Bevor wir zur Einschätzung der neusten Folge in der ewigen Seifenoper um die SCB-Ober-, Unter- und Neben-Sportchefs kommen, etwas zur Erbauung und Beruhigung: Die sportliche Grosswetterlage hat sich beim SCB inzwischen vorübergehend etwas entspannt: Die Mannschaft wird zusammenbleiben. Wenn nicht noch der Münsterturm Richtung Bärengraben kippt und es die Hockey-Götter wollen, dann werden Joel Vermin, Romain Loeffel, Benjamin Baumgartner und Fabian Ritzmann bleiben. Bis Ende August wird Sandro Aeschlimann entscheiden, ob er ab übernächster Saison SCB-Goalie wird. Einziges dringendes Geschäft ist die Verpflichtung eines zusätzlichen ausländischen Stürmers.
Was sagt uns das? Dass die Unaufgeregtheit, die Kompetenz und das Charisma von Obersportchef Martin Plüss langsam, aber sicher in die Sportabteilung «einsickern» und eine beruhigende Wirkung zeigen. Die Aufregung um die Nachfolgeregelung von Untersportchef Patrik Bärtschi dient vor allem der Unterhaltung in einer eishockeylosen Zeit.
Ein grosser Name oder mindestens eine schöne, lange Karriere als Spieler helfen einem Ober-, Unter- oder Nebensportchef. Wie die Beispiele von Sven Leuenberger (ZSC Lions), Paolo Duca (Ambri), Pascal Müller (Langnau) oder Marc Gautschi (Servette) zeigen. Aber vermeintlich «kleine» Namen können durchaus erfolgreich sein: Zugs Sportchef Reto Kläy spielte nie in der höchsten Liga und kam aus der Provinz und der zweithöchsten Liga (Langenthal).
Der grosse SCB hat nun also mit Diego Piceci einen neuen Untersportchef (offizielle Bezeichnung: «Leiter National League») mit «kleinem» Namen im Hockey-Business engagiert. Statt eines prominenten Gesichts aus dem Rampenlicht kommt ein Mann, den ausserhalb der Szene kaum jemand kennt. Doch gerade darin kann eine Chance liegen. Wer seinen Weg gegangen ist, ohne in der Sänfte eines grossen Namens getragen zu werden, bringt Eigenschaften mit, die im SCB-Fuchsbau helfen können. Mut, Fleiss, Akribie, Schlauheit, Hartnäckigkeit und Geduld.
Der Job in Bern verlangt nebst Kompetenz und calvinistischem Arbeits-Ethos ein feines Gespür für Stimmungen und Strömungen im Fuchsbau SCB (wann es Zeit ist für Widerspruch und wann nicht), keckes Selbstvertrauen im Schafspelz der Bescheidenheit, und die Fähigkeit der Selbstvermarktung.
Diego Piceci ist fleissiger als sein Vorgänger Patrik Bärtschi. Das wird ihm den Start enorm erleichtern. Ein gänzlich unbeschriebenes Blatt ist er im Hockey und in der Wirtschaft ja dann doch nicht: Er hat die Agentur Onside Sports Academy aufgebaut, die heute 51 Spieler, mehrheitlich aus der Swiss League, vertritt und war Sportchef bei Wetzikon (inzwischen MyHockey League).
Er sitzt als diplomierter Marketing-Fachmann in der Geschäftsleitung des elterlichen Architekturbüros in Rapperswil. Agentur und Sitz in der Geschäftsleitung gibt er nun auf. Dass er den Job als Sportchef bei den Lakers seinerzeit nicht bekommen hat, spricht nicht gegen ihn. Die logische Ursache für die Absage war die zu grosse Nähe, die zu starke Vernetzung im lokalen Hockey und in der lokalen Bauwirtschaft.
Die Stärke der SCB-Sportabteilung: Charisma und Kompetenz von Martin Plüss. Die Schwäche: Zu lange Entscheidungsfindung. Ein ganz, ganz Boshafter hat dazu einmal gesagt: Wäre Martin Plüss in der Funktion als Obersportchef ein Esel, dann würde er verhungern. Weil er sich zu lange nicht entscheiden könnte, welchen von zwei Heuballen er zuerst fressen soll.
Das ist zwar unerhört respektlos, aber halt schon ein wenig zutreffend. Zu viele Meinungen spielen in Bern eine Rolle und auf allen Stufen wird auf die Möglichkeit geachtet, durch schlaues Taktieren der Verantwortung für Fehlentscheide zu entgehen – und der Sündenbock ist am Ende meistens der Trainer. Das reicht, um die Vergangenheit und die Gegenwart zu verwalten. Aber das reicht nicht mehr, um die Zukunft zu gestalten. Der SCB ist im schnelllebigen Hockey-Business zu träge, zu langsam, zu genügsam geworden. Das ist das grosse, das existenzielle Problem.
Rebell oder Opportunist – das ist die entscheidende Frage: Diego Piceci wird erfolgreich sein, wenn es ihm gelingt, die Entscheidungsfindung in der Sportabteilung zu dynamisieren und zu «entpolitisieren». Wenn er den Mut hat, Marc Lüthi und Martin Plüss zu widersprechen und notfalls auf den Tisch zu hauen, wenn er im richtigen Augenblick für die richtige Sache zum Rebellen wird. Nach dem Grundsatz: Nicht die Loyalität zu Marc Lüthi und Martin Plüss und die Wahrung des Bürofriedens sind erste SCB-Bürgerpflicht. Sondern der sportliche Erfolg. Der SCB wartet seit dem Wechsel von Sven Leuenberger zu den ZSC Lions auf einen sportlichen Rebellen.
Je mehr der Untersportchef im beschaulichen Alltag in den SCB-Büros für kreative und sonstige Unruhe sorgt und je weniger er sich vom grossen Namen SCB einschüchtern lässt und das Risiko eines Fehlers scheut (Fehler gehören zu diesem Geschäft), desto besser. Passt er sich an, kümmert er sich nur ums interne Eigenmarketing und bleibt es auch nach seiner Ankunft windstill, dann bleibt er eine weitere Folge in der endlosen Seifenoper der Ober-, Unter- und Nebensportchefs – und der SCB wird einem «Lugano ohne Palmen» immer ähnlicher.
1. Sind beim SCB beide Sportchefs fleissig, erledigen sie eine Menge Arbeit, die sie zum grössten Teil gar nicht hätten, wenn sie nur einer wären.
2. Bern braucht keine Palmen. In Bern spenden die Lauben Schatten.