An einem Donnerstagvormittag verkündete einer der grössten Sportler seiner Zeit den Rücktritt. Nicht mit Pauken und Trompeten, sondern mit ein paar Zeilen, die er per E-Mail an die Veranstalter der US Open sendete. In New York hatte er ein Jahr davor seinen letzten grossen Sieg gefeiert – und danach nie mehr gespielt. Vor Wimbledon, jenem Turnier, das seine Karriere prägte, trainierte er noch drei Tage. Doch es bereitete ihm keine Freude mehr. Da wusste er: Es war Zeit, Abschied zu nehmen, denn: «Ich spiele nicht, um auf Wiedersehen zu sagen, sondern um zu gewinnen.»
Pete Sampras war in jenem Sommer 2003 32-jährig, 14-facher Grand-Slam-Sieger, während 286 Wochen hatte er die Weltrangliste angeführt. Alles Marken, von denen man damals dachte, sie seien für die Ewigkeit.
Wenige Monate zuvor hatte ein gewisser Roger Federer in Wimbledon seinen ersten Grand-Slam-Titel gewonnen. Es dauerte knapp neun Jahre, bis der Schweizer die Rekorde seines einstigen Idols ausgelöscht hatte. Und es sollte auch nur neun Jahre dauern, ehe Novak Djokovic Federer als Mann mit den meisten Wochen an der Spitze der Weltrangliste ablösen würde. Es war Federers letzte bedeutende Bestmarke, die er nicht teilte.
Nun neigt sich auch Federers Karriere dem Ende zu. Im Sommer wurde er 40, er ist vierfacher Vater, in den letzten zwei Jahren, in denen er nur noch 20 Spiele bestritt, aber noch einmal die Wimbledon-Viertelfinals erreichte, liess er sich drei Mal am rechten Knie operieren, letztmals diesen Sommer. Er wolle sich «einen Funken Hoffnung bewahren», es noch einmal zurück in den Tenniszirkus zu schaffen, er wisse, wie schwierig das werde. Erst diese Woche trat er wieder öffentlich auf, als er für seinen Laver Cup, den Kontinentalwettbewerb zwischen Europa und dem Rest der Welt, bewarb. Im November 2022 in der Londoner O2-Arena wolle er wieder dabei sein.
Federer sagte das, weil es seine Hoffnung ist, vermutlich auch das Ziel, doch Illusionen gibt er sich längst nicht mehr hin. Ende 2020 sagte er:
Das hat er erreicht. Ob er es noch einmal schafft? Zweifel sind angebracht. Roger Federer sagte einmal, er müsse nicht auch noch kitschig aufhören. Vielleicht weiss er selber nicht, wie lange er weitermachen will. Vielleicht geht es aber längst nur noch darum, ein letztes Mal in Wimbledon oder in Basel anzutreten. Vielleicht endet die Karriere aber auch ganz plötzlich - wie jene der Schweizer Ski-Ikone Bernhard Russi. Nach der WM-Abfahrt 1978 in Garmisch sass dieser im Auto vom Zielgelände ins Hotel, stand vor einer Ampel, als er sich die Frage stellte: Wie lange mache ich das noch? Dann habe er sich gesagt: Wenn ich mir diese Frage stelle, ist der Zeitpunkt gekommen. Er kehrte um und verkündete seinen sofortigen Rücktritt.
Wie auch immer Roger Federers Karriere als Berufssportler enden wird – vielleicht hat sie das bereits – anders als sein einstiges Idol Pete Sampras wird sich der Baselbieter wohl kaum aus der Öffentlichkeit zurückziehen.
Einen Vorgeschmack darauf haben wir in den letzten Monaten erhalten. Federer beim Heimspiel des FC Basel, in einem T-Shirt seines japanischen Ausrüsters Uniqlo, mit Schuhen der Marke On, wo er Werbeträger und Teilhaber ist, was ihm mit dem Börsengang Anfang September einen dreistelligen Millionenbetrag eingebracht haben dürfte. Federer an einem «Kochduell» für die «Schweizer Illustrierte», gekleidet in eine schwarze Kochschürze mit einem weissen Stern für die Automarke, für die er wirbt.
Dort sagte Federer dem Boulevard, er könne nicht sonderlich gut kochen. Zwei Themen waren Tabu: die Gesundheit und der Rücktritt. Es waren die beiden einzigen Fragen, die am Sportler Federer von Interesse waren.
Dass er nun eine Wasserstandsmeldung abgab, war eher dem Umstand geschuldet, dass die Frage nicht vermeidbar war, als er für den Laver Cup die Werbetrommel rührte. Und es lag auch auf der Hand, dass Federer den Laver Cup 2022 als Fernziel ausgab. Ob als Spieler oder in anderer Rolle, liess er offen. Viel interessanter war sowieso, was sich in der Woche davor abspielte, als die Partnerschaften mit Uniqlo und On bekannt gegeben wurden. Sie sind auch Federers persönliche Partner, wie Moët & Chandon und die drei wichtigsten Mitstreiter: Rolex, die Credit Suisse und Mercedes.
Dass Roger Federer in den von Verletzungen und Rückschlägen geprägten Jahren, nicht den Bettel hingeworfen und den Rücktritt verkündet hat, lässt sich fast nur mit seinem Ehrgeiz und der ungebrochenen Liebe zum Tennis erklären und verdient grössten Respekt. Denn Mit Schaukämpfen rund um den Globus könnte er weit mehr Geld verdienen, als er es ohnehin schon tut. Auf 106 Millionen Dollar bezifferte das Wirtschaftsmagazin «Forbes» seine Einkünfte 2020. Federer war damit im sportlich schwächsten Jahr seiner langen Karriere erstmals der bestverdienende Athlet der Welt.
Dank lukrativen und langfristigen Partnerschaften wird sich an diesem Umstand auch dann nichts ändern, wenn Roger Federer den Rücktritt verkünden sollte. Es wäre ein Abgang mit dem goldenen Fallschirm. (aargauerzeitung.ch)