Politisch läuft es für Sebastian Kurz gar nicht rund. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Bundeskanzler der konservativen ÖVP wegen Verdachts der Falschaussage vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Ibiza-Affäre. Im Nationalrat kam es am Montag zu einem heftigen Schlagabtausch. Einen Rücktritt lehnt Kurz konsequent ab.
>> Coronavirus: Alle News im Liveticker
Epidemiologisch hingegen könnte es für den Kanzler und seine Koalitionsregierung mit den Grünen kaum besser laufen. Alle Indikatoren zeigen in die richtige Richtung. Die Fallzahlen sind deutlich tiefer als in der etwa gleich grossen Schweiz. Dem grossen Neustart für Gastronomie, Hotellerie, Sport und Kultur am Mittwoch steht nichts im Weg.
Während der nächste Öffnungsschritt in der Schweiz am 31. Mai von Vorsicht geprägt ist, legen die Österreicher richtig los. Konkret sind Veranstaltungen mit Schutzkonzept und bis zu 3000 Personen im Freien wieder möglich. Für Innenräume gilt eine Obergrenze von 1500 Personen. Kinos und Theater dürfen allerdings nur zur Hälfte ausgelastet sein.
Für Gastronomie, Kultur und Sport gilt vorerst eine Sperrstunde um 22 Uhr. Dennoch sind dies gute Nachrichten für die darbenden Branchen, die teilweise monatelange Schliessungen hinter sich haben. Der für Österreichs Wirtschaft sehr wichtige Tourismus etwa ist in der Wintersaison weitgehend ausgefallen. Entsprechend gross ist die Vorfreude.
Als Sebastian Kurz und der grüne Vizekanzler Werner Kogler die Öffnungen am 23. April ankündigten, herrschte Skepsis. Virologen warnten vor verfrühten Lockerungen. Anfang April erst musste die Regierung einen erneuten Lockdown für den Osten des Landes verordnen, nachdem sich die Auslastung der Intensivstationen zugespitzt hatte.
Nun zeigt sich: Die Rechnung ist aufgegangen. «Die Ausgangslage für die Öffnungen ist noch besser als erwartet», äusserte sich ein zufriedener Bundeskanzler Kurz am Montag vor den Medien. «Die Kurve der Corona-Infizierten zeigt steil nach unten, die Kurve der Geimpften steil nach oben.» Allerdings gelten nach wie vor strenge Schutzmassnahmen.
Selbst in Restaurants gibt es Zutritt nur nach der «3G-Regel», also für Geimpfte, Getestete und Genesene. Besonders wichtig ist das mittlere G: Österreich hat auch im weltweiten Vergleich ein besonders breites Testangebot ausgerollt. Die wöchentlich millionenfachen Tests bilden das Rückgrat der Corona-Strategie und der bevorstehenden Öffnungen.
Dabei hatte es schlecht begonnen. Die ersten Massentests im letzten Herbst waren ein Flop. Das hat sich seither geändert, wofür auch Anreize sorgten, etwa in der «Modellregion Vorarlberg». Dort sind die Restaurants schon seit Mitte März offen, auch in den Innenräumen, weshalb manche Ostschweizer Beizer neidisch über den Rhein schauten.
Zwar gilt eine Sperrstunde um 20 Uhr, weshalb einige Gastronomen zögerten. Doch die befürchtete Explosion der Fallzahlen fand nicht statt, und der Andrang war gross. «Die verpflichtende Vorlage eines negativen CoV-Tests schreckte die Besucher nicht ab», stellte der ORF fest und bezeichnet das Vorarlberger Gastro-Experiment als «Erfolgsgeschichte».
Die Testoffensive hat sich auch andernorts bewährt, etwa im Bundesland Tirol. Dort sorgten mutierte Virus-Varianten für Besorgnis, doch die Infektionslage hat sich entspannt. Konsequent getestet wird auch an den Schulen, die seit Montag landesweit wieder geöffnet sind, und zwar dreimal pro Woche. Ausserdem herrscht Maskenpflicht.
Der Kontrast zur Schweiz könnte kaum grösser sein. Hierzulande ist der vorösterliche Testschwung längst verpufft, ebenso der Run auf die Selbsttests in den Apotheken. In der Schweiz wird mehr oder weniger nach dem Lust-und-Laune-Prinzip getestet. Das ist besonders in den Schulen fatal, wo immer wieder ganze Klassen in Quarantäne müssen.
Wie ernst die Österreicher die Testerei nehmen, zeigt sich in der Hauptstadt Wien. Dort stehen zehn «Gurgelboxen», in denen man nach Voranmeldung einen PCR-Spucktest machen kann. Angestellte in der Gastronomie müssen nach den Vorgaben der Stadtregierung durchgehend getestet sein oder eine FFP2-Maske tragen.
Bei den Impfungen macht Österreich ebenfalls beachtliche Fortschritte. Bis Montag wurden mehr als vier Millionen Impfdosen verabreicht. Drei Millionen Menschen, mehr als ein Drittel der Gesamtbevölkerung, erhielten mindestens eine Dosis. Der grüne Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein greift als Arzt auch mal selbst zur Spritze.
Die 3G-Regel gilt in Österreich bereits drei Wochen nach der ersten Impfung. Sebastian Kurz geht davon aus, dass alle, die es wollen, bis Juni geimpft sein werden. Der Bundeskanzler zeigte sich optimistisch, dass sich der positive Trend in der Alpenrepublik weiter fortsetzt «und wir im Sommer wieder zur Normalität zurückkehren können».
Pünktlich zum Start der Öffnungswoche hob die Regierung auch die Quarantänepflicht für die meisten europäischen Länder auf, darunter die Schweiz. Natürlich gilt auch für Touristen die 3G-Regel. Österreich bietet deshalb ab nächster Woche kostenlose Corona-Tests für ausländische Gäste an, um den Tourismus zusätzlich anzukurbeln.
Diese Möglichkeit werde in öffentlichen Test-Strassen, Apotheken oder auch direkt im Hotel oder im Gasthaus bestehen, sagte Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) am Dienstag in Wien. Jeder Wirt, jedes Hotel, jeder Betrieb könne Selbsttests für Gäste anbieten. Das solle auch spontane Restaurantbesuche ermöglichen.
Die Pandemie ist auch in Österreich nicht vorbei. Und einfach «wegtesten» kann man sie nicht. Und doch beweist unser östlicher Nachbar, dass mit einer ambitionierten Impf- und Teststrategie ein gutes Stück Normalität zurückkehren kann.
Dann lieber wie hier.