Erdogan schaltet Twitter aus – User in der Türkei sind wütend

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Bild: AP/AP

Erdogan schaltet Twitter aus – User in der Türkei sind wütend

Die türkische Regierung hat offenbar den Zugang zu Twitter gesperrt. Die Türken vergleichen die Situation mit Nordkorea und dem Iran – und suchen bereits fleissig nach Schlupflöchern.
21.03.2014, 04:2024.03.2014, 14:11
Can Kgil
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Um 23.16 Uhr schreibt mir mein Cousin: «Und per sofort verbietet mir mein Land auch noch den Twitter-Zugang. Ganz toll, jetzt haben wir ganz offiziell Zustände wie in Nordkorea und Iran. Mir ist ganz nach Weinen zumute». Seither vibriert mein Handy nur noch.

Am Donnerstagnachmittag hatte der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan die Sperre auf einer Wahlveranstaltung in Bursa angekündigt. Er gab zu verstehen, dass politische Einflüsse aus dem Ausland und Spionage über Soziale Netzwerke eine ernstzunehmende Gefahr darstellten und es deshalb unausweichlich sei, diese Bedrohung auf Twitter und Co. allesamt an der Wurzel anzupacken. 

Was dazu die internationale Gemeinschaft sage, interessiere ihn überhaupt nicht und zudem sei in diesem Fall das Recht der freien Meinungsäusserung der nationalen Sicherheit unterzuordnen.  

«Wir werden sie alle auslöschen. Jeder wird sehen, wie mächtig die Türkische Republik ist.»
Erdogan über Twitter & Co.

Beim Versuch, die Twitter.com-Website am Freitag zu öffnen, stiessen einige Nutzer auf eine Mitteilung, die offenbar von den türkischen Regulierungsbehörden stammt. Darin hiess es, dass die Seite auf gerichtliche Verfügung hin blockiert worden sei. Twitter teilte mit, den Berichten nachzugehen. 

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Bild: Screenshot von einem User aus der Türkei

Zudem veröffentlichte das US-Unternehmen mit Sitz in San Francisco einen Tweet, in dem Nutzern in der Türkei erklärt wurde, wie sie per SMS weiter Mitteilungen absetzen können. 

Das beschäftigt die Twitter-User in der Türkei:

1. Eine DNS-Anpassung soll Zugang zu Twitter verschaffen – vorerst  

Unter dem Hashtag #twitterisblockedinturkey twittern die User von der Sperre. In WhatsApp-Chats tauschen meine Verwandten und Kollegen aus Istanbul rege DNS-Adressen aus, die den Zugang zu Twitter trotz Sperre ermöglichen sollen. Auch auf Twitter wird aufgeklärt. So fallen vermehrt Schnapszahlen wie 8.8.8.8 oder 8.8.4.4 – und Beschreibungen, wie man diese Einstellungen vornehmen kann.  

2. Wie lange man den Zugang zu Twitter via DNS-Anpassung halten könne, ist ungewiss  

Deshalb kommen alternative Ansätze wie eine IP eines anderen Landes per VPN oder die Applikation TunnelBear auf. Der Anbieter der TunnelBear-App beteiligt sich sogar über Twitter an einer Strategiefindung:  

3. Und dann diskutieren alle noch darüber, wann wohl die nächste Kundgebung gegen diese «Tyrannei» stattfinden wird 

«Beginnend ab Freitagabend durchs ganze Wochenende», meinen die meisten. Einige äussern sich jedoch kritisch: «Bisher wurde hauptsächlich über Twitter mobilisiert». Die Umwege für einen Zugang seien vorerst zwar gegeben, doch der Verbindungsaufbau zu Twitter funktioniere im Vergleich zu vorher empfindlich langsam. Die Frage, ob sich diese technische Einschränkung auf die Dynamik der Demokratisierungsbewegung auswirken könnte, bleibt somit ungeklärt.  

Langsam, aber sicher nimmt auch die Beteiligung an der Gruppendiskussion ab. Immerhin haben sich meine Bekannten bis 4.30 Uhr Ortszeit rege damit auseinandergesetzt. Die Leute gehen langsam zu Bett. Eine abschliessende Bemerkung einer Kollegin bleibt mir: «Das sind schon ausgefuchste Typen. Was für ein Kalkül, die Twitter-Sperre zu einer solchen Randzeit durchzusetzen. Die haben einfach erkannt, dass die Leute irgendwann zu Bett gehen müssen und die Debatte gezwungenermassen pausiert wird» 

Hinweis auf Korruption veröffentlicht 

Einige Nutzer hatten in den vergangenen Wochen auf Twitter und in anderen Online-Netzwerken auf Tonaufnahmen und Dokumente verwiesen, die angeblich Beweise für Korruptionsvorfälle im inneren Zirkel Erdogans liefern und dessen Verwicklung belegen sollen. 

Der Regierungschef sprach von manipulierten Aufnahmen. Der Korruptionsskandal sei Teil eines aus dem Ausland gesteuerten Versuchs, ihn zu schwächen. Die Debatte hat wegen der Kommunalwahl am 30. März eine zusätzliche Brisanz erhalten. Erdogan hat auch mit einem Verbot von Facebook und YouTube gedroht. 

(Mit Material der Nachrichtenagentur SDA)

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