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Olympiasiegerin Nina Christen kämpft mit «post-olympischer Depression»

Olympiasiegerin Nina Christen wird offiziell Empfangen sowie geehrt durch den Schweizer Schiesssportverband und die Gemeinde Wolfenschiessen, am Freitag 13. August 2021 in Wolfenschiessen. Die Sportsc ...
Nina Christen beim Empfang in der Gemeinde Wolfenschiessen.Bild: keystone

Saft- und kraftlos – Olympiasiegerin Christen macht «post-olympische Depression» publik

Aus dem Nichts schoss sich Nina Christen in Tokio ins grelle Scheinwerferlicht. Die Sportschützin gewann an den Olympischen Spielen eine Gold- und eine Bronzemedaille und wurde zur nationalen Bekanntheit. Die Rückkehr in den Alltag fällt der 27-Jährigen nun schwer.
07.09.2021, 18:5108.09.2021, 17:38
Ralf Meile
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Die Schweizer Sportschützen küren dieser Tage ihre Landesmeister in diversen Disziplinen. Nicht am Start sein wird allerdings die beste Schützin der Schweiz: Nina Christen fühlt sich nicht in der Lage für einen Wettkampf. Das schreibt die Nidwaldnerin in einem Statement, in dem sie offen über ihre momentanen Probleme spricht.

Christen begründet ihre Absenz an den nationalen Meisterschaften mit einer «post-olympischen Depression». Das sei etwas, dem viele Olympiateilnehmer im Verlauf ihrer Karriere begegnen würden.

«Bei mir äussert sich dies vor allem durch Schlaflosigkeit, eine massive Müdigkeit, einem Konzentrations- und einem Motivationsmangel», teilt die 27-jährige Olympiasiegerin mit. Sie habe starke Stimmungsschwankungen, heftige Migräne und Nackenschmerzen, «ganz zu schweigen von all den Gedanken, die dafür sorgen, dass mir ständig der Kopf dreht.»

Medaille hier, Feier da – und dann?

Nach dem überwältigenden Triumph ein Fall ins Loch – so wie Nina Christen geht es auch anderen Sportlern. Gerade wer in einer Randsportart erfolgreich ist, eine Medaille gewinnt, danach überall Interviews gibt, für Fotografen posiert und zuhause bei grossen Empfängen gefeiert wird, der steht oft vor der Frage: Und was kommt jetzt? Was soll das jemals noch toppen können?

Nina Christen, of Switzerland, reacts after the last shot in the women's 50-meter 3 positions rifle at the Asaka Shooting Range in the 2020 Summer Olympics, Saturday, July 31, 2021, in Tokyo, Jap ...
Gold! Christen ballt die Siegerfaust.Bild: keystone

Doch eine post-olympische Depression kann auch die allergrössten Sportstars heimsuchen. Schwimmer Michael Phelps, mit sagenhaften 23 Goldmedaillen der mit Abstand erfolgreichste Olympionike der Geschichte, gewährte 2018 tiefe Einblicke in sein Inneres. «Ich bin, denke ich, nach Olympischen Spielen stets in eine schwere Depression gefallen», sagte Phelps.

«Ich erwarte nicht, dass ich die ganze Zeit stark bin»

Beim US-Amerikaner ging das so weit, dass er an Suizid gedacht hatte. Manchmal habe er sich für drei, vier, fünf Tage im Schlafzimmer verkrochen, nicht gegessen, kaum geschlafen. Dann habe er bemerkt, dass er Hilfe benötigte und sich in Behandlung begeben.

Christen teilte auf ihrem Instagram-Account ein Zitat von Phelps. «Ich weiss, dass ich nicht alleine bin und ich verstehe, dass es für mich okay ist, wenn es mir nicht okay geht», lautet die Botschaft des Schwimmers. Die Schweizer Schützin schliesst ihre eigene Mitteilung mit einer ganz ähnlichen Aussage: «Ich erwarte nicht, dass ich die ganze Zeit stark bin und ich habe einfach nicht das Gefühl, dass ich jetzt schon wieder schiessen kann.»

Olympia-Medaillengewinnerin Nina Christen (Gold und Bronze im Schiessen) freut sich am Flughafenempfang in Zuerich, aufgenommen am Montag. 2. August 2021. (KEYSTONE/Ennio Leanza)
Christen und andere Schweizer Medaillengewinner bei der Rückkehr von den Olympischen Spielen am Flughafen Zürich.Bild: keystone

Zahlreiche Konkurrentinnen und Fans gratulierten Nina Christen umgehend dafür, wie offen sie mit den Problemen umgeht, die sie gerade beschäftigen. So bot etwa die Amerikanerin Ginny Thrasher, Luftgewehr-Olympiasiegerin 2016, ihre Hilfe an. «Sag mir Bescheid, wenn du reden möchtest», schrieb sie Christen, «du bist nicht alleine und es wird besser.» Und Martina Veloso, zweifache Goldmedaillengewinnerin an den Commonwealth Games, bedankte sich für die «kraftvolle Botschaft», die Christen mit der Welt teile. «Du verdienst eine gute Erholung. Ich sende dir ganz viel Liebe.»

Lass dir helfen!
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In der Schweiz gibt es zahlreiche Stellen, die rund um die Uhr für Menschen in suizidalen und depressiven Krisen da sind – vertraulich und kostenlos.

Die Dargebotene Hand: Tel 143, www.143.ch
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Reden kann retten: www.reden-kann-retten.ch
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Alle Schweizer Medaillen-Gewinner bei Olympia 2020 in Tokio
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Alle Schweizer Medaillen-Gewinner bei Olympia 2020 in Tokio
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quelle: keystone / laurent gillieron
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Depression ist eine Erkrankung – und so fühlt sie sich an
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12 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Gulasch
07.09.2021 19:53registriert März 2014
Auch nach zwei Medaillen ist sie sackstark in einer dritten Disziplin!
Es braucht ganz schön Courage sich so zu öffnen!
Chapeau und nur das Beste für die Erholung! Ad aspera ad astra!
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Junge mit Früchtekorb
07.09.2021 19:42registriert Oktober 2014
Beeindruckend, wie offen sie damit umgeht. Ich hoffe ganz fest, dass ihr Umfeld sie stützt, dass sie Hilfe bekommt und sich die Zeit nimmt, die sie braucht.
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Ohniznachtisbett
07.09.2021 21:41registriert August 2016
Jeder der schonmal auf etwas grösseres hin trainiert hat und es geschafft hat, kennt das Gefühl. Zuerst die Euphorie, danach kommt eine gewisse Leere. Dass dies im Spitzensport bei einem Ziel, das man vier Jahre angepeilt hat, noch etwas stärker kommt, erachte ich für völlig normal. Man muss dann erstmal etwas anderes machen, wieder mal Dinge tun, für die man vielleicht länger keine oder nur wenig Zeit hatte.
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