50 Prozent! 30 Prozent! 70 Prozent! Der Schweizer Detailhandel befindet sich im Rabattrausch. Die Zeiten, in denen der Ausverkauf gesetzlich geregelt war, sind längstens vorbei. In den vergangenen Jahren sind Rabattschilder in den Schaufenstern der Händler zum Alltag geworden. Immer mehr, immer häufiger, immer billiger lautet die Devise.
Aus dem Ausland übernommene Aktionstage wie der «Black Friday» oder «Cyber Monday» im November haben sich etabliert. Ein Branchenvertreter erinnert sich: «Als das Warenhaus Globus Ende der 90er-Jahre erstmals 10 Prozent Rabatt gewährte, brauchte es Sicherheitsleute, weil der Andrang so gross war.» Heute schrecke man mit 10 Prozent niemanden mehr auf. «20 Prozent sind das absolute Minimum, um Kunden anzulocken.»
Die Dimensionen der Rabattschlacht im hiesigen Detailhandel zeigt die Studie «Schweiz. Promo-Report 2019» des Beratungsunternehmens «Fuhrer&Hotz». Teil davon ist eine repräsentative Umfrage bei 500 Konsumenten sowie eine Befragung von 135 Branchenvertretern. Kommende Woche werden die Resultate einem Fachpublikum vorgestellt, dieser Zeitung liegen sie bereits vor. Das Fazit: Das Aktionsbewusstsein der Schweizer Konsumenten ist in den letzten zwei Jahren massiv gestiegen – und zwar über alle Sortimente hinweg.
58 Prozent der Studienteilnehmer geben an, beim Einkauf von Lebensmitteln stark auf Sonderangebote zu achten – eine Steigerung um 11 Prozentpunkte im Vergleich zu 2017. Gleich dahinter folgen Elektronikprodukte, Mode- und Sportartikel. Am wenigsten achten sich die Konsumenten auf Rabatte beim Einkauf von Büchern, CDs, Uhren und Schmuck.
Die Schnäppchen-Affinität kommt nicht von ungefähr. Bei der Befragung der Branchenvertreter wird ersichtlich, dass die Händler die Aktionitis befeuern. Hatten 2017 erst 20 Prozent angegeben, beim amerikanischen «Black Friday» mitzumachen, sind es heute bereits über 40 Prozent. Beim «Cyber Monday» für Online-Rabatte stieg der Wert von 7 auf 17 Prozent. Und für dieses Jahr planen die meisten noch höhere Rabatte an noch mehr Tagen für noch mehr Produkte.
Die Warenhauskette Manor hatte den «Black Friday» als erster grosser Händler lanciert. «Die Rabattschlacht ist heute eine Realität, die wir nicht ändern können», sagt Geschäftsführer Jérôme Gilg im Gespräch: Der «Black Friday» habe einen enormen Effekt auf die Kundenfrequenz bei Manor, sowohl in den Geschäften als auch im Onlineshop. «Den Nutzen davon kann man kritisch hinterfragen, aber es machen nun mal alle mit. Insofern ist es unrealistisch, sich davon zu verabschieden.»
Marco Fuhrer von der Beratungsfirma «Fuhrer&Hotz» überrascht diese Haltung nicht. «Alle Händler haben Angst, auf Rabatte zu verzichten, sie befürchten, Kunden zu verlieren.» Doch genau das sei das Problem. «Es ist ein Teufelskreis, aus dem viele nicht mehr rauskommen.» Denn die Kunden würden immer mehr Aktionen erwarten und zu Schnäppchenjägern herangezüchtet. «Sie warten bis zum nächs- ten Aktionstag. Dann wird gehamstert und auf Vorrat gekauft.»
Die Folge: Der Umsatz steigt kurzfristig, doch die Profitabilität sinkt langfristig. Wenn die Rabattschlacht so weitergehe, müssten weitere Geschäfte schliessen, sagt Fuhrer. Insbesondere Rabatte aufs ganze Sortiment seien oftmals Verzweiflungstaten. Die Händler müssten kreativer werden und Aktionspreise zum Beispiel nur den treusten Kunden gewähren oder den Kunden auf ihre Bedürfnisse ausgerichtete Bons verteilen.
«Aber ein kleiner Händler kann bei dieser Rabattschlacht so oder so nicht gewinnen, er muss sich über andere Wege abheben», sagt Fuhrer. Ein Haushaltwarengeschäft könnte zum Beispiel nicht nur Pfannen verkaufen, sondern auch Kochkurse im Shop anbieten und so ein Erlebnis schaffen.
Manuela Beer, Chefin der Modekette PKZ, sieht einen der Gründe für die Rabatt-Kultur im Strukturwandel. «Der Einkaufstourismus und die neue Onlinekonkurrenz haben viele Händler unter Zugzwang gebracht, vor allem Textilgeschäfte.» Leider hätten einige mit Rabatten überreagiert. Dies führte dazu, dass viele Modegeschäfte in den letzten zwei Jahren verschwunden sind, so wie Schild, Companys, Charles Vögele und OVS.
Zu den Ausverkauf- gesellten sich Liquidationsschilder. Daran hätten sich viele Kunden gewöhnt, sagt Beer. Im mittleren und oberen Preissegment, wo sich PKZ erfolgreich bewege, beobachtet sie aber eine Trendwende: «Während der Euro-Franken-Krise war die Preissensitivität bei fast allen Kunden spürbar, heute zählen Service und Qualität aber wieder mehr.»
Der langjährige Chef des Lebensmittelhändlers Volg, Ferdinand Hirsig, hat kein Verständnis für übermässige Preisabschläge: «Etwas Blöderes als den ‹Black Friday› gibt es nicht, das ist reine Wertschöpfungsvernichtung.» Kurz vor Weihnachten Rabatte zu gewähren, sei fatal. «Zudem können wir uns bei Volg derart grosse Abschläge gar nicht leisten, dafür sind unsere Margen viel zu dünn.» Volg habe nach wie vor die gleiche Strategie mit wöchentlichen Aktionen auf gewissen Artikeln mit maximal 33 Prozent Rabatt.
Detailhandelsberater Marco Fuhrer weist auf ein weiteres Problem hin, wenn ein Produkt regelmässig mit 50 Prozent oder mehr Abschlag verkauft wird: Die Glaubwürdigkeit. «Der Kunde fragt sich dann, ob er durchs Jahr hindurch abgezockt wird, wenn plötzlich derart grosse Rabatte möglich sind an einzelnen Tagen.» So spricht denn auch der Bundesrat nach wie vor von einer Hochpreisinsel Schweiz. Mittels einer Kartellgesetzrevi- sion will er Parallelimporte künftig vereinfachen, um das Preisniveau hierzulande zu senken. Auch ohne Rabatte.
Viele der Rabatte entpuppen sich bei genauerer Betrachtung als Mogelpackungen. Die Prozente und die ursprünglichen Preise sind reine Augenwischerei. Einzig der tatsächliche Preis zählt. Des öfteren werden gerade bei Elektronikartikel abgespeckte (billigere) Versionen angeboten.
Ausserdem würden die Meisten viel mehr Sparen, wenn sie sich auf die Fixkosten konzentrieren würden: Handyabos, Internet, TV, Versicherungen, Krankenkasse, Bankkontos, Kreditkarten, Miete etc.