Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hält einen weiteren Putschversuch für möglich und kündigt einen raschen Umbau des Militärs an. Ein Umsturzversuch würde Aufrührern aber nicht leicht fallen, sagte Erdogan am Donnerstag der Nachrichtenagentur Reuters.
«Wir sind wachsamer.» Schon bald werde eine neue Struktur des Militärs umgesetzt. Das Militär müsse aus dem Putschversuch ernste Lehren ziehen, sagte er. «Wir können es uns nicht leisten, selbstzufrieden zu sein.»
Erdogan räumte ein, dass es vor dem Putschversuch vom Freitagabend vergangener Woche «erhebliche Lücken und Schwächen» im Geheimdienst gegeben habe. Dies könne man weder leugnen noch verheimlichen. «Ich habe das der Spitze des nationalen Geheimdienstes gesagt», fügte er hinzu.
Auf einer Pressekonferenz in Ankara teilte Erdogan in der Nacht auf Freitag mit, dass der 15. Juli, an dem der Putschversuch in der Türkei begann, zum «Gedenktag für Märtyrer» erklärt werde. «Kommende Generationen werden die Helden des Kampfes für die Demokratie nie vergessen», sagte Erdogan. Bei dem Putschversuch waren mehr als 260 Menschen ums Leben gekommen.
Brücke gesperrt
Erdogan betonte, es sei notwendig, dass man sich weiterhin gegen den «hinterlistigsten und niederträchtigsten Putschversuch in der Geschichte des türkischen Volkes» zur Wehr setze. Er rief dazu auf, die von der Regierung als «Demokratie-Wachen» bezeichneten Versammlungen in den türkischen Städten fortzuführen.
Bereits am Donnerstagmorgen schrieb Erdogan in einer an sämtliche Handys des Landes versandten Kurzmitteilung: «Mein liebes Volk, gib nicht den heroischen Widerstand auf, den Du für Dein Land, Deine Heimat und Deine Fahne gezeigt hast.»
Tausende Unterstützer der türkischen Regierung folgten dem Aufruf in Istanbul. Sie marschierten vom Stadtteil Kisikli über eine der Bosporus-Brücken auf die europäische Seite der Stadt. Die Brücke musste am Abend für den Verkehr gesperrt werden.
Vorgehen «nicht akzeptabel»
Am Mittwoch hatte Erdogan nach einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats einen dreimonatigen Ausnahmezustand verhängt. Das Parlament stimmte der Massnahme am Donnerstag mit grosser Mehrheit zu. Die Regierung kündigte ausserdem an, die Europäische Menschenrechtskonvention zumindest teilweise auszusetzen. Tausende Soldaten, Polizisten und Beamte wurden unter dem Verdacht festgenommen, an dem versuchten Umsturz beteiligt gewesen zu sein.
Nach Angaben eines Sprechers der regierenden AKP wurden inzwischen 10'400 Beschuldigte in Gewahrsam genommen. Zehntausende weitere Staatsbedienstete, darunter Richter, Staatsanwälte, Hochschuldozenten und Lehrer, wurden entlassen oder versetzt. Die EU und andere westliche Partner reagierten besorgt auf das harte Vorgehen der türkischen Regierung.
Die EU-Aussenbeauftragte Federica Mogherini sagte, das Verhalten der Regierung in Ankara sei in Teilen nicht akzeptabel. Zwar stehe die Europäische Union klar hinter den demokratischen Institutionen des Landes. Dies sei der türkischen Regierung auch deutlich gemacht worden. Allerdings sei «das, was wir besonders in den Bereichen der Medien, Universitäten, der Justiz sehen, nicht akzeptabel», sagte Mogherini.
Kritik an Ratingagentur
Erdogan kritisierte seinerseits die Herabstufung der Kreditwürdigkeit seines Landes durch die US-Ratingagentur Standard & Poor's als politisch motiviert. Die türkischen Finanzmärkte hätten keine Liquiditätsprobleme, sagte Erdogan. Der Finanzsektor sei sehr stark.
Er warf S&P vor, sich auf die Seite der Putschisten geschlagen zu haben und nicht auf die der Demokratie. Sollte die Ratingagentur Moody's den Experten von S&P folgen, wäre das keine objektive Entscheidung, sagte Erdogan.
S&P hatte am Mittwoch angesichts der politischen Turbulenzen in der Türkei die Note für das Land um eine Stufe auf BB gesenkt. Zugleich stufte die Ratingagentur den Ausblick auf «negativ» von bislang «stabil» herab. Als Begründung nannte die Agentur die zunehmende Polarisierung der Politik in dem NATO-Staat. Nach dem Putschversuch sei mit einer Phase der erhöhten Unsicherheit zu rechnen, schrieben die Experten. Das könne Investoren davon abhalten, ihr Geld in der Türkei anzulegen. (sda/dpa/afp/reu)