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Das sind jetzt Wladimir Putins Optionen

Das sind jetzt Wladimir Putins Optionen

Der russische Präsident droht mit schmutzigen Atombomben und will US-Satelliten abschiessen. Gleichzeitig bietet er neuerdings Friedensgespräche an. Was will er wirklich?
29.10.2022, 06:5929.10.2022, 06:59
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Ein chinesisches Sprichwort besagt: Wer auf einem Tiger reitet, der hat Angst, wieder abzusteigen. Mit seinem Krieg gegen die Ukraine ist Wladimir Putin metaphorisch gesprochen auf einen solchen Tiger gestiegen. Warum der eigentlich als pragmatisch geltende russische Präsident dieses Risiko eingegangen ist, fasst Peter Clement im Magazin «Foreign Affairs» zusammen. Clement war einst Russland-Spezialist beim CIA und lehrt heute an der Colombia University in New York.

Hier also die Zusammenfassung: Vor Jahresfrist schien sich aus der Sicht Putins ein Zeitfenster für eine Invasion der Ukraine zu öffnen. Die USA sind politisch gespalten, die meisten Amerikaner können die Ukraine auf einer Karte nicht finden und haben nach dem Afghanistan-Desaster keine Lust auf ein neues kriegerisches Abenteuer. Angela Merkel, Europas starke Frau, ist zurückgetreten, die Welt steht nach wie vor unter dem Schock der Pandemie. Zudem ist Europa abhängig geworden von billigem russischen Gas und Öl. Was also kann da falsch gehen?

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Der russische Präsident Wladimir Putin droht mit schmutzigen Atombomben.Bild: keystone

Fast alles, wie sich zeigen sollte. Putin hat die Schlagkraft seiner vermeintlich hochmodernen Superarmee über-, und die Widerstandskraft der Ukrainer unterschätzt. Es ist nun mal einfacher, Fassbomben auf eine wehrlose Zivilbevölkerung in Syrien abzuwerfen, als gegen zu allem entschlossene und mit modernen Waffen ausgerüstete Soldaten zu kämpfen. Auch die Unterstützung des Westens hat Putins Erwartungen weit übertroffen.

Militärisch gesehen ist Putins «Spezialoperation» in der Ukraine eine Katastrophe: Vor Kiew haben seine Soldaten eine schmähliche Niederlage erlitten, aus der Gegend bei Charkiw sind sie Hals über Kopf geflohen, die symbolisch so wichtige Kertsch-Brücke, die Russland mit der Krim verbindet, wurde teilweise gesprengt; und nun bahnt sich bei Cherson die nächste Niederlage an.

Hat Putin sich somit in eine Ecke gemalt? «Seine Antworten auf die sich häufenden Rückschläge auf dem Schlachtfeld legen nahe, dass er nur noch wenige gute Optionen hat, ausser er erhöht den Einsatz und geht noch grössere Risiken ein», stellt Clement fest. «Die entscheidende Frage für die Ukraine und den Westen lautet daher, wie weit Putin noch gehen wird.»

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Ein simulierter Angriff mit einer russischen Atombombe.Bild: keystone

In seiner Rede in Moskau hat der russische Präsident am Donnerstag auf diese Frage zumindest teilweise eine Antwort gegeben. Sie ist wenig erbaulich. Putin hat keineswegs das Gefühl, in eine Ecke gedrängt worden zu sein. Im Gegenteil, er sieht sich als Geburtshelfer einer neuen Weltordnung. Dabei werden die westlichen Eliten besiegt und die traditionellen christlichen Werte erhalten wieder die Oberhand. In dieser Welt werde auch Russland wieder den ihm gebührenden Respekt erhalten, glaubt Putin.

Der russische Präsident stellt gleichzeitig in Abrede, dass er Atombomben gegen die Ukraine einsetzen werde. «Das macht keinen Sinn, weder militärisch noch politisch», erklärte er. Gleichzeitig lässt er jedoch Manöver durchführen, die den Einsatz dieser schrecklichen Waffe simulieren und hält an seiner lächerlichen Behauptung fest, die Ukraine würde den Einsatz einer «dreckigen» Atombombe erwägen, einer mit radioaktivem Material angereicherten konventionelle Bombe.

Schliesslich droht Russland neuerdings auch damit, amerikanische Satelliten abzuschiessen. Dank dieser Satelliten hat die ukrainische Armee Echtzeit-Informationen von russischen Truppenbewegungen.

Putins Drohungen sind ernst zu nehmen. Seine Ruchlosigkeit ist bekannt. 1999 liess er vom eigenen Geheimdienst mehrere Hochhäuser in Moskau sprengen. Über 367 Menschen starben dabei. Daraufhin schob Putin dieses Attentat tschetschenischen Terroristen in die Schuhe, um so seinen Krieg gegen die abtrünnige Provinz zu rechtfertigen.

France's President Emmanuel Macron, left, and Germany's Chancellor Olaf Scholz pose during a bilateral meeting during an EU summit in Brussels, Thursday, Oct. 20, 2022. European Union leader ...
Haussegen hängt schief: Emmanuel Macron (links) und Olaf Scholz.Bild: keystone

Ein Einsatz von Atom- oder Chemiewaffen würde jedoch eine sehr heftige Reaktion der Nato zur Folge haben. Das haben die Amerikaner mehr als deutlich kommuniziert. Putin wird daher – zumindest vorläufig – von diesem Albtraum-Szenario zurückschrecken. Er setzt vielmehr auf nicht-militärische Trümpfe.

Ein kalter Winter käme ihm dabei sehr gelegen. Es würde die Chancen erhöhen, dass die Europäer frieren und sich deswegen bald in die Haare gerieten. Erste Anzeichen dafür sind vorhanden. Zwischen den Deutschen und den Franzosen hängt der Haussegen wegen dieser Frage bereits bedenklich schief. Und wie lange Giorgia Meloni, die neue italienische Premierministerin, ihr Versprechen einhalten wird, fest an der Seite der Ukraine zu stehen, bleibt ebenfalls abzuwarten.

Ein Hoffnungsschimmer für Putin sind auch die Zwischenwahlen in den USA. Sollten die Republikaner wie erwartet die Mehrheit zumindest im Abgeordnetenhaus erzielen, dann gerät auch die amerikanische Unterstützung für die Ukraine in Gefahr. Eine Minderheit der Republikaner lehnt die Unterstützung ab und wird dabei von Tucker Carlson, dem einflussreichen Fox-News-Moderator, lauthals unterstützt.

Kevin McCarthy, der voraussichtliche Mehrheitsführer im Abgeordnetenhaus, hat denn auch bereits erklärt, es werde keine Blankoschecks an die Adresse der Ukraine mehr geben. Langfristig kann sich Putin gar Hoffnungen machen, sein Kumpel und Bewunderer Donald Trump werde wieder ins Weisse Haus zurückkehren.

Kriege enden auf zwei Arten: Entweder kapituliert die eine Seite oder ein Frieden wird am Verhandlungstisch erzielt. Putin deutet an, dass er mittlerweile an solchen Gesprächen interessiert sei. Dieses Angebot kann nicht in den Wind geschlagen werden. Es kann aber auch nicht sein, dass sich Putin mit der nuklearen Drohung nicht zulässige Konzessionen erpressen kann.

Sollte das Gesprächsangebot Putins ein Versuch sein, vom Tiger abzusteigen, dann muss er sich auch bewusst sein, dass er einen Preis dafür zu entrichten hat. Oder wie es David Ignatius in der «Washington Post» ausdrückt: «Wir können ihn nicht vor den Konsequenzen seiner eigenen Torheit schützen.»

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123 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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ingmarbergman
29.10.2022 07:24registriert August 2017
„Traditionelle christliche Werte“ verteidigen indem man Ramsan Kadyrow und seine Mudjaheddin für einen kämpfen lässt..
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kunststück
29.10.2022 07:27registriert Oktober 2014
Am besten startet er eine Rakete die ihn direkt hinter den Mond fliegt. Dort fühlt er sich sicher wie zu Hause und alle sind glücklich.
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Bruno Wüthrich
29.10.2022 09:45registriert August 2014
Den Preis den Putin, bzw. Russland zu bezahlen hat, ist der vollständige Rückzug aus allen besetzten Gebieten und die Bezahlung der angerichteten Schäden. Will heissen: Die Kosten für den Wiederaufbau der Ukraine sind durch Russland zu bezahlen. Darunter läuft gar nichts.
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