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Härtefall-Klausel: In diesen Fällen werden straffällige Ausländer nicht ausgeschafft

Ein verurteilter Dieb wird nach Polen ausgeschafft.
Ein verurteilter Dieb wird nach Polen ausgeschafft.Bild: KEYSTONE

Härtefall-Klausel: In diesen Fällen werden straffällige Ausländer nicht ausgeschafft

11.03.2015, 13:4611.03.2015, 14:45
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Der Nationalrat ist umgeschwenkt: Er hat sich bei der Umsetzung der SVP-Ausschaffungsinitiative dem Ständerat angeschlossen und am Mittwoch entschieden, dass bei schweren persönlichen Härtefällen eine Ausnahme von der automatischen Ausschaffung gemacht werden kann.

Bei der ersten Beratung vor einem Jahr hatte der Nationalrat eine wortgetreue Umsetzung der Initiative beschlossen, basierend auf dem Text der noch hängigen Durchsetzungsinitiative. Selbst relativ geringfügige Straftaten wie Schwarzarbeit sollten grundsätzlich zur Landesverweisung führen – unabhängig von den konkreten Umständen.

Der Nationalrat versuchte, die SVP damit zum Rückzug der Durchsetzungsinitiative zu bewegen, setzte sich aber dem Vorwurf des «vorauseilenden Gehorsams» aus. Der Ständerat mochte sich dem Entscheid nicht anschliessen. Er stimmte in der Wintersession mit grosser Mehrheit einem neuen Umsetzungsvorschlag zu, der nun auch im Nationalrat eine klare Mehrheit gefunden hat. Dagegen sprachen sich nur SVP und wenige FDP-Vertreter aus.

Und so lautet die Härtefallklausel:

«Das Gericht kann ausnahmsweise von einer Landesverweisung absehen, wenn diese für den Ausländer einen schweren persönlichen Härtefall bewirken würde und die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung gegenüber den privaten Interessen des Ausländers am Verbleib in der Schweiz nicht überwiegen. Dabei ist der besonderen Situation von Ausländern Rechnung zu tragen, die in der Schweiz geboren oder aufgewachsen sind.»

Wer in der Schweiz geboren wurde, soll nicht mehr von der automatischen Ausschaffung bedroht werden. Gleiches gilt für Bagatelldelikte, wobei es dafür keine klare Definition gibt. Der Entscheid wird den Gerichten überlassen. Damit lassen sich auch jene Urteile umschiffen, die vom Bundesgericht aus Gründen der Verhältnismässigkeit ohnehin nicht gestützt würden.

Die SVP wehrte sich vehement gegen diese Härtefallklausel, «welche ziemlich genau dem entspricht, was Volk und Stände im November 2010 abgelehnt haben», wie der Zürcher Nationalrat Gregor Rutz ausführte. Er spielte damit auf den Gegenvorschlag zur SVP-Initiative an, der beim Volk durchgefallen war. Dieser enthielt folgenden Passus:

«Beim Entscheid über die Aus- und Wegweisung sowie dem Entzug des Aufenthaltsrechts sind die Grundrechte und die Grundprinzipien der Bundesverfassung und des Völkerrechts, insbesondere der Grundsatz der Verhältnismässigkeit, zu beachten.» 

Es handelt sich um einen Verfassungsartikel, deshalb ist die Formulierung offener als bei der nun beschlossenen Härtefallklausel. Bei dieser handelt es sich um einen Gesetzesartikel. SVP-Präsident Toni Brunner zeigte sich enttäuscht: «Sie provozieren damit, dass die Durchsetzungsinitiative vors Volk kommt», warnte er in der Debatte vom Dienstag. Besagte Initiative ist strikt in ihrer Formulierung:

«Die Bestimmungen über die Landesverweisung und deren Vollzugsmodalitäten gehen dem nicht zwingenden Völkerrecht vor. Als zwingendes Völkerrecht gelten ausschliesslich das Verbot der Folter, des Völkermords, des Angriffskrieges, der Sklaverei sowie das Verbot der Rückschiebung in einen Staat, in dem Tod oder Folter drohen.» 

Toni Brunner setzt auf die Durchsetzungsinitiative.
Toni Brunner setzt auf die Durchsetzungsinitiative.Bild: KEYSTONE

Mit dem zweiten Teil dieses Passus' hat sich die SVP in die Nesseln gesetzt. Die Initiative wurde in diesem Punkt für ungültig erklärt, weil die Schweiz nicht einseitig definieren kann, was das zwingende Völkerrecht umfasst. Toni Brunner gab sich im Hinblick auf die Durchsetzungsinitiative selbstbewusst: «Die Zustimmung zu dieser Volksabstimmung wird höher ausfallen als die Zustimmung, die wir bei der Ausschaffungsinitiative erreicht haben.»

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Stattfinden soll die Abstimmung erst, wenn die Ausschaffungsinitiative endgültig umgesetzt ist. Wenn die Bevölkerung mit dem Gesetz nicht zufrieden sei, könne sie sich in einem Referendum dazu äussern, sagte Bundesrätin Simonetta Sommaruga. Sie sehe keinen Grund, von diesen bewährten Abläufen abzuweichen, nur weil eine Partei zwei Volksinitiativen zum gleichen Thema einreiche.

Über die Durchsetzungsinitiative dürfte folglich frühestens im Verlauf des nächsten Jahres abgestimmt werden.

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