Die Kantone forderten eine Verlängerung der 1000er-Regel bis Ende Jahr. Der Bundesrat kippt sie nun. Handelt der er verantwortungslos?
Lukas Engelberger: Der Bundesrat hat das Verbot noch einen Monat verlängert, aber nicht so lange, wie wir das für richtig gefunden hätten. Zentral ist, dass wir diesen zusätzlichen Monat gut nutzen, um gemeinsam, schweizweit verbindliche Bewilligungskriterien festzulegen. Das ist wichtig für die Kantone, aber auch für die nationalen Sportligen und Tourneeveranstalter.
Die Gesundheitsdirektoren bezeichneten Ende Juli die epidemiologische Lage als zu «labil» für eine Aufhebung des Grossveranstaltungsverbots. Am Mittwoch vermeldete der Bund 274 Neuinfektionen – so viele wie seit langem nicht mehr.
Das ist ein Zufall. Trotzdem ist es richtig, dass der Bundesrat entschieden und nicht weiter zugewartet hat. Die Lage ist weiterhin labil. Es ist wichtig, dass wir strenge Bewilligungskriterien haben und vorsichtig bleiben.
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Fühlen sich die Kantone vom Bundesrat übergangen?
Nein, die Zusammenarbeit ist gut. Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass er unsere Forderung nur zum Teil erfüllt hat.
Der Bund legt die Kriterien fest, doch die Kantone müssen die Bewilligung erteilen und tragen die Verantwortung, wenn die Fallzahlen wieder steigen. Stiehlt sich der Bundesrat aus der Verantwortung?
Mit der Aufhebung des Verbots kommt eine zusätzliche Verantwortung auf die Kantone zu. Dieser müssen wir uns stellen, auch wenn wir uns einen späteren Zeitpunkt für den Lockerungsschritt gewünscht hätten.
Die Eishockey- und Fussballvereine lobbyierten in den letzten Wochen stark für eine Aufhebung der 1000er-Regel. Hat sich der Bundesrat diesem Druck gebeugt?
Das Pressing der Sportvereine war tatsächlich relativ aggressiv. Die Vereine und Veranstalter stehen nun aber auch in einer grossen Verantwortung, wenn sie Gesuche bei den Kantonen einreichen.
Viele Akteure sind enttäuscht, sie hätten sich mehr Klarheit vom Bundesrat gewünscht.
Das kann ich nachvollziehen, doch damit müssen sie sich arrangieren. Klarheit hätte es einzig bei einer negativen Antwort gegeben, also der Verlängerung der 1000er-Regel. Die Veranstalter und Sportclubs müssen lernen, mit dieser unklaren Situation zu leben. Sie haben eine Perspektive bekommen. Klarheit wird es erst geben, wenn die Bundesverordnung mit den Bewilligungskriterien steht. Immerhin: Wir haben heute ein viel differenzierteres Bild von Veranstaltungen als noch im Frühling. Es zeigt sich halt, dass uns Corona noch länger beschäftigen wird. Das Virus ist immer noch da und es wird auch nächsten Monat noch da sein. Ich habe Verständnis für die Schwierigkeiten der Veranstalter, aber sie müssen Geduld haben.
Können Sie sich auch vorstellen, dass sich die Lage verschlechtert und die 1000er-Begrenzung Ende September doch beibehalten wird?
Ich schliesse kein Szenario aus.
Wie müssen die Bewilligungskriterien aussehen?
Entscheidend werden die Schutzkonzepte sein. Ich erwarte von den Veranstaltern, dass das Management der Besucher ganzheitlich angeschaut wird. Die Sportvereine etwa dürfen sich nicht auf die Situation im Stadion beschränken. Es ist nicht damit getan, eine Maskenpflicht einzuführen oder nur noch jeden dritten Sitzplatz zu besetzen. Die Situation ist komplexer. Die grosse Herausforderung wird sein, was die Fans vorher und nachher machen. Am Schluss wird die Polizei die Regeln durchsetzen müssen.
Braucht es unterschiedliche Kriterien für Eishockey- und Fussballspiele?
Es geht nicht um Regeln für bestimmte Sportarten, sondern um die Typologie von Veranstaltungen. Finden sie Draussen oder Drinnen statt, in einem grossen oder kleinen Stadion, wie lange dauert die Veranstaltung, wird Alkohol ausgeschenkt oder sind Gästefans zulässig? Veranstaltungen im Musikbereich oder Partys müssen wiederum separat angeschaut werden.
Wird die epidemiologische Lage auch ein Bewilligungskriterium sein?
Ich gehe davon aus, dass die Kriterien für die aktuelle, nicht dramatische Lage in der Schweiz definiert werden. Danach muss aber jeder Kanton eine Bewilligung verweigern können, wenn ihm die Situation zu kritisch erscheint. Diese Rückfallposition ist wichtig. Die Kriterien sollen nicht dazu führen, dass Kantone Gesuche genehmigen, obschon es unverantwortlich ist.
Es wird argumentiert dass wir die Sportvereine retten müssen und es der einzige Weg ist. Was aber wenn durch diverse Sport und Kulturveranstaltungen ein neuer LockDown nötig ist? Kann sich die Wirtschaft dann noch so stabil halten wie jetzt?
Ja Sport, Kultur und Nacht leben ist ein Teil der Gesellschaft und auch, obwohl sehr konzentriert, ein Teil der Wirtschaft aber es ist nicht "die Wirtschaft".
Wenn dann der Bund nicht einen zweiten Lockdown beschliesst, werden wohl ziemlich viele Fans von sich aus zu Hause bleiben.
Was den Vereinen und Veranstaltern erneut Grund zum "Stürme und Gränne" gibt...
Dasselbe haben wir übrigens bereits bei den Restaurants und Nachtclubs gesehen...
Grundsätzlich kommt es mir bei der Bewältigund dieser Krise so vor, dass der BR dort einlenkt, wo am lautesten "grännet" wird.