Schweizer Waffen: Die hiesige Industrie wird vom Bund mangelhaft kontrolliert, meint das EKF.Bild: KEYSTONE
Die Finanzkontrolle ortet beim Bund mangelnde Distanz zu Rüstungsfirmen.
04.09.2018, 09:1504.09.2018, 12:24
henry habegger / aargauer zeitung
Der Titel des soeben publizierten Berichts
der Eidgenössischen Finanzkontrolle
(EFK) klingt bürokratisch harmlos.
«Prüfung der Kontrolle des Transfers
von Kriegsmaterial – Staatssekretariat
für Wirtschaft SECO». Aber der Eindruck
täuscht.
Der EFK-Bericht ist brisant
und sorgt für rote Köpfe. Das zeigt
schon eine Äusserlichkeit: Zahlreiche
Passagen – auch mal eine ganze Seite – in
diesem 41 Seiten dicken Dokument sind
geschwärzt. Wer die fünf grössten
Schweizer Lieferanten von Kriegsmaterial
ans Ausland sind – mit einem Exportanteil
von 67 Prozent – soll die Öffentlichkeit
beispielsweise nicht wissen. Die
Fünferliste ist vollständig geschwärzt.
Die Schwärzungen verlangt hat die
Behörde, die Gegenstand der Prüfung
war: das Staatssekretariat für Wirtschaft
(SECO) unter Marie-Gabrielle
Ineichen-Fleisch. Es ist im Wirtschaftsdepartement
von Bundesrat Johann
Schneider-Ammann (FDP) domiziliert.
Der Bericht der Aufsichtsbehörde geht
mit dem SECO und dessen Bereich Exportkontrollen
und Sanktionen (BWES)
hart ins Gericht. Benannt wird eine Reihe
von Mängeln und Nachlässigkeiten
des Bundes bei der
Exportkontrolle von Kriegsmaterial.
Folgende 4 Punkte werden bemängelt:
Legale Umgehungstricks
der Rüstungsindustrie
Ist ein Waffengeschäft in der Schweiz
nicht bewilligungsfähig, ist die Industrie
kreativ, so die Finanzkontrolle. Sie
nutze «alternative Exportmöglichkeiten»,
die die Gesetzgebung oder die
Auslegungspraxis zuliessen. Beispielsweise
können «Baugruppen» über
«Zwischen-Länder» an Problemstaaten
exportiert werden.
Auch der «Abgrenzungsspielraum»
zwischen Kriegsmaterial-
und Güterkontrollgesetz werde
ausgenützt. Sei Kriegsgerät auch zivil
nutzbar, falle der Export unter das gnädigere
Güterkontrollgesetz. So seien
2007 etwa Zielfernrohre legal via Italien
in den Iran exportiert worden. Oder
eine Firma lässt Waffen in Lizenz im EU-Ausland
produzieren. So passiert 2013
mit Pistolen für Saudi-Arabien.
Der Bund lässt Firmen
an der langen Leine
Eigentlich sollte jedes der rund 300
Schweizer Kriegsmaterialunternehmen
innert zehn Jahren einmal vom Bund
geprüft werden. So will es laut EFK-Bericht
ein Grundlagenpapier im Staatssekretariat
für Wirtschaft (SECO). Allerdings
kann das SECO derzeit wegen
fehlender Ressourcen nur etwa sechs
solche Firmenaudits durchführen.
Die Mitarbeitenden seien auch gar nicht
dafür ausgebildet. Zudem werde der
Vorsatz, dass diese Audits gezielt bei
möglichen Problemfirmen durchgeführt
würden, nicht eingehalten. Die
dafür nötigen Informationen von Bundesanwaltschaft,
Nachrichtendienst
etc. flössen kaum. Das SECO kündigt
an, mehr Ressourcen für diese risikobasierten
Audits freizuschaufeln.
Das Zusammenspiel der
Behörden klappt nicht
Die Finanzkontrolle kritisiert, dass die
Zusammenarbeit der mit Rüstungsexporten
befassten Bundesbehörden
derzeit nicht richtig funktioniere. So
brauche die Eidgenössische Zollverwaltung,
die Kontrollen an der Grenze
vornehmen müsse, mehr Informationen
von der Rüstungskontrollsektion im
SECO.
Die Zentralstelle zur Bekämpfung
illegaler Kriegsmaterialgeschäfte
(ZKM), ein Ein-Mann-Betrieb im
Schweizer Nachrichtendienst, sei zudem
«zu isoliert». Dort fehle ferner
eine «spezifische Stellenbeschreibung
bzw. ein Pflichtenheft». Die ZKM liefere
dem SECO wenig Informationen, weil
sie ihrerseits von der Bundesanwaltschaft
nicht über dieVerfahren im Bereich
Kriegsmaterial informiert werde.
Geheime Beschlüsse
des Bundesrats
Das Kriegsmaterialgesetz (KMG) aus
dem Jahr 1996 wurde in den Folgejahren
immer wieder angepasst. «Diese
Anpassungen führten zu einer eher
wirtschaftsfreundlichen Umsetzung
des KMG», so die Finanzkontrolle EFK
in ihrem Prüfbericht.
Diese Anpassungen
beschloss der Bundesrat oft
mittels Bundesratsbeschlüssen mit
Grundsatzcharakter. Aber laut EFK
wurden diese Beschlüsse «mehrheitlich
nicht publiziert». Die Aufweichungen
waren also geheim. Die EFK empfiehlt
dem Bundesrat nun, die Auslegungspraxis
des Kriegsmaterialgesetzes
künftig öffentlich zu machen, «im Sinne
von Transparenz und Rechtssicherheit».
Der Bundesrat zeigt sich bereit,
dies in der Zukunft zu machen. (hay)
Den
Kontrolleuren fehle die kritische Distanz
zu den Firmen und zu deren Lobbyisten.
Der Export von Kriegsmaterial
macht 2016 0,14 Prozent der Schweizer
Warenausfuhren aus
Das ist laut EFK auch strukturell bedingt:
Zu den Aufgaben der Kontrollsektion
gehört auch die Rüstungskontrollpolitik.
«Sie vereint politische Arbeit sowie
das Bewilligungs- und Kontrollwesen»,
so die EFK. Rüstungsexporte sind in der
Schweiz demnach ein Mittel der Wirtschaftspolitik.
Bewilligungen, so der Verdacht
der EFK, werden daher tendenziell
eher erteilt.
Im untersuchten Jahr
2016 hat das SECO laut EFK kein Exportgesuch
abgelehnt. 2395 von 2499 Gesuchen
wurden bewilligt, die übrigen
offenbar zurückgezogen. Klar wird das
auch im Bericht nicht wirklich, weil
auch hier Passagen geschwärzt sind.
Wechsel ins EJPD oder EDA?
Das SECO geht mit den Firmen pfleglich
um. So gibt es laut EFK zu wenige
Firmenaudits. Das SECO vertraut auch
oft Angaben der Exporteure, ohne die
Verträge einzusehen. Um mehr Distanz
zwischen Kontrolleuren und Kontrollierten
zu schaffen, schlägt die Finanzkontrolle
unter Direktor Michel Huissoud
vor: «Struktur und Unterstellung sollten
hinterfragt werden.»
Konkret bedeutet
das: Der Bereich Rüstungskontrolle sollte
aus dem exportorientierten Wirtschaftsdepartement
ausgegliedert werden.
Denkbar ist also, dass künftig das
Justiz- oder das Aussendepartement für
Kriegsmaterialgesuche zuständig wäre.
Der EFK-Bericht kommt in einer Phase,
in der Rüstungsexporte ohnehin
für rote Köpfe sorgen. Bundesrat und
Sicherheitspolitiker wollen die Regeln
weiter lockern und künftig auch in
Bürgerkriegsländer exportieren.
SECO: Politischer Bericht
Das SECO lässt in seiner Stellungnahme,
die im Bericht abgedruckt ist, kaum
einen guten Faden am EFK-Werk. Der
Bericht wirke «eher einseitig, wenig differenzierend
und einzelne Feststellungen
erscheinen arbiträr», er sei stellenweise
«unsorgfältig redigiert und fehlerhaft».
Das SECO wirft der Aufsichtsbehörde
vor, sie betreibe Politik: Es entstehe «der
Eindruck einer politischen Beurteilung
der Kriegsmaterialausfuhr und der gesetzlichen
Regelungen durch die EFK».
Gegenüber der «Nordwestschweiz» weist
das SECO auch den Vorwurf der Intransparenz
zurück, obwohl es breite Passagen
schwärzen liess. Es handle sich
um Beratungen, die vertraulich seien.
Die Schweiz sei erst kürzlich von einem
Genfer Institut im Zusammenhang mit
Kleinwaffen «als das transparenteste
Land ausgezeichnet» worden.
Politiker gespalten
Grünen-Politiker Balthasar Glättli
sieht sich bestätigt. «Es braucht schärfere
Kontrollen, nicht immer lockerere
Regeln.» Die Grünen fordern eine Debatte
in der Herbstsession der Räte in
Bern. FDP-Sicherheitspolitiker Walter
Müller (SG) dagegen sagt: «Bisher hatte
ich den Eindruck, dass die Schweizer
Bewilligungspraxis streng und korrekt
ist. Sollte sie aber hie und da zu large
sein, müsste man das korrigieren.»
Renato zum lustigen Thema: Waffenexporte! Jeeee!
Video: watson/Renato Kaiser
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