA/VATICAN MEDIA HANDOUT ...
Papst Franziskus zeigt sich betrübt.Bild: keystone

Deutschland: Bedauern und Abwarten

Die deutsche Regierung hat die Umwandlung der Hagia Sophia in Istanbul von einem Museum zu einer Moschee «mit Bedauern zur Kenntnis genommen». Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Montag in Berlin:

«Die Hagia Sophia hat eine grosse kulturhistorische Bedeutung, sie hat eine grosse religiöse Bedeutung, und zwar sowohl für das Christentum als auch für den Islam, und wir messen ja diesem interreligiösen Dialog hohen Wert bei.»

Der Status als Museum habe Menschen aller Glaubensrichtungen zu jedem Zeitpunkt freien Zugang zu diesem Meisterwerk und Weltkulturerbe ermöglicht, sagte Seibert. Es gelte nun abzuwarten, wie die Entscheidung ausgestaltet werde.

Russland: Bedauern und Ermahnung

Russlands Vize-Aussenminister Alexander Gruschko erinnerte an die Bedeutung der Hagia (Aussprache: Aja) Sophia. Es gebe heute nicht mehr viele Symbole mit solch einer jahrhundertealten Geschichte, die auch Einfluss auf die Entwicklung der Menschheit gehabt hätten, sagte er der Nachrichtenagentur Interfax am Samstag.

Gruschko erwartet nun von der Türkei, das Gebäude zu schützen, zu erhalten und weiter öffentlich zugänglich zu lassen: «Ich hoffe sehr, dass alle Verpflichtungen [...] vollständig umgesetzt werden.»

Maria Zakharova, Sprecherin des Aussenministeriums, sagte:

«Die Entscheidung Atatürks machte die Hagia Sophia für viele Jahrzehnte zu einem Symbol des Friedens und der interreligiösen Harmonie und spielte eine wichtige Rolle bei der Förderung einer Atmosphäre der religiösen Toleranz und des Dialogs zwischen den Nationen.»
Russian Foreign Ministry spokesperson Maria Zakharova gestures as she attends Russian Foreign Minister Sergey Lavrov's annual roundup news conference summing up his ministry's work in 2019,  ...
Maria Zakharova, Sprecherin des russischen Aussenministeriums.Bild: AP

Man hoffe, dass das Management der Hagia Sophia ihrem Status als UNESCO-Weltkulturerbe voll und ganz gerecht werde. Und weiter: «Wir erwarten, dass bei allen Massnahmen im Zusammenhang mit diesem einzigartigen Wahrzeichen seine aussergewöhnliche Bedeutung für Gläubige auf der ganzen Welt berücksichtigt wird.»

Was ist die Hagia Sophia?
Die Hagia Sophia (griechisch: Heilige Weisheit) wurde im 6. Jahrhundert nach Christus erbaut und war Hauptkirche des Byzantinischen Reiches, in der die Kaiser gekrönt wurden. Nach der Eroberung des damaligen Konstantinopel durch die Osmanen im Jahr 1453 wandelte Sultan Mehmet II. die Hagia Sophia in eine Moschee um.

Als äusseres Kennzeichen wurde unter Sultan Mehmet II. laut Nachschlagewerk Encyclopaedia Britannica zunächst ein hölzernes Minarett hinzugefügt, das heute nicht mehr steht. Später wurden weitere Minarette errichtet. Auf Betreiben des türkischen Republikgründers Mustafa Kemal Atatürk ordnete der Ministerrat im Jahr 1934 die Umwandlung in ein Museum an.​

Mit Material der Nachrichtenagenturen SDA und DPA.

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107 Kommentare
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Thomas Oetjen
14.07.2020 11:56registriert Dezember 2017
Er will ja den Protest. Diesen verwendet er dann, um zu seinen Wählern zu zeigen, dass alles eine islamophobe westliche Kampagne gegen eine islamische Türkei ist.
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Posersalami
14.07.2020 12:04registriert September 2016
Bin froh, das ich die Hagia Sofia schonmal besucht habe. Das wird wohl in Zukunft schwierig.. Schade für die Türkei generell!

Ich hätte dieses an sich faszinierende Land gerne einmal von West nach Ost durchreist. Aus Gründen werde ich vorläufig darauf verzichten und bin wohl nicht der einzige, der keinen Bock mehr hat auf Urlaub in der Türkei.
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xenixe (wants cookies for all)
14.07.2020 12:00registriert Februar 2020
Als würde ihn das kümmern. Bestimmt hat er das von Anfang an gewusst, aber ihn interessiert nur die Meinung von seinen Fundi-Anhängern. Geschichte wiederholt sich immer wieder. Kunstwerke/Bauten werden als Symbole missbraucht und wenn sie nicht in die Weltanschauung passen, zerstört.
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